25.05.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 106 / Tagesordnungspunkt 14

Derya Türk-NachbaurSPD - 30 Jahre Int. Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Alle meine Kinder sind umgekommen … Sechs Söhne … zwei Brüder … acht Cousins … und am Ende haben sie meine Schwester aufgehängt … Ich habe keinen mehr“, so eine Angehörige der Opfer von Srebrenica gegenüber dem Journalisten Adnan Rondic. Rondic hat zahlreiche dieser Aussagen in seinem Buch für die Nachwelt gesammelt und festgehalten.

Wir sprechen über den ersten Völkermord auf europäischem Boden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Bei diesem Genozid wurden im Sommer 1995 über 8 000 Bosniaken, meist Jungen und Männer, im Zuge der ethnischen Säuberung ermordet, Frauen und Mädchen vergewaltigt, misshandelt und umgebracht. Das 30-jährige Jubiläum heute ist daher für uns Menschenrechtler/-innen nicht irgendein Jubiläum, sondern es ist eine hohe Feierstunde gegen die Straflosigkeit und eine eindringliche Warnung an alle Massen- und Völkermörder weltweit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

„Wir haben unsere Söhne nicht ohne Kopf und ohne Füße zur Welt gebracht – aber so ist es nun einmal. Zu viele Mütter starben, und jemand musste ihre Söhne begraben, bevor niemand mehr übrig war. Wir müssen sie mit dem begraben, was wir haben“, sagt Munira Subasic, die Vorsitzende der „Mütter von Srebrenica“. Sie ist eine von vielen Frauen, deren Sohn und Ehemann von der serbischen Armee ermordet worden sind. Es waren die Frauen und Mütter aus Srebrenica, die bei der Verurteilung der Kriegsverbrecher vor dem Internationalen Strafgerichtshof eine ganz wichtige Rolle spielten. Noch heute kämpfen sie für Gerechtigkeit und versuchen, die Toten aus den Massengräbern zu identifizieren, um sie ihren trauernden Angehörigen zu übergeben. Manchmal sind es nur einzelne Knochenteile, die bestattet werden können. Aufarbeitung beginnt mit der Anerkennung von Verbrechen. Aufarbeitung kann nur geschehen, wenn Gerechtigkeit widerfährt. Eine Zukunft kann es nur geben, wenn die Vergangenheit aufgearbeitet ist und alle Täter bestraft werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Für die Angehörigen der Opfer im heutigen Bosnien-Herzegowina und Kosovo war der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien elementar wichtig, um die bodenlose Trauer überhaupt beginnen zu dürfen. Die Verurteilungen waren auch die Grundlage für die Aufarbeitung. Die Dokumentation der Verbrechen hat dazu beigetragen, die Anerkennung des bestialischen Leids, das diesen Menschen widerfahren ist, für die Nachwelt festzuhalten. Der Internationale Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien war jedoch auch ein Faktor der Stabilität für den gesamten Balkan und somit für ganz Europa. Hier wurde der Glaube an eine unabhängige Justiz wenigstens ein Stück weit wiederhergestellt. Massenmörder wie der ehemalige Präsident Milosevic wurden hier angeklagt und mussten sich den Opfern und vor allem den Richterinnen und Richtern stellen. Der „Schlächter vom Balkan“, Ratko Mladic, und Radovan Karadzic als Architekt dieser bestialischen Morde wurden in Den Haag auch mehr als zwei Jahrzehnte nach ihren Gräueltaten bestraft. Den Haag steht für eine unparteiische Justiz und für die Herrschaft des Rechts.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Die Mühlen der Justiz mahlen zwar langsam, aber am Ende steht doch immer die Botschaft: Massenmörder und Menschenschlächter können sich niemals verkriechen, wir sind hinter ihnen her!

Wenn wir heute ein Stück weiter nordöstlich von Bosnien-Herzegowina schauen, dann brennen sich heute, 28 Jahre nach den Verbrechen, Städtenamen wie Butscha, Cherson und Mariupol in die Liste der Orte des Schreckens sein. Auch in der Ukraine verübt die Russische Föderation unmenschliche Verbrechen, und auch dort werden die Täter irgendwann für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Ingmar Jung [CDU/CSU])

Der Haftbefehl gegen Putin ist hier ein wichtiger Meilenstein. In diesem Kontext ist die Einsetzung eines Sondertribunals unumgänglich. Wir werden uns für diese Lösung gemeinsam mit aller Kraft einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Ingmar Jung [CDU/CSU])

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Tobias Matthias Peterka.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7554444
Wahlperiode 20
Sitzung 106
Tagesordnungspunkt 30 Jahre Int. Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien
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