Alexander Graf LambsdorffFDP - Bundeswehreinsatz Evakuierung aus Sudan
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Augenzeugen berichten uns aus Khartum, wie es vor Ort aussieht: Es liegen Leichen von Soldaten und Zivilisten in der Stadt; sie werden nicht abgeholt. Krankenhäuser werden beschossen; sie müssen teilweise evakuiert werden. Das medizinische Personal ist seit dem 15. April im Dauereinsatz. Medikamente und Blutkonserven sind knapp. Die humanitäre Lage vor Ort ist katastrophal.
Und auch die internationalen Hilfsorganisationen haben angesichts der Kampfhandlungen praktisch keine Chance mehr, die Menschen mit Hilfsgütern zu versorgen. Die Bundesaußenministerin hat es hier gesagt: Das Welternährungsprogramm hat drei Tote zu beklagen und hat seine Arbeit vorerst eingestellt. – Jetzt werden auch noch Mehl und andere Grundnahrungsmittel knapp. Es ist eine absolute Katastrophe in dieser großen Stadt, und deswegen können wir nur hoffen, dass der Frieden, diese brüchige Waffenruhe, hält.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Markus Grübel [CDU/CSU])
Meine Damen und Herren, das Ganze ist – das muss man so deutlich sagen – kein Bürgerkrieg; es ist ein Diadochenkampf. Zwei Generäle streiten sich um das Erbe von Omar al-Baschir, in der Hoffnung, die Bevölkerung ausbeuten zu können. Damit sind die Hoffnungen auf einen erfolgreichen Transformationsprozess fürs Erste zerstört, nachdem das Land einige Zeit auf einem guten Weg zu sein schien.
Ich will das aus der Sicht meiner Fraktion für das Parlament hier klar sagen: Diese Operation ist ausgesprochen gut gelungen, und wir gratulieren der Bundesregierung zu diesem Erfolg.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Markus Grübel [CDU/CSU])
Wir bedanken uns bei den Diplomatinnen und Diplomaten sowie bei den Soldatinnen und Soldaten, die in wirklich sehr kurzer Zeit unter sehr schwierigen Umständen die Zivilisten evakuiert haben: Angehörige internationaler Hilfsorganisationen, Entwicklungshelferinnen und ‑helfer und, ja, tatsächlich auch Urlauberinnen und Urlauber, die da getaucht sind. Es gibt überall deutsche Urlauber.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Dank geht an das fliegende Personal, der Dank geht an die Sicherungskräfte, der Dank geht an das Krisenunterstützungsteam, der Dank geht auch an jemanden, den wir hier in diesem Haus gut kennen: Volker Perthes, den Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs, der sich entschlossen hat, im Land zu bleiben, damit die Vereinten Nationen weiter daran arbeiten können, diese Waffenruhe zu stabilisieren. Das verdient wirklich unseren großen Respekt.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dass diese Mission so gelungen ist, dass es gelungen ist, 700 Menschen zu evakuieren, ist schon bemerkenswert. Ich erinnere mich: In den 90er- und den Nullerjahren gab es Situationen, in denen Deutschland noch vollständig auf andere Nationen angewiesen war, wenn es darum ging, solche Missionen durchzuführen, eigene Landsleute rauszuholen. Die Bundeswehr hat inzwischen diese Fähigkeiten; das ist wirklich sehr gut.
Was die Bundeswehr aber auch hat, ist eine Luftwaffenbasis in Jordanien – dank der Zusammenarbeit mit der jordanischen Regierung, und ich bin der Außenministerin ausgesprochen dankbar. Der Kollege Olaf in der Beek und ich haben diese Basis besucht; wir haben auch mit der jordanischen Regierung gesprochen. Man wünscht sich die deutsche Präsenz dort. Wir sollten sie fortsetzen; es zeigt sich, wie wertvoll sie in einer solchen Krisensituation ist.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Gleiche, meine Damen und Herren, gilt für den Luftwaffenstützpunkt in Niamey, in der Hauptstadt von Niger.
Nun ist es noch relativ früh; die Soldatinnen und Soldaten sind gerade auf dem Rückweg. Wir können uns aber dennoch fragen, ob es vielleicht einige Lektionen gibt, die sich abzeichnen, Fragen, die man stellen kann.
Erstens. Eine Lektion ist, dass die Erreichbarkeit von zu evakuierenden Menschen in so schwierigen Umständen über die ELEFAND-Liste höchst volatil ist. Die Frage ist also: Welche Methoden, welche Wege gibt es, um die Erreichbarkeit auch unter höchst schwierigen Umständen sicherzustellen? Was kann man da noch besser machen?
Zweitens. Die internationale Gemeinschaft hat eine immense Hilfe in den Sudan transportiert; trotzdem ist der Übergang zu Demokratie, Stabilität und Frieden im Land nicht geglückt. Wir müssen uns fragen, was da nicht so gelaufen ist, wie wir uns das vorgestellt haben, und welche Konsequenzen das für unsere Außen- und Entwicklungspolitik hat.
Drittens müssen wir uns eingestehen, dass wir von der Eskalation des Konflikts wirklich hart überrascht wurden. Deswegen muss sich die ganze internationale Gemeinschaft jetzt fragen und aufarbeiten, welche Zeichen wir nicht wahrgenommen haben und was das für die Arbeit beispielsweise unserer Nachrichtendienste bedeutet.
Die letzte Frage: Was ist jetzt aktuell zu tun? Auf gar keinen Fall sollten wir die Mittel für die humanitäre Hilfe kürzen. Im Gegenteil: Wir sollten versuchen, den Geflohenen in den Nachbarländern – im Südsudan, im Tschad – beizustehen. Die humanitäre Lage – ich habe es am Anfang gesagt – ist katastrophal.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Und wir sollten die diplomatischen Bemühungen verstetigen, einen dauerhaften Waffenstillstand für dieses geschundene Land zu erreichen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Graf Lambsdorff. – Als nächsten Redner rufe ich auf den Kollegen Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7553044 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 99 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz Evakuierung aus Sudan |