26.05.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 107 / Tagesordnungspunkt 26

Stephan StrackeCDU/CSU - Bürokratiearme Regelung der Arbeitszeiterfassung

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ton, den die Ampelparteien untereinander pflegen, ist tatsächlich bezeichnend für den Zustand dieser Koalition. In keinem wesentlichen Vorhaben besteht in irgendeiner Weise Einigkeit:

(Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU]: Ja, so ist das!)

beim Haushalt nicht, bei der Wärmewende nicht und bei vielen anderen Dingen auch nicht.

(Kaweh Mansoori [SPD]: Sie können auch vom Wetter sprechen, Herr Stracke! Kein Problem! Das steht nur nicht auf der Tagesordnung!)

Das, was wir tagtäglich bei Habeck und Lindner erleben müssen, setzt sich jetzt eins zu eins auch bei Hubertus Heil fort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn ich daran erinnern darf: Die Bildungszeit, die eigentlich im Zusammenhang mit dem Weiterbildungsgesetz vorgesehen war – vertagt und gestrichen. Die Regelung zur Geltung des Mindestlohns und des Arbeitsschutzes für Kraftfahrer im Straßenverkehr – der Gesetzentwurf dazu wurde diese Woche auch abgesetzt, auch wieder vertagt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Marc Biadacz [CDU/CSU]: Was ist da los?)

Und jetzt die Reform des Arbeitszeitgesetzes. Was wir heute erlebt haben, war ja ein sehr charmant verpackter Totalverriss vonseiten der FDP zu dem, was Hubertus Heil beabsichtigt und vorgelegt hat. Das zeigt: Diese Ampelkoalition entwickelt sich eigentlich zu einem Brummkreisel. Sie rotiert nur noch um sich selbst. Das ist aber das Gegenteil von Fortschritt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir als Union stehen für eine grundlegende Modernisierung des Arbeitszeitrechts. Wir brauchen eine flexible, eine unkomplizierte, eine unbürokratische Arbeitszeitgestaltung. Nur so werden wir den Bedürfnissen der Unternehmen und vor allem auch der Beschäftigten nach mehr selbstbestimmter Arbeit in einer modernen Arbeitswelt gerecht. Wir wollen mehr Raum für Freiheit und Selbstbestimmtheit, ohne zugleich den Einzelnen zu überfordern.

(Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Wo ist denn der Vorschlag zur Selbstbestimmung?)

Das ist gerade im Sinne eines effektiven Arbeitsschutzes von enormer Bedeutung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diesem Anspruch werden die Vorschläge von Bundesarbeitsminister Heil in keiner Weise gerecht. Sie nutzen die Spielräume, die Ihnen das Europarecht bietet, nicht. Nein, Sie verschärfen ohne Not die Regelungen zur Arbeitszeiterfassung.

Deutlich wird ja: Die Beschäftigten wollen ihre Arbeitszeit möglichst selbstbestimmt und frei einteilen.

(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Was hat das mit der Erfassung zu tun?)

Dort, wo die Notwendigkeiten des Betriebes dafür Raum geben, brauchen wir möglichst flexible Arbeitszeitmodelle.

(Kaweh Mansoori [SPD]: Das steht doch im Gesetz, Herr Stracke!)

Die werden in der Praxis schon vielfach gelebt: Gleitzeit, Arbeitszeitkonten, mobiles Arbeiten, Homeoffice, aber eben auch Vertrauensarbeitszeit. Das ist wichtig für die verbesserte Vereinbarkeit mit Familie und Privatleben, gerade dann, wenn es darum geht, Kinder zu betreuen, Familienangehörige zu pflegen oder sich selbst beruflich weiterzuentwickeln. Wir wollen diese Flexibilität befördern.

(Kaweh Mansoori [SPD]: In welche Richtung denn?)

Wir wollen sie nicht eingrenzen oder beenden, so wie es das Ministerium und Teile dieses Hauses tatsächlich wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das, was der Bundesarbeitsminister beispielsweise will, ist, dass die Arbeitszeit standardmäßig elektronisch aufgezeichnet werden muss, und das auch noch am selben Tag. Das ist eine vollkommen unnötige Gängelung in der Arbeitspraxis in diesem Bereich.

(Zuruf der Abg. Susanne Ferschl [DIE LINKE])

Im Übrigen fordern auch das europäische Recht und die Rechtsprechung eine solche Verschärfung nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Form der Arbeitszeiterfassung muss frei bleiben, und die Frist zur Eintragung muss mindestens sieben Tage betragen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht nicht! Gibt es eine Begründung dafür?)

Das Mindestlohngesetz gibt uns dafür einen guten Orientierungsrahmen. Deswegen muss das Motto an dieser Stelle lauten: Mehr Nahles und weniger Heil. Dann haben wir auch eine vernünftige und praxistaugliche Lösung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion – –

Und wir brauchen eine verlässliche Lösung für die Vertrauensarbeit.

Herr Abgeordneter!

Ja.

Ist es so laut? – Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?

Ja, selbstverständlich. – Frau Ferschl, bitte schön.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Danke, Kollege Stephan Stracke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade davon gesprochen, dass es eine Zumutung wäre, wenn die Arbeitszeiten am gleichen Tag erfasst werden müssten, und dass mindestens sieben Tage dafür Zeit gegeben werden müsse. Was antworten Sie denn den Kolleginnen und Kollegen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die auf die Frage, was es ihnen erleichtern würde, die Einhaltung des Mindestlohns besser kontrollieren zu können, immer sagen, sie bräuchten dazu eine tagesaktuelle elektronische Arbeitszeiterfassung? Was würden Sie den Kolleginnen und Kollegen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit antworten? Oder wollen Sie deren Arbeit gar nicht unterstützen?

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Werte Frau Kollegin, wir haben gerade im Rahmen der Mindestlohndebatte diese Abwägung vorgenommen und gesagt: Es genügt – das eröffnet im Übrigen auch das derzeitige Recht –, dass die Arbeitszeiterfassung im Baugewerbe und in schwarzarbeitsgeneigten Bereichen innerhalb eines Siebentagezeitraums geschieht, also dass es diese Wochenbetrachtung gibt.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Antwort auf die Frage!)

Das so zu tun und dabei zu bleiben, ist doch vollkommen richtig. Deswegen sehen wir da überhaupt keinen Veränderungsbedarf.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FKS sagt aber was anderes!)

Von dieser standardisierten Pflicht, tagesgleich aufschreiben zu müssen, dann nur noch über Tarifverträge abweichen zu können, so wie das der Arbeitsminister vorsieht, greift in diesem Fall auch zu kurz, weil es bei dieser Frage schon im Prinzip darum geht, dass man um Arbeitsschutz ringt und nicht um eine Stärkung von Gewerkschaften.

(Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Herumgeeiere ist das! Das ist nicht die Antwort auf die Frage!)

Das ist keine staatliche Aufgabe an dieser Stelle.

Deswegen wird aus unserer Sicht nicht Standard sein, dass tagesgleich aufgeschrieben werden muss.

(Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Antwort!)

Das ist vollkommen über das Ziel hinausgeschossen. Das führt zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand und zu Kosten, ohne dass tatsächlich ein effektiver Mehrwert da ist. Wir brauchen weniger Misstrauen in diesem Bereich, sondern auch Zutrauen in die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Gesamtheit der Branchen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Sie spezifisch etwas verändern wollen, dann tun Sie das bei den schwarzarbeitsgeneigten Gewerbebereichen, aber nicht generell für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land. Das ist vollkommen über das Ziel hinausgeschossen.

Erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal aus der SPD-Fraktion?

Ja, selbstverständlich. Gerne.

Sehr geehrter Herr Stracke, vielen Dank, dass Sie auch meine Zwischenfrage zulassen. – Es wurde vorhin ja mehrfach angedeutet, dass es wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gibt, dass es absolut und zwingend notwendig ist, dass Menschen – überwiegend auch, wenn sie älter werden – gewisse Ruhepausen einlegen müssen, damit sich ihr Körper wieder erholen kann. Es geht aber auch häufig um Menschen, die körperlich arbeiten müssen, die aber auch geistige Herausforderungen haben. Wie stehen Sie denn zu diesen wissenschaftlichen Expertisen? Wie wichtig sind Ihnen diese, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es gerade Ihre Partei ist, die darauf abzielt, Menschen bis 72 Jahre arbeiten zu lassen? Das würde mich doch mal interessieren.

Werte Frau Kollegin, wenn wir darum ringen, dass wir mehr Flexibilität im Bereich der Arbeitszeit brauchen, dann geht es aus unserer Sicht nicht darum, dass wir das Volumen an Arbeitszeit erhöhen wollen, sondern es geht einfach darum, dass die Verteilung innerhalb der Woche besser gelingt; ausschließlich darum geht es.

(Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU]: Genau!)

Es geht in diesem Bereich nicht darum, das Arbeitsvolumen zu erhöhen oder den Menschen weniger Pausen zu gewähren. Das ist doch vollkommen klar.

Wenn Sie immer sagen, dass das, was der europäische Rahmen Ihnen bietet, für Sie überhaupt nicht nachvollziehbar und gängig ist,

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch gar nicht die Frage!)

weil dieser Rahmen zwanghaft dazu führt, dass die Menschen in den Bereich getrieben werden, der ihre gesundheitlichen Möglichkeiten übersteigt, dann wäre es aber auch erforderlich, dass diese Bundesregierung eine Initiative auf europäischer Ebene ergreift und sagt: Wir müssen diese Spielräume, die die Arbeitszeitrichtlinie bietet, begrenzen. – Das tun Sie aber nicht.

(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Das ist doch jetzt echt ein Ausweichen! Entweder Sie finden es richtig oder falsch! – Zuruf des Abg. Kaweh Mansoori [SPD])

Sie begrenzen das in diesem Bereich nicht. Das müssten Sie aber, wenn Sie immer davon reden, dass letztendlich die Spielräume, die da sind, oder das Ausnutzen der europäischen Spielräume automatisch dazu führen, dass die Menschen dadurch letztendlich gesundheitlich beeinträchtigt werden. Das ist falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ansonsten: Machen Sie eine europäische Initiative, und dann werden Sie sehen, dass Sie da auf dem Holzweg sind, auch innerhalb von Europa.

(Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir brauchen nicht nur eine Modernisierung der Arbeitszeiterfassung, sondern natürlich auch des Arbeitszeitrechtes als solches. Die Ankündigung von Pascal Kober, dass jetzt auch das Arbeitszeitrecht als solches angepackt werden soll, höre ich wohl. Wir hatten im Ausschuss danach gefragt. Die Bundesregierung hatte uns geantwortet: Nein, nein; sie denke gar nicht daran, dies zu tun. Man brauche jetzt erst einmal einen Dialog mit den Sozialpartnern, weil das so viele Fragen berühren würde, dass das so schnell gar nicht ginge.

(Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich höre Ihre Worte, ich glaube Ihnen aber nicht. Stimmen Sie unserem Antrag zu.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das würde auch die Debatten in Ihrer Ampel beschleunigen.

Wir müssen endlich die Spielräume beim europäischen Arbeitszeitrecht nutzen. Wir wollen nicht, dass die Menschen länger arbeiten, wir wollen nicht, dass die Menschen weniger Pausen haben, sondern wir wollen, dass sie mehr Flexibilität bei der Verteilung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit haben. Das nennt man „Selbstbestimmtheit“. Das nennt man „moderne Arbeitswelt“. Handeln Sie entsprechend, und stimmen Sie unserem Antrag zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nächster Redner ist Jan Dieren für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7554592
Wahlperiode 20
Sitzung 107
Tagesordnungspunkt Bürokratiearme Regelung der Arbeitszeiterfassung
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