14.06.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 108 / Tagesordnungspunkt 3

Falko DroßmannSPD - Jahresabrüstungsbericht 2022

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Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dr. Gysi, „in jeder Hinsicht absurd“, sagten Sie. Selbst wenn man Ihnen recht gäbe, indem man sagt: „Deutschland tritt dem Atomwaffensperrvertrag bei“ oder: „Wir verzichten auf die nukleare Teilhabe“, wozu die Debatte ja weitergegangen ist, stellt sich die Frage: Welches Signal wäre das, wenn wir es zu diesem Zeitpunkt täten? Es wäre ein politisch fatales Signal. Insofern gebe ich Ihnen recht, wenn wir sagen: Wir müssen natürlich weiterarbeiten in Richtung einer atomwaffenfreien Welt; das ist doch überhaupt keine Frage. Aber es ist nicht absurd, zu sagen, das wäre jetzt genau das falsche Signal, Herr Dr. Gysi.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke mich bei der Bundesregierung für den ausgesprochen detaillierten Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale für das Jahr 2022, den wir hier vorliegen haben. Aber wie auch schon meine Vorrednerinnen und Vorredner festgestellt haben: Es ist nicht gut bestellt um die Abrüstung und um die Rüstungskontrolle. Es gibt viel zu tun. Die konventionelle und nukleare Rüstungskontrolle, die schon in den letzten Jahren immer weiter ausgehöhlt wurde, hat eine erneute massive Schwächung durch den russischen Überfall auf die Ukraine erfahren.

Auch in diesem Haus höre ich deswegen oft den Satz, dass derzeit nicht die Zeit für Abrüstung sei, sondern die Zeit für Aufrüstung. Ich – das muss ich an dieser Stelle deutlich sagen – sehe das nicht so.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max Lucks [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich teile vielmehr, meine Damen und Herren, die Ansicht der Bundesregierung, dass der Ausbau der Fähigkeiten der Bundeswehr und die Unterstützung der Ukraine gerade nicht im Widerspruch zur Rüstungskontrolle stehen, sondern vielmehr integrale Bestandteile einer einheitlichen, einer umfassenden Sicherheitspolitik sind. Wir müssen das eine tun, ohne das andere aus den Augen zu verlieren. Nur so lassen sich Risiken minimieren.

Unerwähnt – das wurde an mehreren Stellen schon gesagt, auch mein Kollege Herr Stegner sagte es eben – bleibt aber in dem Bericht, dass Deutschland selbst 2022 Rüstungsgüter im Wert von 8,36 Milliarden Euro in die Welt exportiert hat; davon gingen Güter im Wert von 824 Millionen Euro an Drittländer, nicht an die Ukraine und nicht an Südkorea. Wir haben Ausfuhrgenehmigungen in Höhe von 288 Millionen Euro für Klein- und Leichtwaffen erteilt. Munition für diese Waffen wurde in Höhe von rund 165 Millionen Euro ausgeliefert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wurde erwähnt: Weltweit sind mehr als 875 Millionen dieser Waffen im Umlauf. Sturmgewehre und Pistolen haben eine Verwendungsdauer von ungefähr 50 Jahren und lassen sich auf dem internationalen Schwarzmarkt für bereits knapp 1 000 Euro leicht besorgen. Jährlich werden durch diese Klein- und Leichtwaffen schätzungsweise 250 000 Menschen auf dieser Welt getötet, vornehmlich übrigens Frauen und Kinder.

In der heute veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie – dafür bedanke ich mich aufrichtig – steht deshalb klar geschrieben:

Wir … fördern Initiativen zur Eindämmung von Proliferationsgefahren von Kleinwaffen, leichten Waffen und Munition.

Zu dieser Eindämmung gehört aber auch die Einsicht, dass deutsche Lieferungen strenge Endverbleibserklärungen und Post-Shipment-Kontrollen benötigen, gerade im Bereich der Klein- und Leichtwaffen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max Lucks [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zusätzlich zu diesen Kontrollen muss sichergestellt werden, dass die an ein Land gelieferten Waffen dort verbleiben und nicht, wie ja auch schon geschehen, spurlos verschwinden. Diese Kontrollen, meine Damen und Herren, müssen der Goldstandard für die Ausfuhr von Klein- und Leichtwaffen werden.

Ein weiteres Thema, das uns selber angeht: der Zusammenhang – das erwähnen Sie in Ihrem Bericht – von neuen Technologien und Rüstungskontrolle, insbesondere im Hinblick auf die Autonomie in Waffensystemen, auch künstliche Intelligenz genannt. Hier haben wir dringenden Handlungsbedarf. Das Verbot ganzer Waffensysteme ist unsinnig; denn gute KI ist von schlechter KI kaum zu unterscheiden. Wir müssen deshalb Waffensysteme immer so konzipieren, dass das menschliche Eingreifen jederzeit möglich ist. Es darf nie vollkommen automatische und autonome Waffen geben. Wir müssen Waffensysteme, die diese Kriterien nicht erfüllen, verbieten. Das tun Sie in der Nationalen Sicherheitsstrategie. Die Bundesregierung setzt sich nämlich für die Ächtung von letalen autonomen Waffensystemen ein, die vollständig der menschlichen Kontrolle entzogen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Max Lucks [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, das reicht aber nicht. Die USA haben eine Leitlinie für die Regulierung von autonomen Waffensystemen, Frankreich hat eine, die Niederlande und andere europäische Staaten haben eine, Deutschland aber noch nicht. Das kann im Rahmen der Zeitenwende nicht unser Anspruch sein.

Ich danke der Bundesregierung für ihr Engagement und ihre Bemühungen im Bereich der Rüstungskontrolle, der Abrüstung und der Nichtverbreitung sowie für diesen ausgesprochen detaillierten Bericht. Er kann aber nur der Auftakt für eine effektive umfassende Rüstungskontrolle sein, die den Risiken einer sicherheitspolitisch extrem angespannten Zeit gerecht wird und ethisch auch vertretbar ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Max Lucks [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Alexander Müller [FDP])

Vielen Dank, Herr Kollege Droßmann. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Armin Schwarz, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7554760
Wahlperiode 20
Sitzung 108
Tagesordnungspunkt Jahresabrüstungsbericht 2022
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