Alexander MüllerFDP - Jahresabrüstungsbericht 2022
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bilanz des Jahres 2022 ist, dass es am Jahresende 86 nukleare Sprengköpfe mehr gab als zu Beginn des Jahres. 60 davon hat China aufgerüstet, um sich nicht mehr nur wehren zu können, sondern um den Weg zur Erstschlagfähigkeit zu schaffen. Gleichzeitig lehnt China alle internationalen Abkommen ab, weil das angeblich so unbedeutend sei. Das ist ein Widerspruch. Der Iran bastelt weiter fleißig an eigenen Nuklearwaffen; er braucht nicht mehr lange. Nordkorea ist die neueste Nuklearmacht und rüstet auch weiter auf.
Die internationalen Abrüstungsabkommen sind alle ausgesetzt; ob New-START, INF oder JCPoA: alles ausgesetzt. Selbst Open Skies, ein ganz wichtiges Transparenzabkommen, wurde von Russland und den USA jetzt aufgekündigt. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt: Wir sind am Tiefpunkt der internationalen Rüstungskontrolle angekommen.
Die Rüstungsexporte 2022 sind in die Höhe geschnellt, und zwar aus Gründen. Russland droht sogar mit dem nuklearen Erstschlag. Das ist ein absolutes No-Go. Wir haben jahrzehntelang an das Dogma geglaubt: Wer Waffen liefert, der sorgt für neuen Krieg und neues Leid. Aber 2022 haben alle begriffen: Ohne westliche Waffen gäbe es heute die Ukraine nicht mehr. Wir liefern laufend Waffen in ein Kriegsgebiet, damit das Opfer in der Lage ist, den Aggressor abzuwehren. Wir sind nicht in der Lage, militärische Aggression mittels Diplomatie oder der Vereinten Nationen einzudämmen, sondern derzeit einzig durch militärische Unterstützung des Opfers, und das ist nicht gut.
Dieses Dogma, dass Rüstungsexporte immer schlimme Folgen haben, muss auch an anderer Stelle hinterfragt werden. Indien ist abhängig von russischen Rüstungsexporten. 60 Prozent seiner Waffen kauft Indien von den Russen. Und warum? Weil der Westen Indien nicht beliefert. Wir treiben mit unserem Dogma die Inder in die Arme der Russen. Und da wundern wir uns, warum die Inder bei den Sanktionen nicht mitmachen und warum die Inder die russische Aggression in den Vereinten Nationen nicht ebenfalls verurteilen. Wichtige Staaten wie Indien, Indonesien, Brasilien sind Demokratien, sind Wertepartner. Ich bin deswegen Boris Pistorius sehr dankbar, dass er vergangene Woche in Asien angeregt hat, zu überlegen, wie wir blockfreie Staaten besser an uns binden können.
Wir brauchen einen Neuanfang bei den Abrüstungsverhandlungen. Dazu gehört: Auch China, auch Iran, auch Nordkorea müssen mit an den Verhandlungstisch.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Die dringend nötige nukleare Abrüstung muss wieder ganz oben auf die Tagesordnung.
Wir haben jahrzehntelang dieses Dogma gelebt: keine Rüstungsexporte. Wir waren stolz, die Restriktivsten in der Welt zu sein.
(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das waren wir nie!)
Aber was hat es uns gebracht? Wir haben den schlimmsten Krieg seit 80 Jahren direkt vor unserer Haustür. Dass wir mit diesem Dogma gescheitert sind, heißt nicht, dass wir jetzt das Gegenteil machen müssen. Aber wir müssen unsere Haltung überdenken, wie wir unsere Ziele erreichen können.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der Jugoslawien-Krieg dauerte zehn Jahre! Ob der jetzige schlimmer ist, können Sie doch gar nicht wissen!)
Wir wollen mehr Stabilität. Wir wollen mehr Frieden. Wir wollen gesicherte Regeln im Völkerrecht.
Die Nationale Sicherheitsstrategie ist uns heute Mittag von der Bundesregierung vorgestellt worden. Im Bereich Rüstungsexporte spricht die neue Nationale Sicherheitsstrategie bewusst von strategischen Sicherheitsinteressen, die wir haben und anhand derer wir uns künftig orientieren,
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jürgen Coße [SPD])
und das ist gut so, und das ist im Jahr 2023 notwendiger denn je.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])
Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7554758 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 108 |
Tagesordnungspunkt | Jahresabrüstungsbericht 2022 |