27.04.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 100 / Tagesordnungspunkt 13

Michael MüllerSPD - Politik im Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich dominiert der Krieg gegen die Ukraine die außenpolitische Debatte. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass er über Europa hinaus dramatische Auswirkungen hat. Die multiplen Krisen unserer Zeit erlauben es nicht, den Blick von anderen Weltregionen abzuwenden. Gerade die humanitäre Lage im Nahen und Mittleren Osten und in Nordafrika betrifft uns unmittelbar, etwa durch starke Migrationswellen.

Nach knapp zwölf Jahren Bürgerkrieg befindet sich Syrien in einer der schwersten humanitären Krisen weltweit. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Millionen wurden vertrieben. Noch schlimmer ist die Lage im Jemen, wo mehr als 21 Millionen der 33 Millionen Einwohner auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, darunter 13 Millionen Kinder. Der Libanon befindet sich in einer existenziellen Wirtschaftskrise, und im Konflikt zwischen Israel und Palästina stehen die Zeichen ja keinesfalls auf Entspannung.

Hinzu kommt die Perspektivlosigkeit durch schlechte Arbeitsbedingungen, hohe Arbeitslosigkeit, eine fragile Wirtschaftslage. Auch die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Nahrungsmittelknappheit und Preisschwankungen bei Getreide auf den Weltmärkten setzen der Region und der schon vielerorts geschwächten Zivilbevölkerung zusätzlich zu. Umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung zahlreiche kurz- und langfristige Projekte vor Ort umsetzt und damit einen deutschen und europäischen Beitrag zur Stabilität und Entwicklung der Region leistet.

Meine Damen und Herren, ein Land, das als ein Schlüsselfaktor für die Stabilität in der Region gilt, ist der Irak. Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht beim Kampf gegen den IS, bei der Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte und beim Wiederaufbau des Landes. Gut, dass wir letzten Oktober im Bundestag beschlossen haben, das Anti-IS-Mandat zu verlängern; denn weiterhin steht der Irak vor großen Herausforderungen. Natürlich gilt es, ein Wiedererstarken des IS zu verhindern.

Wie wichtig die deutsche Präsenz aber auch ist, zeigt der aktuelle Evakuierungseinsatz der Bundeswehr im Sudan. Im Rahmen des Anti-IS-Mandats sind deutsche Soldatinnen und Soldaten in Jordanien stationiert. Ohne diesen Stützpunkt – ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt – wäre es logistisch wesentlich schwerer geworden, deutsche Staatsbürger und zahlreiche Menschen anderer Staaten so schnell aus dem umkämpften Land auszufliegen. An dieser Stelle möchte ich mich bei unseren Soldatinnen und Soldaten, aber natürlich auch bei den vielen zivilen Kräften für ihren Einsatz – ebenso in der Vergangenheit – bedanken. Denn nachhaltiger Frieden und Stabilität können nicht allein mit militärischen Mitteln erreicht werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zivile Maßnahmen können, wie aktuell im Irak, wirtschaftliche Perspektiven und Teilhabe für die Bevölkerung schaffen. Natürlich spielt hierbei auch die Arbeit des BMZ eine herausragende Rolle.

Meine Damen und Herren, wenn wir von Frieden und Sicherheit sprechen, dann dürfen wir den Klimawandel nicht vergessen. Zusätzlich zu den zahlreichen Spannungen und Problemen im Nahen und Mittleren Osten ist er ein weiterer Konflikttreiber. Die Auswirkungen sind schon jetzt deutlich zu spüren. So gehört wieder der Irak zu den Ländern, die weltweit am meisten vom Klimawandel betroffen sind. Die Menschen leiden besonders unter dem zunehmenden Wassermangel und Temperaturen von zum Teil deutlich über 50 Grad. In Ägypten haben sich die Niederschläge in den vergangenen 30 Jahren um 22 Prozent verringert. Schon jetzt ist Jordanien eines der trockensten Länder der Welt. Die östliche Mittelmeerregion hat im vergangenen Jahr die schlimmste Trockenheit seit Jahrhunderten erlebt. Diese Situation führt zu weiteren Fluchtbewegungen. Daher ist es wichtig, dass wir Klima, Frieden und Sicherheit zusammen denken, und es ist gut, dass die Bundesregierung auch eine Klimaaußenpolitik betreibt.

Meine Damen und Herren, bei allen Initiativen dürfen wir nicht vergessen, dass nach der US-amerikanischen Schwerpunktsetzung Richtung Pazifik eine Machtverschiebung in der Region stattgefunden hat, die exemplarisch ist für die immer stärker werdende multipolare Weltordnung. Zu dem geforderten pragmatischen Verfolgen von außenpolitischen Interessen gehört daher auch, die realpolitischen Gegebenheiten anzunehmen. So ist beispielsweise von der Isolation Russlands im Nahen und Mittleren Osten wenig zu spüren. Dass sich die Länder der Region automatisch an uns, der westlichen Seite, orientieren, ist kaum zu erwarten. Sie werden vielmehr die eigenen nationalstaatlichen Interessen als Grundlage für Zusammenarbeit und Kooperationen nehmen.

Wir brauchen uns hier nichts vorzumachen: Die überwiegende Zahl der Länder im Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika sind keine Demokratien, und die Zusammenarbeit ist alles andere als einfach. Trotzdem verfügt Deutschland nach wie vor über hohes diplomatisches Gewicht und wird vor Ort als verlässlicher und glaubwürdiger Partner geschätzt. Das müssen wir nutzen. Ein vertiefter Austausch und Kooperation mit dieser in unmittelbarer Nachbarschaft liegenden Region ist unerlässlich. Nur so können wir zu Krisenbewältigung und ‑prävention und der Bekämpfung von Fluchtursachen beitragen.

Das bringt mich zu meinem letzten Punkt: China. Die jüngsten Vermittlungen zur Annäherung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien durch China müssen genau beobachtet werden, und wenn sie das Potenzial haben, zu einer Deeskalation beizutragen, sollten wir solche Bemühungen ernst nehmen. Sie fallen in ein Momentum der Annäherung der Regionalmächte Türkei und Saudi Arabien, Ägypten und Katar, Arabische Emirate und Iran. Natürlich wissen wir: Trotz dieser oberflächlichen Tauwetterperiode bleiben die meisten tiefer gehenden Konflikte in der Region ungelöst. Die größte Gefahr geht dabei wahrscheinlich vom Iran und von den zu scheitern drohenden Atomverhandlungen aus. Aber gerade deswegen ist die Rolle Deutschlands und der EU wichtig. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich unsere Arbeit und Unterstützung im Nahen und Mittleren Osten intensiviert. Er ist und bleibt wichtig für uns. In unserem Einsatz für Frieden und Sicherheit für die Menschen im Nahen und Mittleren Osten werden wir nicht nachlassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Nächster Redner ist Stefan Keuter für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7553227
Wahlperiode 20
Sitzung 100
Tagesordnungspunkt Politik im Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika
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