27.04.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 100 / Zusatzpunkt 3

Kordula Schulz-AscheDIE GRÜNEN - Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wird Sie jetzt erstaunen, aber ich möchte Herrn Irlstorfer von der CSU mal ausdrücklich loben, und zwar für den Begriff „Priorisierung der Pflege“.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, dass das ein sehr guter Begriff ist, um die Situation, in der sich unsere Gesellschaft befindet, zu beschreiben.

Ich finde, dass es die Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten in diesem Hause ist, dafür zu sorgen, dass wir die Pflege zukunftssicher aufstellen, und zwar sowohl hinsichtlich der Finanzierung als auch hinsichtlich der Leistungen und in der Unterstützung der pflegenden Angehörigen. Ich hoffe, dass wir uns alle darin einig sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Mein Dank geht natürlich zuerst an die professionell Pflegenden, aber eben auch an die vielen pflegenden Angehörigen, die oft mit ihrer pflegerischen Situation zu Hause alleingelassen sind.

Wir haben die gesellschaftliche Situation – und das ist unser aller Herausforderung –, dass die Anzahl älterer Menschen steigt. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt heute bei 85 Jahren, und das ist auch gut so. Gleichzeitig verändert sich aber auch das Verhältnis zwischen Jung und Alt. Die über 67-Jährigen machen inzwischen 20 Prozent unserer Bevölkerung aus. Der Anteil der Jüngeren, die die Möglichkeit haben, eine Ausbildung zu machen oder einen Pflegeberuf zu ergreifen, ist rasant gesunken. Das ist das, was wir jetzt spüren: der Fachkräftemangel in allen Branchen. Aber in der Pflege haben wir eine besondere Situation, weil hier nicht nur Fachkräftemangel herrscht, sondern auch Nachfrage steigt. Es gibt auf der einen Seite eine steigende Nachfrage nach Unterstützung im häuslichen Bereich, in der ambulanten und in der stationären Pflege und auf der anderen Seite einen Rückgang der Zahl an Familienmitgliedern, die Zeit haben und pflegen. Zudem haben wir einen Mangel bei der professionellen Pflege zu beklagen, den ich auch schon angesprochen habe. Daher kann ich nur sagen: Ich bin sehr froh, dass wir heute Morgen das Fachkräfteeinwanderungsgesetz beraten haben; denn das wird sicher ein Teil der Lösung sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause von Partnern, von der Familie oder von Freunden gepflegt, manchmal mit Unterstützung von professioneller Pflege, aber in zunehmendem Maße auch ohne professionelle Pflege, weil keine mehr gefunden wird. Wir können es doch als Gesellschaft nicht zulassen, dass die mittlere Generation, die Eltern, die pflegebedürftig sind, und Kinder hat, um die sie sich kümmern muss, und die gleichzeitig auch noch Fachkräfte in unserem System stellt, überlastet wird. Deswegen stehen wir als Demokraten in diesem Haus vor der großen gemeinsamen Herausforderung, dieses Thema endlich anzugehen und für die kommenden Jahrzehnte eine Pflegeversicherung und eine Versorgung zu schaffen, die den Menschen tatsächlich hilft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir reden heute über einen Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen, der schon einige Maßnahmen, die im Koalitionsvertrag vorgesehen sind, enthält, zum Beispiel das Pflegegeld. Absehbar werden wir auch die finanzielle Schieflage angehen. Aber ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wenn wir uns den Koalitionsvertrag anschauen – und darauf ist ja auch schon zu Recht hingewiesen worden –, dann sehen wir: Bestimmte Sachen sind hier nicht in der Umsetzung. Und es gehört auch dazu, sich ehrlich zu machen und zu sagen, dass wir in der Pflegeversicherung Kosten haben, die dort nicht hingehören. Ich nenne als Erstes die Unterstützung des Rentenbeitrags zugunsten pflegender Angehöriger. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und gehört aus Steuereinnahmen finanziert. Ich nenne als Zweites die Ausbildungskosten in der Pflege. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und wir können nicht zulassen, dass die Pflegebedürftigen dafür zur Kasse gebeten werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN und der Abg. Nicole Westig [FDP])

Das heißt, wir brauchen auch eine grundsätzliche Reform der Leistungsausgaben der Pflegeversicherung.

Meine Damen und Herren, ich nehme besonders die Versorgung durch die pflegenden Angehörigen in den Blick; denn was im Gesetzentwurf steht, reicht zur Unterstützung dieser Personengruppe nicht aus. Zwei Beispiele will ich ganz kurz nennen. Wir brauchen ein Entlastungsbudget für die Kurzzeit- und Verhinderungspflege, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht. Das ist ein zentraler Baustein zur Entlastung von pflegenden Angehörigen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich verstehe überhaupt nicht, wieso eine so relativ einfache, sinnvolle und bürokratiereduzierende Maßnahme nicht möglich sein soll, um die Angehörigen zu unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU und des Abg. Lars Lindemann [FDP])

Das zweite Beispiel, das ich nennen möchte, ist die Unterstützung der Planungsmöglichkeiten der Kommunen. Meine Damen und Herren, gepflegt wird vor Ort: in den Familien, in den Dörfern, in den Stadtteilen. Umso unverständlicher ist es, warum es nicht möglich sein soll, die Kommunen endlich in ihrer Verantwortung für ihre Bürgerinnen und Bürger zu stärken und bedarfsgerechte lokale Angebote zu unterstützen, zu fördern, zu begleiten. Denn uns muss doch klar sein: Gute Pflege, die tatsächlich bei den Menschen ankommt, passiert vor Ort, in Zusammenarbeit mit den Kommunen. Und deswegen müssen wir auch die Kommunen weiter stärken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich komme zum Schluss. Unsere Gesellschaft braucht eine langfristige, stabile finanzielle Absicherung des Pflegerisikos. Wir brauchen Maßnahmen zur Prävention von Pflegebedürftigkeit und Einsamkeit, konsequente Unterstützung für Familien und ihre Pflegebedürftigen und Pflege vor Ort, Angebote, die die Menschen unterstützen und stark machen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das Wort hat der Abgeordnete Kay-Uwe Ziegler für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7553154
Wahlperiode 20
Sitzung 100
Tagesordnungspunkt Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine