25.05.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 106 / Tagesordnungspunkt 14

Adis AhmetovicSPD - 30 Jahre Int. Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von 1999 bis 2007 war Carla del Ponte Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien. Zum Prozessauftakt gegen Slobodan Milosevic am 12. Februar 2002 sagte sie in ihrem Eingangsstatement – ich zitiere –: Dieses Tribunal und dieser Prozess im Besonderen sind der eindringlichste Beweis dafür, dass niemand über dem Gesetz oder außerhalb der Reichweite der internationalen Justiz steht.

Genau heute vor 30 Jahren wurde der ICTY basierend auf der Resolution 827 des UN-Sicherheitsrats eingerichtet, um die Hauptverantwortlichen der gravierenden Verbrechen anzuklagen und zu verfolgen, welche ab 1991 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens verübt wurden. Die Gräueltaten basierten auf einer ethno-faschistischen Ideologie, dem Traum von „ethnisch reinen“ Gebieten und der skrupellosen Vergrößerung von Staatsgrenzen. Slobodan Milosevic und sein Machtapparat wollten ihre Großmachtfantasien durch ethnische Säuberungen unter anderem in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina umsetzen und schufen damit eine undenkbare neue Form von menschenverachtender Politik in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Das hatte zur Folge: über 150 000 Tote, über 3 Millionen Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, Millionen traumatisierte Menschen. Diese Kriege wurden brutal und grausam gegen die Zivilbevölkerung geführt, in einem Ausmaß, welches nur schwer vorstellbar ist: systematische Vergewaltigungen von Frauen als Kriegswaffe, etliche Massaker an unschuldigen Zivilisten, darunter auch viele Frauen und Kinder, Internierungslager, in denen systematisch gefoltert und gemordet wurde, die fast vierjährige Belagerung von Sarajevo, während der Scharfschützenangriffe auf und Bombardierungen von unschuldigen Zivilisten zum Alltag gehörten, und nicht zuletzt der Genozid von Srebrenica, bei dem über 8 300 Menschen ermordet wurden. All das sind dabei nur einige der fürchterlichen Erinnerungen, welche wir mit diesen Kriegen verbinden.

Deshalb ist die Arbeit des ICTY ein wichtiger Meilenstein in der Aufarbeitung dieser Verbrechen:

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Erstens stellte er sicher, dass die schwerwiegendsten Verbrechen nicht straflos bleiben, zweitens, dass belastbare, objektive Informationsquellen zur Verfügung stehen, um klarzumachen, was wirklich passierte, drittens, dass den Opfern und den Angehörigen ein Raum gegeben wurde, in dem sie vor den Augen der Weltöffentlichkeit von dem Unrecht berichten konnten, welches ihnen zugefügt wurde, und abschließend, viertens, eine effektive Anwendung und Stärkung des internationalen Rechts.

Opfern von Kriegsverbrechen und ihren Angehörigen geht es nicht um Rache; denen geht es um Gerechtigkeit. Es geht ihnen um die Verurteilung des Unrechts, welches ihnen und Tausenden anderen Frauen und Männern, Familien und Kindern zugefügt wurde, und um die klare Benennung und Bestrafung der Täterinnen und Täter. Der ICTY konnte hierzu einen fundamentalen Beitrag leisten. Danke an alle, die mitgewirkt haben, und vor allem für den Mut der Opfer und Angehörigen, die ständig dazu ausgesagt haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Das allergrößte Problem, das wir jetzt noch haben, und warum es so wichtig ist, dass wir diese Debatte haben, ist, dass es immer noch ethno-nationalistische Ideologien auf dem westlichen Balkan gibt. Es ist unser historisches Erbe und unsere europäische Verantwortung, diese Ideologien entschlossen zurückzudrängen; denn es kann nicht sein, dass 30 Jahre nach der Einführung des ICTY immer noch Kriegsverbrecher und ihre Taten glorifiziert werden.

(Zuruf des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU])

Über 200 Wandbilder von Ratko Mladic in Serbien wurden immer noch nicht entfernt, sondern werden abgefeiert. Das ist nicht hinnehmbar, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Zum Abschluss. Der Titel dieser Debatte heißt „Aufarbeitung bleibt Auftrag“. Ja, es bleibt ein Auftrag, nicht nur im Sinne und in Bezug auf die Kriege im ehemaligen Jugoslawien, sondern vor allem auch auf die in Osteuropa, in der Ukraine. Es wird der Tag kommen, an dem der Krieg in der Ukraine zu Ende ist. Lassen Sie uns daran mitwirken, dass es eine lückenlose juristische Aufarbeitung der Kriegsverbrechen dort gibt! Und lassen Sie uns daran mitwirken, dass kein Opfer und keine Angehörigen vergessen werden!

Vielen Dank für die Debatte und danke, Boris Mijatović, fürs Aufsetzen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Der nächste Redner ist Robert Farle.

(Adis Ahmetovic [SPD]: Um Gottes willen!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7554450
Wahlperiode 20
Sitzung 106
Tagesordnungspunkt 30 Jahre Int. Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien
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