Nadja SthamerSPD - Friedensprozess in Äthiopien
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte vor ein paar Jahren selber die Gelegenheit, für die Friedrich-Ebert-Stiftung drei Monate in Äthiopien arbeiten zu dürfen. In der Zeit bin ich ziemlich viel im Land unterwegs gewesen. Da haben sich mir manche Sachen sehr eindrücklich eingebrannt, zum Beispiel die Bilder der vielen Viehhirten, die in den ländlichen Regionen alle bewaffnet sind, ob mit Gewehren oder Kleinwaffen. Das führt dazu, dass die lokalen Konflikte um Wasser, um Land und andere Ressourcen schnell blutig eskalieren. Diese tägliche Unsicherheit, egal ob beim Wasserholen oder auf dem oft ziemlich langen Weg zur Schule, ist doch unvorstellbar.
Es freut mich, dass zahlreichen Menschen und Organisationen auch hier in Deutschland die äthiopische Bevölkerung am Herzen liegt. Meine Heimatstadt Leipzig ist Partnerstadt von Addis Abeba. Auch Vereine wie Etiopia-Witten setzen sich ganz konkret für eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung im Land ein.
Ich war ziemlich erleichtert, als die Konfliktparteien in Äthiopien im letzten November endlich einen dauerhaften Waffenstillstand vereinbart haben. Das ist ein wichtiger Schritt, kann aber eben nur der erste Schritt sein.
Was braucht es also konkret vor Ort, um einen Friedensprozess anzustoßen und auch nachhaltig auszugestalten? Und wie können wir als Koalition den Menschen in Äthiopien dabei helfen, das auch zu erreichen? Mit dem vorliegenden Antrag schlagen wir die nächsten Schritte zur weiteren Stabilisierung im Friedensprozess vor. Dazu haben wir heute schon viel gehört. Ich möchte aber auf einige Forderungen des Antrags ganz gezielt eingehen.
Als Erstes braucht es eine ehrliche Aussöhnung; denn die Lage in Äthiopien bleibt brenzlig. Die gravierenden Menschenrechtsverletzungen, die von allen Konfliktparteien begangen wurden, haben sich bei der Bevölkerung eingebrannt. Diese Verbrechen müssen umfassend aufgearbeitet und vor Gericht gebracht werden; denn nur so kann es echte Gerechtigkeit geben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Rainer Semet [FDP])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte den Fokus heute auf diejenigen richten, die in besonderem Maße von den Auswirkungen von Kriegen und Konflikten wie denen in Äthiopien betroffen sind und doch so leicht aus unserem Blickfeld geraten.
Wir wissen, dass Frauen von Hungersnöten stärker betroffen sind als Männer. Im Jahr 2021 waren beispielsweise 150 Millionen mehr Frauen als Männer von Hunger betroffen. Das hat strukturelle Gründe. Frauen verfügen über weniger finanzielle Ressourcen und weniger eigenes Ackerland. Zudem verzichten sie oft zugunsten ihrer Kinder auf die eigene Nahrungsmittelversorgung. Dennoch leidet laut der WHO etwa jedes dritte Kind in der Region unter Mangelernährung. Das BMZ und die Ministerin Svenja Schulze setzen hier mit der feministischen Entwicklungspolitik und dem Kernthema „Leben ohne Hunger“ die richtigen Schwerpunkte, um das SDG 2 auch wirklich erreichen zu können.
Frauen leiden durch Vergewaltigungen auf grausame Art und Weise in Kriegen und Konflikten. Davon sind sie ein Leben lang gezeichnet. Das BMZ beteiligt sich in Äthiopien an einem Programm, das Betroffene sozial und wirtschaftlich stärkt. Dies umfasst beispielsweise die individuelle Unterstützung zur Bewältigung der psychosozialen Folgen und die wirtschaftliche Absicherung der Frauen. Diese Projekte kann man einfach nicht genug wertschätzen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Eine notleidende Gruppe, die mir besonders am Herzen liegt, sind Kinder und Jugendliche. Der Antrag benennt das ganz deutlich. Im Tigray-Konflikt wurden Kinder und Jugendliche zwangsrekrutiert. Kindersoldaten wurden dort eingesetzt. Sie haben schreckliche Gewalterfahrungen gemacht. Sie waren auch von sexualisierter Gewalt und sogar Folter betroffen. Diese gravierenden Kinderrechtsverletzungen gilt es vollumfänglich im Rahmen von Transitional Justice aufzuarbeiten.
Letztes Jahr lag das Durchschnittsalter in Äthiopien bei 18,6 Jahren. Das heißt, ungefähr die Hälfte der äthiopischen Bevölkerung ist nicht mal volljährig. Dennoch sehen wir auf den Bildern von Friedensverhandlungen ziemlich oft ältere Männer, die miteinander verhandeln. Um Frieden jedoch nachhaltig zu verankern und breit aufzustellen, ist es absolut notwendig, die Jugend und natürlich auch die Frauen mit an die Verhandlungstische zu setzen und nicht über sie zu entscheiden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN und des Abg. Rainer Semet [FDP])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die aktuelle Situation im Sudan – dazu haben wir heute auch schon viel gehört –, einem direkten Nachbarland von Äthiopien, macht deutlich, dass wir die Konfliktherde in der Region nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Dafür ist ein dauerhafter Frieden in Äthiopien zu wichtig, zuallererst natürlich für die Menschen im Land, aber auch für die Stabilität in dieser Region.
Vom Krieg profitieren Diktatoren und Waffenkonzerne. Vom Frieden hingegen profitieren wir alle, und er schafft die Gerechtigkeit, die es braucht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Thomas Erndl für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7553220 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 100 |
Tagesordnungspunkt | Friedensprozess in Äthiopien |