Michael RothSPD - 75 Jahre European Recovery Plan (Marshall Plan)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Freundinnen und Freunde des German Marshall Fund! Es dürfte niemanden in unserem Land geben, den die Beziehungen zu den USA kaltlassen; auch mich nicht. Mit dem ersten Geld, das ich nach meinem Abitur als Zivildienstleistender verdiente, reiste ich in die USA, um meine Freundin Manuela zu besuchen, die in San Diego als Au-pair arbeitete.
(Stephan Brandner [AfD]: Jetzt wird’s interessant!)
Ich wuchs in einem nordhessischen Städtchen als Sohn einer Bergarbeiterfamilie auf, unmittelbar an der Grenze zur ehemaligen DDR. Urlaubsreisen in ferne Länder gab es für meine Familie nicht, erst recht keine Flugreise. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine solche Reise antrat. Was für ein Abenteuer!
Für mich waren und bleiben die USA immer ein Sehnsuchtsort: manchmal durchaus fremd, aber immer frei, bunt und spannend. Manche in unserem Land – auch leider hier im Plenum – hegen schlimme Vorurteile und Klischees gegenüber unseren US-amerikanischen Freundinnen und Freunden. Manche betrachten die USA als imperialistische Macht, die weltweit Kriege anzettelt. Manche empfinden die amerikanische Militärpräsenz – wir haben es gerade wieder gehört – in Deutschland und Europa als Besatzung. Manche – das zeigt die jüngste Allensbach-Umfrage – sehen die USA als Hauptschuldige für den russischen Überfall auf die Ukraine. Eine für uns alle bittere Bilanz, liebe Kolleginnen und Kollegen! Antiamerikanische Ressentiments sind in unserem Land verbreitet. Häufig sind diejenigen, die die USA am aggressivsten und lautesten kritisieren, auch diejenigen, die Putin am besten verstehen und Nachsicht mit den Diktatoren in dieser Welt üben, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Selbstverständlich ist nicht jede Kritik der US-amerikanischen Politik gleich Antiamerikanismus. Es gab und gibt ja genügend Meinungsverschiedenheiten und Streitpunkte: angefangen mit der Invasion des Irak, über den NSA-Skandal und zuletzt die schrecklichen Trump-Jahre. Für mich gehört aber zu einer guten Freundschaft, dass man kritische Debatten führt und andere Meinungen zulässt und erträgt.
(Beatrix von Storch [AfD]: Ach nee!)
Vor allem müssen sich gute Freundinnen und Freunde aufeinander verlassen können, wenn es wirklich hart auf hart kommt. Wir konnten und können uns auf die USA verlassen, und das seit über 75 Jahren. Die USA sind und waren unsere Lebensversicherung.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Auch heute stehen die USA abermals für die Sicherheit und Freiheit Europas ein. Ohne die amerikanische Militärhilfe hätte die Ukraine diesen Krieg und ihre Freiheit vermutlich schon längst verloren. Ohne die von den USA garantierte nukleare Teilhabe und ohne die NATO stünde die russische Armee womöglich schon im Baltikum. Für diesen amerikanischen Mut, für diese entschlossene Solidarität sind wir dankbar.
Wir wissen aber auch: Der weitreichende Schutz unserer nationalen und europäischen Sicherheit durch die USA wird in Zukunft alles andere als eine Selbstverständlichkeit sein. Deshalb liegt es nun an uns, Schritt für Schritt deutlich mehr Verantwortung für unsere eigene Sicherheit zu übernehmen.
Lassen Sie uns überzeugte Transatlantikerinnen und Transatlantiker bleiben. Aber wir können nicht auf ewig von den USA erwarten, maßgeblich die Sicherheit und Freiheit Europas zu garantieren. Wir dürfen uns also nicht von den USA emanzipieren und abkoppeln. Wir müssen aber im Team, EU und NATO, mehr in strategische, politische, diplomatische, humanitäre und militärische Fähigkeiten investieren, um den Frieden und die Sicherheit in ganz Europa zu schützen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und die Zeit drängt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Erstens. Wir müssen alles dafür tun, damit die Ukraine als demokratisches und souveränes Land bestehen bleibt. Dafür muss die Ukraine den Krieg gewinnen. Dafür müssen wir jetzt schon einen neuen Marshallplan für die Ukraine vorbereiten. Dafür braucht die Ukraine nach dem Krieg auch verlässliche Sicherheitsgarantien und möglicherweise auch eine NATO-Mitgliedschaft.
Zweitens. Wir müssen Europa endlich in die Lage versetzen, sich konventionell besser verteidigen zu können, und zwar im engen Zusammenspiel zwischen EU und NATO. Dazu gehören die Erfüllung des 2-Prozent-Ziels, die Stärkung der europäischen Säule der NATO und der Ausbau der EU-NATO-Kooperation.
Und schlussendlich: Wir müssen gemeinsam die internationale Völkerrechtsordnung gegen autoritäre und revisionistische Länder wie Russland, aber auch China verteidigen und stärken.
Herr Kollege, das war ein schöner Schlusssatz.
Das Jahr 2022 war ein furchtbares Jahr.
(Stephan Brandner [AfD]: Das hat er nicht verstanden! Wiederholen Sie das noch einmal, Frau Präsidentin!)
Aber Putin hat sich geirrt: Er hat die Ukraine unterschätzt.
Herr Kollege.
Er hat die transatlantische Bündnisfähigkeit unterschätzt.
Herr Kollege.
Lassen wir uns von dieser Stärke inspirieren. Happy Birthday, deutsch-amerikanische Freundschaft!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Peter Beyer hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7552444 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 95 |
Tagesordnungspunkt | 75 Jahre European Recovery Plan (Marshall Plan) |