Katja AdlerFDP - Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer an den Bildschirmen! 48 Fälle sexualisierter Gewalt an Kindern werden jeden Tag der Polizei gemeldet. Viele Fälle mehr werden leider nicht entdeckt und nicht gemeldet. Schätzungsweise ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse sind von sexualisierter Gewalt betroffen.
Laut einer forsa-Umfrage vom Oktober 2021 halten es fast 90 Prozent der Befragten für wahrscheinlich, dass sexualisierte Gewalt vor allem in Familien stattfindet; aber 85 Prozent halten es gleichzeitig für unwahrscheinlich oder ausgeschlossen, dass sexualisierte Gewalt in ihrer eigenen Familie passiert oder passieren kann.
Sexualisierte Gewalt an Kindern ist ein ernstes Problem; gleichzeitig ist es unangenehm, diesen Straftaten – nichts anderes ist sexualisierte Gewalt an Kindern – mit offenem Visier entgegenzutreten. Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen gehört daher täglich auf die Tagesordnung unseres politischen Handelns.
(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Ja, dann machen Sie mal was!)
Mit den Vereinbarungen in unserem Koalitionsvertrag geben wir diesem Thema endlich mehr Gewicht: indem wir die Arbeit der UBSKM nun auf eine gesetzliche Grundlage stellen –
(Zuruf der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
mit regelmäßigen Berichtspflichten an den Bundestag –, indem wir den Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen verstetigen und indem wir die Unabhängige Aufarbeitungskommission sexueller Kindesmissbrauch weiterführen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wie kann Aufarbeitung gelingen? Der Institution, in der sexualisierte Gewalt stattfand, die Aufarbeitung allein zu überlassen, kann die notwendige Schonungslosigkeit behindern. Es braucht daher eine unabhängige, öffentliche Instanz, die so schonungslos, ehrlich und unabhängig wie nötig und möglich auch in Institutionen die Aufarbeitung und Aufklärung vorantreibt.
Es ist gut, dass es heute sowohl in der Politik als auch in der Kirche ein kindbezogenes Verständnis dieses massiven Problems gibt. Eine Aufarbeitungskommission jedoch, wie im Antrag der AfD gefordert, mit Parlamentariern zu besetzen und damit zu politisieren, sehen wir mehr als kritisch.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Täglich 48 gemeldete Fälle sexualisierter Gewalt an Kindern! Gleichzeitig lassen wir mitunter jede Sensibilität im Umgang mit dem Internet vergessen.
(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Und Sie auch!)
Wie massiv hat sich die Gegenwart in den letzten 20 Jahren verändert, insbesondere durch das Internet mit seinen Möglichkeiten, aber auch mit seinen Gefahren! Haben wir vor 20 Jahren noch das Fotoalbum mit den süßen Kinderfotos und mit den netten Urlaubserinnerungen von Hand zu Hand gereicht, wird heute von vielen Eltern nahezu jeder Schritt des Kindes, und ist der auch noch so peinlich, ins Netz gestellt – unwiderruflich, öffentlich.
Bekanntes Beispiel aus der früheren analogen Welt ist das Cover des Nirvana-Albums „Nevermind“: ein kleiner nackiger Junge unter Wasser, der – heute ist er 31 Jahre alt – sowohl die Band als auch die Plattenfirma und weitere wegen der Verwendung und Veröffentlichung dieses Fotos verklagt. Diese Platte wurde über 30 Millionen Mal verkauft, und so steht das Bild dieses damals vier Monate alten nackigen Babys heute in zig Millionen Plattenschränken – 30 Millionen analoge Male!
Die Zeiten haben sich wahrlich geändert. Heute wird schon mal ein kleiner Junge mit einem Penishaarreif auf dem Kopf fotografiert und dieses Foto zur offensichtlichen Belustigung der eigenen Community ins Netz gestellt. Die Zahlen von Parent Zone, einer Expertenorganisation für digitales Familienleben, sind erschreckend: 2015 stellten Eltern im Durchschnitt 973 Fotos von ihren Kindern online, bevor sie fünf Jahre alt waren; Ende 2021 waren es bereits 1 500 Bilder, was etwa einem Bild pro Tag entspricht.
Auch wenn das nicht alles Bilder mit Penishaarreif sind, so sind es möglicherweise Bilder von Kindern, die das nicht wollen. Die Gefahren im Netz werden noch zu oft nicht gesehen und schlicht unterschätzt – zur Freude vieler Pädophiler.
Leider hilft Prävention nicht immer, zu verhindern. Dann muss unabhängig aufgearbeitet und auch geholfen werden. Hierbei ist es gut und richtig, dass wir als Ampelkoalition ergänzende Hilfesysteme mit dem Fonds Sexueller Missbrauch verstetigen wollen, das Hilfeportal und das Angebot „Hilfetelefon Sexueller Missbrauch“ sowie Kampagnen wie „Schieb den Gedanken nicht weg!“ kontinuierlich fortführen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Damit diese Hilfen jedoch gar nicht erst in Anspruch genommen werden müssen und um eine Aufarbeitung gekämpft werden muss, appelliere ich an jeden jungen, älteren und alten Menschen, sich genau zu überlegen, welches noch zu harmlose Foto sie von sich ins Netz stellen. Klickzahlen sind unwichtig. Sicherheit und Würde sind das, was zählt – gerade und erst recht im Netz.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
An alle Eltern und Erziehungsberechtigten appelliere ich inständig, genau hinzusehen, wo und mit wem sich ihre Kinder im Netz bewegen; denn die Kontaktaufnahme der Pädophilen passiert heute sehr oft im Netz.
Frau Kollegin.
Bitte lassen Sie das Sharenting – im Interesse Ihrer Kinder!
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7554627 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 107 |
Tagesordnungspunkt | Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch |