20.04.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 97 / Zusatzpunkt 5

Helge LindhSPD - Aktuelle Stunde - Verleihung des Großkreuzes des Verdienstordens

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man vor Ihrer Rede, Herr Brandner, Angela Merkel nicht schon schätzte – nach Ihrer Rede liebt man sie; man hat gar keine Alternative.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Eine Ahnung von Gemeinsinn, entwaffnender Humor und auch die Fähigkeit zur Selbstkritik,

(Stephan Brandner [AfD]: Danke, das reicht dann jetzt!)

das sind Qualitäten, die Angela Merkel hatte und hat, und es sind genau die Qualitäten, über die die AfD noch nie verfügt hat oder jemals verfügen wird. Insofern ist es ja auch bezeichnend, dass Sie diese Aktuelle Stunde heute beantragt haben. Das sagt sehr viel über Sie.

Im Titel steht ja wörtlich, dass man das „Großkreuz des Verdienstordens nicht entwerten“ solle. Es ist natürlich das Maximum der Selbstironie, wenn Sie von Entwertung sprechen, wo Sie der Inbegriff der Entwertung aller Werte, der Abwertung von allem und der maximalen Wertelosigkeit sind. Danke für dieses Eigentor, das Sie geschossen haben!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Nina Warken [CDU/CSU] – Dr. Götz Frömming [AfD]: Frenetischer Applaus!)

Auch ich persönlich war es viele Jahre – lange bevor ich im Bundestag war – gewöhnt, mich manchmal hämisch über Angela Merkel auszulassen oder zu stöhnen ob der Sprödheit ihrer Reden, ihrer Gelassenheit, ihrer Freude am Zuwarten oder fehlender Zuspitzung. Das ist auch die Kritik, die man jetzt teilweise in der Presse, erst recht aber – in ganz anderer Form – in Ihren Hasstiraden hört. Diejenigen, die sich da auslassen – und das reicht von Engstirnigkeit und Kleinkariertheit bis zu blankem Hass; bei Ihnen liegt ja eine regelrechte Merkelmanie vor, was ein Kompliment für die Altkanzlerin ist –, übersehen aber, dass die, die gerne kritisieren, nicht das Gleiche zustande gebracht haben wie Angela Merkel, nämlich Entscheidungen zu korrigieren, wie den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg oder die Osterruhe in der Pandemie und Kurskorrekturen in der Eurokrise. Durch die Fähigkeit, sich zu distanzieren und eigene Entscheidungen infrage zu stellen, haben sich viele Spitzenpolitiker auch in diesem Land in der Vergangenheit nicht ausgezeichnet. Diese Kanzlerin aber war dazu in der Lage. Das muss man, denke ich, würdigen.

Zudem wird jetzt in Bezug auf die Außenpolitik häufig die Frage zu Versäumnissen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gestellt. Ich finde es richtig, dass das benannt wird. Denn wenn jemand für seine Verdienste geehrt wird, ist das ja keine Heiligsprechung, keine Hagiolatrie. Gleichzeitig aber finde ich es sehr merkwürdig und sehr eigentümlich, wenn in Bezug auf Russland gerade diejenigen, die selbst damals zum Teil zugestimmt haben oder die es auch nicht anders sahen, besonders laut kritisieren.

(Stephan Brandner [AfD]: Steinmeier und Schröder! – Dr. Götz Frömming [AfD]: Frau Schwesig!)

Ich finde vorbildlich, was Lars Klingbeil gemacht hat, nämlich ein deutliches Bekenntnis zur Zeitenwende, aber auch schonungslose Selbstkritik in Bezug auf die Sozialdemokratie auszudrücken, ohne jede Selbstgerechtigkeit und ohne Tribunal und Anklage im Sinne von: „Sie hat es falsch gemacht. So macht man es.“ Dieser Lars Klingbeil war auch in der Lage, Angela Merkel in der Talkshow „Maischberger“ zu gratulieren,

(Stephan Brandner [AfD]: Super!)

wozu Friedrich Merz nach zig Versuchen nicht imstande war – leider. Ich bedaure das; denn ich finde, Angela Merkel ist jemand, auf den auch die CDU stolz sein kann.

Ganz bemerkenswert ist es doch, wenn man mal den Blick nach außen richtet – ich sage das bewusst als Sozialdemokrat –: 2019 wurde Angela Merkel mit dem Ehrendoktortitel in Harvard geehrt. Vor ihr sprach jemand algerischer Herkunft, jemand dominikanischer Herkunft und jemand indischer Herkunft.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Ja, und?)

Und sie alle würdigten insbesondere ihre Migrationspolitik

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

und die Entscheidung von 2015. Aus der Sicht der AfD sind Menschen, die Abschlüsse in Harvard machen und ihre Reden, wie der indische Student, auf Lateinisch schreiben, natürlich Idioten. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Idiotie eher bei der AfD liegt und dass die Harvard-Absolvierenden recht gehabt haben.

Das stört und ärgert mich übrigens auch an der Bemerkung von Herrn Linnemann, der von eklatanten Fehlern in der Flüchtlingskrise sprach.

(Stephan Brandner [AfD]: Da hat er recht gehabt!)

Ganz viele Menschen außerhalb Deutschlands – mitnichten nur syrische Geflüchtete, die hierhergekommen sind, sondern Menschen mit unterschiedlicher Migrationsgeschichte – haben höchsten Respekt vor dieser Entscheidung; denn das ist bei allen Defiziten eine Entscheidung gewesen, die identitätsstiftend war: Mauern zu? Nein. Mäkeln und überall nur Belastungen zu sehen, ist nicht identitätsstiftend. Vor allem eines finden diese Personen – das ist das Letzte, was ich dazu sagen werde – bemerkenswert an dieser Kanzlerin, nämlich dass sie nicht auffiel durch toxische Männlichkeit à la Brandner, dass sie bescheiden war, demütig und zurückgenommen

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und dass sie zeigte, dass Politik ohne Polarisierung, ohne Machtgehabe möglich ist. Viele Menschen in anderen Ländern der Welt erleben nur Politiker, die das Gegenteil machen, –

Herr Kollege!

– die einen auf dicke Hose machen, die den Brandner geben und die das Gegenteil von Kompromiss, Verständnis und Empathie verkörpern.

Deshalb: Herzlichen Glückwunsch, Angela Merkel!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7552730
Wahlperiode 20
Sitzung 97
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Verleihung des Großkreuzes des Verdienstordens
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