27.04.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 100 / Tagesordnungspunkt 9

Zanda MartensSPD - Betriebliche Mitbestimmung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Vor acht Jahren habe ich als Gewerkschaftssekretärin von Verdi zusammen mit mutigen und engagierten Kolleginnen und Kollegen die allererste Betriebsratswahl bei einem weltweit bekannten Paketdienstleister in Düsseldorf mit mehr als 500 Beschäftigten organisiert. Fünf Beschäftigte hätten schon genügt, damit ein Betriebsrat hätte gewählt werden müssen. Aber die Versuche der Beschäftigten, einen Betriebsrat zu wählen, waren schon mehrmals gescheitert.

Also habe ich penibelst auf jede rechtliche Kleinigkeit geachtet; wir haben uns jeden Schritt taktisch gründlich überlegt. Um unsere Kolleginnen und Kollegen möglichst lange zu schützen, habe ich die Einladung zur ersten Wahlversammlung an den Arbeitgeber übergeben: in vier Fremdsprachen – sonst: Wahlanfechtungsgrund –, mit einer notariellen Bescheinigung in der Tasche, dass wir Mitglieder im Betrieb haben – sonst: keine im Betrieb vertretene Gewerkschaft –, mit der Auskunft eines Kollegen von der Gewerkschaft der Polizei im Kopf, welche Wache zuständig ist, falls mein Besuch bereits vor dem Tor enden sollte.

Dann fand die Wahlversammlung in einem Saal hinten in einer benachbarten Kneipe bis mitten in die Nacht statt – außerhalb des Betriebs, um das Hausrecht besser verteidigen zu können, mit fünf hauptamtlichen Gewerkschaftssekretärinnen und ‑sekretären, um alle möglichen Störungen abzuwehren. Der Arbeitgeber war offenbar so überzeugt von der Sache, dass er sehr viele Beschäftigte zur Teilnahme an der Versammlung außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit mobilisiert hat: mit Schnitzel und Pommes auf seinen Deckel, aber nicht für die nachts malochenden Paketebe- und ‑entlader; die sollten froh sein, ein paar Stunden nicht arbeiten zu müssen.

Neben dem Vorschlag von Verdi kandidierten dann auch viele vom Arbeitgeber Gestärkte für den Wahlvorstand und wurden auch gewählt. Ein Wahlvorstandsmitglied trat kurz danach in Verdi ein; damit hatte die Gewerkschaft kein Teilnahmerecht bei Wahlvorstandssitzungen.

Unsere Kolleginnen und Kollegen kämpften unfassbar mutig und tapfer mit Argumenten und gegen immer wieder auftretende Gerüchte auf Hochglanzwahlwerbe-Flyern, dass es mit Verdi keine Überstundenzuschläge mehr geben würde oder mit Betriebsrat keine Tarifverträge mehr. Oder umgekehrt?

Trotz der Ohnmacht, wenn der Arbeitgeber gefühlt ein weiterer Mitbewerber ist, haben unsere Kolleginnen und Kollegen einen ehrlichen, sachlichen und authentischen Wahlkampf gemacht. Darauf bin ich bis heute stolz.

Am Wahltag musste ich dann doch die Telefonnummer der Wache wählen und zum ersten Mal bei einer Betriebsratswahl die Polizei rufen. Die von uns rechtzeitig und korrekt angemeldeten Wahlbeobachter durften nicht beobachten. Die Polizei fuhr vor, nahm die Personalien des Arbeitgebervertreters auf und versuchte, in einem Schlichtungsgespräch zu vermitteln, wie nahe die Beobachter der Wahlurne kommen dürfen, damit aus der Beobachtung nicht Behinderung wird.

Die Stimmauszählung brachte leider keine Überraschung und kein Wunder: Wir haben nicht die Mehrheit errungen, nicht einmal ein Viertel der Sitze, um Anträge stellen zu können. Aber die Frage ist schon berechtigt, wie die Wahl wohl ausgegangen wäre und welchen Betriebsrat die Beschäftigten ohne die gezielte Beeinflussung gewählt hätten.

Die Linke hat recht: Es ist höchste Zeit, dass wir Betriebsräte besser schützen und undemokratische Arbeitgeber härter bestrafen. Beeinflussung, Behinderung, Störung von Betriebsratswahl, ‑arbeit und Betriebsratsmitgliedern, das sind Straftaten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In der Praxis muss man allerdings keine überfüllten Gefängnisse oder überlastete Strafgerichte befürchten, aber nicht, weil diese Straftaten nicht verübt würden. Sie werden bloß kaum verfolgt und geahndet: zum einen, weil die Taten nur auf Antrag verfolgt werden – den muss man erst einmal gegen den eigenen Arbeitgeber stellen und begründen –, und zum anderen kennen sich die Staatsanwaltschaften mit vielen Straftaten aus, nur nicht mit Behinderung von Betriebsräten. Also werden die meisten von den wenigen Strafverfahren auch noch eingestellt.

Unser Arbeitsminister Hubertus Heil wird auch dafür sorgen, dass die Staatsanwaltschaften von Amts wegen demnächst auch ermitteln können.

(Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir schon selbst!)

Wenn die betriebliche Mitbestimmung leider nicht überall so funktioniert, wie es im Gesetz steht, müssen wir diejenigen schützen, die sich für unsere betriebliche Demokratie einsetzen und manchmal viel zu viel aufs Spiel setzen müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für die CDU/CSU erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Markus Reichel.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7553176
Wahlperiode 20
Sitzung 100
Tagesordnungspunkt Betriebliche Mitbestimmung
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