25.05.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 106 / Tagesordnungspunkt 21

Ulrich LechteFDP - Russische Wagner-Gruppe

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die russische Söldnertruppe Wagner ist spätestens seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine uns allen, die wir hier sitzen, ein Begriff. Das private Militärunternehmen operiert aber schon lange, unter anderem in Venezuela, Syrien, Libyen, in der Zentralafrikanischen Republik oder zuletzt auch in Mali, als verlängerter Arm des Kremls und wird für eine Vielzahl von Menschenrechtsverbrechen verantwortlich gemacht. Dabei stützt die paramilitärische Organisation autoritäre Regime, raubt Bodenschätze und fungiert als Destabilisierungsinstrument im Auftrag Putins.

Dass man in dem Zusammenhang auf den Gedanken kommen könnte, die Wagner-Gruppe auf die EU-Terrorliste zu setzen, ist nachvollziehbar, liebe CDU/CSU-Fraktion. Und ja, ich bin mir dessen auch bewusst, dass eine solche Entscheidung von symbolischem Wert wäre. Aber das erfasst nicht das gesamte Problem; denn mir ist keine nationale Entscheidung in einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Land bekannt, die die Listungskriterien der EU erfüllen würde. Auch die Forderung der französischen Nationalversammlung, die Sie wohl als Anlass für diesen Antrag nehmen, oder der Beschluss des litauischen Parlaments bzw. des Europaparlaments haben in dem Fall nur einen symbolischen Charakter und keine unmittelbaren Folgen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Schraps [SPD]: So ist es! Genau so ist es!)

Erlauben Sie eine Zwischenfrage von Jürgen Hardt?

Ja, ich lasse mich auf das Spiel ein.

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Och, Mann! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Uli, nein!)

Er durfte ja heute nicht reden; die Fraktion hat ihm keine Redezeit gegeben.

Lieber Herr Kollege Lechte, danke für die Gelegenheit. – Sie sind jetzt der dritte Redner der Koalition, der diesem Antrag im Grundsatz zustimmt. Ich möchte das, was Herr Stegner gesagt hat, zurückweisen. Das ist kein parteipolitisches Manöver.

(Johannes Schraps [SPD]: Das sehen wir alle außer Ihnen so!)

Im Gegenteil: Eine Entscheidung zu vertagen, obwohl eine Mehrheit im Hause da ist, das würde ich als ein solches Manöver bezeichnen.

(Gabriele Katzmarek [SPD]: Zu wem wollen Sie jetzt sprechen?)

Immerhin tagt in vier Wochen der Europäische Rat. Es wäre doch total gut, wenn der deutsche Bundeskanzler gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten sagen könnte: Unsere Parlamente fordern das von uns in der Europäischen Union. Ich bin auch sicher: Wenn wir heute dieses Signal setzen, wird es andere Parlamente in Europäischen Union geben, die vor dem Rat Ende Juni eine solche Entscheidung treffen. Dann bekommt die Sache eine Dynamik, die wir hier eigentlich alle wollen, die aber durch die Vertagung gebremst wird.

Ich möchte einfach appellieren, noch mal darüber nachzudenken, ob das wirklich der richtige Weg ist.

(Gabriele Katzmarek [SPD]: Und die Frage war jetzt?)

Das war schon fast ein Statement, lieber Kollege Hardt. Aber wir sind uns beide darüber im Klaren, dass die rechtliche Lage in der Europäischen Union dies derzeit nicht zulässt. Deswegen habe ich vorhin auch bei der Kollegin Leikert dazwischengerufen, dass Großbritannien nicht mehr Teil der Europäischen Union ist.

Es gibt derzeit einfach keine rechtliche Möglichkeit, die Terrorlistung der Wagner-Gruppe ebenso wie die der iranischen Revolutionsgarden – darauf verweist der Kollege Röttgen ja immer wieder – vorzunehmen. Ich gehe mal davon aus, dass wir alle zustimmen, dass wir gemeinsam Europa aufgebaut und rechtsstaatlich organisiert haben; und solange das EU-Recht es nicht hergibt, können wir so viele symbolische Beschlüsse fassen, wie wir wollen. Deswegen sind wir sehr irritiert über den Antrag der Union, die ja eigentlich zu unserem Klub gehört und die weiß, dass auch wir das alles verurteilen, was Wagner weltweit macht, was die Revolutionsgarden machen.

(Johannes Schraps [SPD]: Genau!)

Aber wenn es rechtlich nicht möglich ist, brauchen wir hier auch keine Fensteranträge aus der Opposition. Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Schraps [SPD]: Vollkommen richtig! Genauso ist es!)

Dennoch möchte ich auch in der heutigen Debatte nicht unausgesprochen lassen, dass wir alle – da beziehe ich die Union mit ein – die Wagner-Truppe sehr wohl als gewalttätige und menschenverachtende Söldnertruppe einstufen und diese auch entsprechend sanktioniert haben. Wir verachten ihre Machenschaften im Auftrag des Kremls und seines Potentaten Wladimir Putin in Gänze.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Noch mal zur Erinnerung: Bereits im Dezember 2021 hat die EU Sanktionen gegen die Organisation und deren Gründer Dmitri Utkin verhängt. Im Februar 2023 wurden konkret elf Personen sowie sieben Organisationen, die mit der Wagner-Gruppe in Verbindung stehen, seitens der EU sanktioniert. Zudem wurde erst letzten April der EU-Rat, von dem gerade gesprochen wurde, aktiv; er hat die Söldnertruppe wegen deren Beteiligung am Krieg gegen die Ukraine mit Strafmaßnahmen belegt und auf seine Ukraine-Sanktionsliste gesetzt, darunter auch den Chef der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin. Der Grund ist die aktive Beteiligung am russischen Angriffskrieg und die damit verbundene Bedrohung der territorialen Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine. In diesem Zusammenhang wurden die Personen mit EU-Reisebeschränkungen belegt, bestehende Vermögenswerte wurden eingefroren und jedwede Unterstützung der Gruppierung durch Organisationen oder Einzelpersonen seitens der EU untersagt.

(Zuruf des Abg. Dr. Ralf Stegner [SPD])

Das sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, zielgerichtete und effektive Maßnahmen, die wir bereits umgesetzt haben und auch weiterhin vorantreiben werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das wären im Übrigen auch die Folgen der EU-Terrorlistung, die Sie in Ihrem Antrag fordern. Somit soll Ihr heutiger, leider erneut nur volkstümlicher Antrag – ich möchte jetzt explizit nicht „populistischer Antrag“ sagen –

(Dr. Katja Leikert [CDU/CSU]: Das ist wirklich komplett unnötig, Herr Lechte! Nein!)

allein suggerieren, dass wir als Koalition uns gegen die Einstufung sträuben.

Die reine Listung der Gruppe Wagner auf der EU-Terrorliste würde keinerlei praktische Auswirkungen haben. Es wäre auch für den Kreml schlicht irrelevant, ob wir eine Söldnergruppe, zu der sich Putin nicht öffentlich bekennt, listen würden oder nicht. Zudem ist das Argument, dass die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft bereits Ermittlungen gegen den Wagner-Chef Prigoschin aufgenommen hat, irreführend. Sie unterschlagen dabei, dass die Ukraine wegen unzähliger Kriegsverbrechen gegen ihn ermittelt und nicht wegen des Verdachts des Terrorismus.

(Johannes Schraps [SPD]: Richtig!)

Juristen sind da sehr scharf normalerweise.

(Dr. Katja Leikert [CDU/CSU]: Das ist kein Proseminar!)

Ihre Argumentationskette in Ihrem Antrag, warum die Söldnertruppe auf die EU-Terrorliste gesetzt werden soll, stützt sich letztlich auf Presseberichte, Absichtsbekundungen

(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Und die französische Nationalversammlung!)

sowie eine unabgeschlossene Ermittlung, bei der es nachweislich um Kriegsverbrechen, nicht aber um Terrorismus geht. Dementsprechend würde ich dafür plädieren, liebe Union, dass wir uns darauf fokussieren, die Einzeltäter, die abscheuliche Gräueltaten in der Ukraine, vor allem in Bachmut, Butscha oder Soledar, aber auch auf dem afrikanischen Kontinent, im Nahen Osten verübt haben, ausfindig zu machen –

Kommen Sie bitte zum Schluss.

– und diese Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof anzuklagen; denn nur das hat eine wirklich abschreckende Wirkung.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7554526
Wahlperiode 20
Sitzung 106
Tagesordnungspunkt Russische Wagner-Gruppe
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