11.05.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 103 / Zusatzpunkt 5

Christoph HoffmannFDP - Aktuelle Stunde - Gipfeltreffen Europarat in Island

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Sitze im Gebäude des Europarates in Straßburg sind abgewetzt, glänzend speckig, und die Spiralfedern von unten sind spürbar.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Waren Sie das letzte Mal nicht da? Der Saal wird renoviert!)

Das Gebäude ist in die Jahre gekommen, eine Renovierung, ein Facelift unabdingbar.

(Stephan Brandner [AfD]: Läuft schon!)

Aber nicht nur Mobiliar und Gebäude, auch die Software und der Europarat insgesamt brauchen ein Update. Aber ist der Wille wirklich da, das anzugehen und das auch dauerhaft zu finanzieren? Deshalb ist der vierte Gipfel in Reykjavík jetzt so wichtig, eigentlich historisch. Er ist der Zeitenwende angemessen. Es ist erschreckend, dass der Weckruf für einen neuen Gipfel ein Krieg in Europa war.

Dem Europarat, der ältesten und führenden gesamteuropäischen Organisation dieses Kontinents, kommt eine entscheidende Rolle als Hüter der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit zu. Der Gipfel in Reykjavík, das vierte Gipfeltreffen des Europarats in seiner langen Geschichte, soll dafür sorgen, dass der Europarat seinen Zweck erfüllt, die aktuellen und zukünftigen Aufgaben angehen kann sowie den Erwartungen einer künftigen Generation gerecht werden kann. Fit für eine neue digitale Welt, fit für eine multipolare Welt, fit für neue Machtgefüge, fit für neue Staaten – wir haben es im Fall Kosovo gehört –, fit für neue Aufgaben, das sind die Erwartungen an den Gipfel in Reykjavík.

Aber machen wir uns nichts vor, meine sehr geehrten Damen und Herren: Europa verliert an Bedeutung im Vergleich zum Rest der Welt. Die Weltbevölkerung liegt heute bei etwa 8 Milliarden, wächst auf 10 Milliarden, und weniger als 10 Prozent werden im europäischen Raum leben. Wir haben eine Überalterung unserer Gesellschaft in Europa. Aber auch die Wirtschaftskraft ist im globalen Vergleich nicht mehr ganz so bedeutend. Der pazifische Raum mit China, Indien, ASEAN, Indonesien hat enorme Kaufkraft hinzugewonnen. Daher ist die Logik „Alle folgen Europas Standards aufgrund der Kaufkraft der Europäer“ nicht mehr gegeben. Hier darf sich Europa nicht überschätzen. Es darf sich nicht überschätzen und glauben, dass seine Normen und Werte automatisch respektiert werden. Das ist die neue Welt. Wir müssen vielmehr überzeugen, dass wir wirklich das beste System an Werten haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Knut Abraham [CDU/CSU])

– Danke schön. – Die Hauptfrage beim Gipfel muss daher lauten: Wie können wir unsere Werte und demokratischen Grundsätze in einer modernen Welt sichern? Wir Freie Demokraten meinen: durch überzeugende Leistungen der Staaten. Wir müssen auch besser, schneller, flexibler werden, aber fest in unseren Grundwerten.

Die Grundlage der Demokratie sind rechtsstaatliche Grundprinzipien. Hier ist die Gewaltenteilung eine Errungenschaft, die immer wieder angegriffen wird, aber auch verteidigt werden muss. In Polen nutzt die Regierung die Medien für nationalistische Propaganda, untergräbt die Rechte von Frauen und Minderheiten, von der Krise des Rechtsstaats ganz zu schweigen. In Ungarn hat die Regierungspartei fast uneingeschränkt Macht. Sie kontrolliert die Medien, schränkt den zivilgesellschaftlichen Aktionsradius ein

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Ist ja fast wie bei uns!)

und untergräbt die notwendige Geschlossenheit gegenüber dem Aggressor Russland. Das kann nicht angehen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Unsere Werte müssen mit einer modernen Agenda propagiert und verteidigt werden. Wir müssen der Propaganda der Autokraten unsere Botschaften und vor allem unsere wirtschaftlichen und sozialen Erfolge aktiv entgegenstellen. Die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts muss in den Mittelpunkt gestellt werden, und die geht nur mit Freiheit, ohne staatlich überbordende Gängelung. Dafür stehen die FDP hier im Haus und die Liberalen in Europa.

(Zuruf des Abg. Christian Petry [SPD])

Unsere kulturelle Zusammenarbeit in Europa muss sich verbessern, sodass Berufsabschlüsse und Studienabschlüsse vergleichbar sind und Freizügigkeit tatsächlich ermöglichen. Hier gibt es immense Potenziale zu heben, Stichwort „Berufsanerkennung über alle Grenzen“. Das wäre ein guter Schritt des Europarats.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Boris Mijatović [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In der neuen Zeit gibt es neue Herausforderungen. Wir sehen Kriege ohne Kriegserklärung, hybride Kriege mit Cyberangriffen, nicht nur auf Institutionen, sondern auch auf unsere Meinungen, auf unsere Werte. Hierauf brauchen wir klare Antworten. Es ist gut, dass auf dem Gipfel ein Schadensregister für die Ukraine etabliert werden soll, nicht nur für die Schäden, sondern auch für die Menschenrechtsverletzungen.

Ich hoffe und ich bin überzeugt, dass unser Kanzler Scholz, die isländische Ratspräsidentin und alle Beteiligten diesen historischen Gipfel zu einem erfolgreichen vierten Gipfel machen werden. Das sind wir nicht nur jenen schuldig, die für unsere, für europäische Werte mitten in Europa sterben, sondern auch der Jugend Europas.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Knut Abraham [CDU/CSU])

Das Wort hat Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christian Petry [SPD] und Boris Mijatović [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sehr guter Mann!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7553858
Wahlperiode 20
Sitzung 103
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Gipfeltreffen Europarat in Island
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