Nina ScheerSPD - Aktuelle Stunde - Weiternutzung der Kernkraft
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bilger, ich möchte erst mal einsteigen mit diesem Bild, das Sie gerade verwendet haben, nämlich dass die SPD sich hätte anstecken lassen. Energiewendepolitik ist keine Krankheit,
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und deswegen ist dieses Bild, sich anstecken zu lassen, ziemlich verquer.
(Zuruf des Abg. Friedrich Merz [CDU/CSU])
Aber es passt wahrscheinlich in Ihr Weltbild, weil Sie es eben nicht als eine faktenbasierte, aus den Schritten einer Energiewende sich ergebende notwendige Konsequenz ansehen, aus der Atomenergie auszusteigen, sondern offensichtlich Ihrerseits ideologieabhängig argumentieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Goldig! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das war jetzt aber haarscharf daneben! Ganz haarscharf daneben!)
Das ist ja etwas, was Sie immer gerne anderen unterstellen; aber wenn man Ihnen dann mal zuhört, merkt man das.
(Stephan Brandner [AfD]: Das war nur bis vor ein paar Monaten der Fall! Inzwischen sind sie vernünftig geworden!)
Da passt natürlich auch sehr gut ins Bild, dass der Titel dieser Aktuellen Stunde ursprünglich nicht wie hier angeschlagen heißen sollte, sondern „Kernenergie? Ja, bitte!“. Das war der ursprüngliche Titel, und auch sehr vielsagend. Denn wenn man gegenüber den anderen Energiewendeanträgen, die Sie in den letzten Wochen und Monaten vorgelegt haben, die ja schon immer so ein bisschen diesen Geist der Energiewende versprühten und zeigen sollten, dass es Ihnen wirklich ernst sei mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, sich dann mal solche Titel, die Sie wählen, wenn es solche Aktuellen Stunden anzuberaumen gilt, dann aber beschämt wieder aus dem Verkehr ziehen, vergegenwärtigt, dann sieht man: Ihnen geht es eben doch um grundsätzlichere, umfassendere Konzepte.
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Genau! – Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])
Ihnen geht es tatsächlich um eine Perpetuierung, um eine Verlängerung von Atomenergienutzung,
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Ihnen geht es um eine Verlängerung der Kohlekraft! – Henning Rehbaum [CDU/CSU]: 30 Millionen Tonnen CO2!)
und das hat natürlich weitreichende Konsequenzen für ein Land. Darauf möchte ich auch eingehen.
Weitreichende Konsequenzen, wenn jetzt verlängert würde, wären zum Beispiel – das wissen Sie auch ganz genau –, dass dann neue Brennelemente beschafft werden müssten. Das ist ja dann auch wieder ein Spielchen, zu sagen, dass wir das versäumt hätten. Nein, nein, wir haben es nicht versäumt,
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie haben es versäumt!)
wir haben es ganz bewusst nicht gemacht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Selbst wenn man sie früher beschafft hätte, hätte man eben nicht nur über den Winter noch ein bisschen mehr Stromreserve gehabt, die man dann auch noch zusätzlich exportiert hätte – wir haben nämlich immer exportiert; wir haben nicht zu wenig Strom, sondern immer zu viel Strom gehabt –, sondern dann hätte man – –
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Mit Fakten haben Sie nichts am Hut!)
– Ja, gucken Sie sich doch die Zahlen an, Herr Merz!
(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Schauen Sie doch mal die einzelnen Tage an! Milchmädchenrechnung!)
Deutschland war letztes Jahr mit mehr als 25 Terawattstunden Stromexporteur:
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Sie hoffen doch auf französischen Atomstrom! – Gegenruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, eben nicht!)
Mehr als 60 Terawattstunden wurden exportiert, circa 35 wurden importiert – Nettostromexporteur mit mehr als 25 Terawattstunden! Das müssen Sie einfach mal zur Kenntnis nehmen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Damit waren es 50 Prozent mehr Stromexporte als im Jahr zuvor.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Warum sind bei uns die Preise so hoch? Das ist ja völlig irre! – Zuruf des Abg. Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU])
Das sind die nackten Zahlen.
Deswegen: Wenn man diese Fakten einfach mal ernst nimmt, sieht man, dass das, was Sie hier mit einer Verlängerung anzetteln wollen, wirtschaftlich betrachtet natürlich bedeutet – das haben wir auch in den Anhörungen von den Experten dargelegt bekommen –, dass es sinnvollerweise nur um eine Verlängerung der Atomenergienutzung um mindestens fünf Jahren gehen kann.
Aus Ihrem ursprünglich gewählten Titel entblättert sich dann auch, dass es Ihnen nicht um irgendwelche Sicherheitsreserven geht, sondern dass es hier tatsächlich um ein anderes Verständnis von Energiepolitik geht,
(Stephan Brandner [AfD]: Gott sei Dank! – Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie recht!)
nämlich nicht eine Energiewendepolitik, sondern eine Fortsetzung der Nutzung der Atomenergie.
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Stephan Brandner [AfD]: Gott sei Dank!)
Das bedeutet systemisch betrachtet, dass Sie offenbar den Umstieg auf erneuerbare Energien gar nicht erst organisieren wollen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ach, hören Sie doch auf! – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Unsinn! Sie setzen auf Kohle! – Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Die Ampel wird fossil!)
Das wollen Sie offenbar gar nicht. Denn Sie wissen ganz genau, dass Atomenergie im Netz etwas ist, was, so nennt man es, „Strich fährt“, also eine konstant gelieferte Menge Strom bedeutet.
(Stephan Brandner [AfD]: „Verstopfung“ nennt Frau Göring-Eckardt das!)
Atomkraftwerke sind sehr schwer regelbar. Man kann sie regeln; aber das dient nicht der Sicherheit. Das ist sicherheitstechnisch sehr schwierig; darauf sind sie auch nicht ausgelegt. Deswegen: Wenn Atomstrom im Netz ist, dann heißt das, dass erneuerbare Energien blockiert werden.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Verstopft!)
Offenbar ist das Ihr Konzept.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Außerdem – das muss man auch mal hervorheben – ist der Ausstieg aus der Atomenergie eben nicht nur eine energiepolitische Angelegenheit, sondern er bedeutet auch,
(Zuruf von der CDU/CSU: Mehr CO2!)
dass wir endlich mit der Haftungsübernahme der Gesellschaft Schluss machen.
(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Wir hatten das Risiko in der deutschen Atomgesetzgebung – das ist übrigens nicht allein in Deutschland so gewesen, sondern das ist international so organisiert – zwar etwas mehr auf die Kraftwerksbetreiber verlagert als in anderen Ländern, aber auch in Deutschland hatten wir eine Höchstgrenze der Deckungsvorsorge in Höhe von 2,5 Milliarden Euro für die Atomkraftwerke und auch noch eine gegenseitige Verfügbarkeit von Haftungen bei den Betreibern, was sich auf die Mutterkonzerne bezog. Das bedeutet: Mit dieser Vergesellschaftung von Risiken ist durch den Atomausstieg Schluss. Auch deswegen ist dieser Ausstieg konsequent.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Janine Wissler [DIE LINKE])
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Scheer. – Nächster Redner ist der Kollege Leif-Erik Holm, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7552558 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 96 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Weiternutzung der Kernkraft |