Frank SchwabeSPD - Aktuelle Stunde - Gipfeltreffen Europarat in Island
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! In der Tat – Herr Laschet hat es gesagt – steht jetzt erst der vierte Gipfel an. Nach 18 Jahren findet mal wieder ein Gipfeltreffen des Europarats statt. Ich will ganz selbstbewusst sagen: Es gibt beim Europarat zwei Organe. Es gibt zum einen das Ministerkomitee, repräsentiert durch die Bundesregierung und 45 andere Regierungen, und es gibt die Parlamentarische Versammlung – dort ist auch der Deutsche Bundestag vertreten –, und es ist schon seit Langem eine Idee der Parlamentarischen Versammlung, also der Parlamentarierinnen und Parlamentarier, dass wir mal wieder ein solches Gipfeltreffen durchführen sollten.
Es brauchte am Ende in der Tat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den Ausschluss Russlands aus der Organisation, damit wir und auch die Regierungen verstanden haben, dass es Zeit ist, sich selbst erneut zu vergewissern, dass die Werte und Regeln des Europarats – Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat – gelten. Insofern leben wir auch diesbezüglich in einer Zeitenwende. Im besten Fall ist das Ergebnis des Gipfels in Reykjavík, dass wir uns neu besinnen auf die zentralen Werte des Europarats.
Wir haben diese tolle Institution – wir brauchen gar keine neuen Institutionen –, durch die sich 676 Millionen Menschen in Europa in die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte begeben. Wo sonst auf der Welt gibt es eigentlich eine solche Idee, die Idee, dass Nationalstaaten bereit sind, anzuerkennen, dass es über dem höchsten Gericht im Land noch ein anderes Gericht gibt – das ist das Gericht des Europarats –, wo man hingehen und am Ende Recht bekommen kann? Das Problem ist bloß, dass es immer mehr Länder gibt, die sagen: Es interessiert mich eigentlich nicht, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entscheidet. – Trotzdem gibt es in diesen Fällen Gerichtsurteile, übrigens auch im Fall Nawalny, weil Russland, auch wenn es nicht mehr Mitglied des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist, bei Altfällen immer noch dessen Gerichtsbarkeit unterliegt.
Wir haben aber auch die Situation in der Türkei. Wir haben leider auch in Großbritannien eine schwierige Situation, was das Thema Migration angeht. Und wir haben in Bulgarien die Situation, dass das Verfassungsgericht festgestellt hat, dass zum Beispiel die Istanbul-Konvention des Europarats nicht mit der Verfassung in Bulgarien vereinbar sei. Das ist das, worum es geht. Reykjavík muss eine neue Selbstvergewisserung sein und muss allen Regierungen in den Mitgliedstaaten des Europarats klarmachen, dass die Gerichtsurteile des Europäischen Gerichtshofs zu gelten haben und am Ende auf der nationalen Ebene auf Punkt und Komma umgesetzt werden müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU] und Andrej Hunko [DIE LINKE])
Es geht darum, die Europäische Menschenrechtskonvention und damit den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu stärken, zum Beispiel dadurch, dass die Europäische Union der Europäischen Menschenrechtskonvention beitritt,
(Konstantin Kuhle [FDP]: Sehr gut!)
dadurch, dass wir die finanzielle Grundlage des Europarats stärken. Vielen Dank an die Bundesregierung dafür, dass sie diese klare Position einbringt! Vielen Dank an den Deutschen Bundestag, dass wir zusätzliche Beiträge an den Europarat geleistet haben! Das alles reicht aber nicht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte muss handlungsfähig sein, und dafür braucht er eine ordentliche finanzielle Ausstattung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Armin Laschet [CDU/CSU])
Wir reden in Reykjavík über neue Dimensionen der Menschenrechte, über die Fragen von künstlicher Intelligenz und der Dimension des Umweltschutzes, die dazukommen müssen. Wir reden darüber, wie wir Jugend und Zivilgesellschaft sichtbarer machen können. Ich will deshalb schon dafür werben, dass wir wie im letzten Jahr hier im Deutschen Bundestag eine Konferenz mit der Jugend und vielen anderen durchführen, um über die Zukunft des Europarats und die Werte des Europarats zu diskutieren.
Ich komme zurück zu dem, was ich am Anfang gesagt habe. Der Grund dafür, dass es diesen Gipfel jetzt gibt, ist Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Deswegen wird in Reykjavík auch erwartet, dass wir klare Ansagen machen, wie wir mit der Ukraine weiter umgehen wollen. Das, was wir dort beschließen, ist wichtig für die Ukraine, aber am Ende wahrscheinlich auch stilbildend für andere Fragen, leider auch im Hinblick auf kriegerische Auseinandersetzungen in Europa und in der Welt. Es geht darum, Kriegsverbrechen weiter bestmöglich zu dokumentieren. Es geht darum, ein sogenanntes Schadensregister zu erstellen, damit Russland für die Kriegsverbrechen und für die Schäden, die es in der Ukraine anrichtet, haftbar gemacht werden kann. Und es geht darum, ein Tribunal auf den Weg zu bringen, um die Kriegsverbrecher in Russland für ihre Taten verantwortlich zu machen, vor Gericht zu stellen und am Ende auch zu verurteilen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist in der Tat dieser barbarische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der uns einen Schock versetzt hat, der uns hat erschaudern lassen, der uns aber auch dazu gebracht hat, uns noch mal Gedanken über das zu machen, was unser Wertefundament ist und wie wichtig es ist, uns darauf zu besinnen und diese Werte am Ende mit klaren Regeln durchzusetzen – deswegen dieser Gipfel in Reykjavík. Er wird nicht das Ende des Prozesses sein; aber ich glaube, er ist eine wichtige Etappe für die Zukunft des Europarats, für die Zukunft der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Kleinwächter für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7553843 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 103 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Gipfeltreffen Europarat in Island |