Axel MüllerCDU/CSU - 70 Jahre Volksaufstand - SED-Unrecht
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es gehört: Am 17. Juni 2023 jährt sich der Volksaufstand zum 70. Mal. 1 Million Menschen gingen damals in der DDR auf die Straßen, um für Demokratie, freie Wahlen und die Einheit Deutschlands zu demonstrieren. Sie riefen es ihren Unterdrückern zu: Wir wollen freie Menschen sein!
Die SED-Führung, die 40 Jahre lang ohne echte demokratische Legitimation regierte und deren Absetzung die Demonstranten forderten, war de facto entmachtet. Sie floh in die russischen Kasernen, aus denen die sowjetischen Panzer ausfuhren und den Aufstand niederschlugen – anders als 1989, als sie sich in ihren Kasernen zurückhielten und so dem Souverän, dem Volk, den Sieg über die Diktatur ermöglichten.
Am 17. Juni 1953 wurden 50 Menschen sofort erschossen, es wurden 15 000 Menschen ohne rechtsstaatliche Grundlage verhaftet, und es wurden Tausende von Menschen in die Sowjetunion verschleppt und dort über Jahre in Arbeitslagern festgehalten, unter anderem auch der Vater unseres früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck. Es gab auch Hinrichtungen.
All dem waren viele Willkürakte der SED-Diktatur vorausgegangen: Zwangsenteignungen von Familienbetrieben zu VEBs, Zwangskollektivierungen von Landwirten zu LPGs oder auch Zwangsumsiedlungsmaßnahmen mit menschenverachtenden Titeln behaftet und überschrieben mit „Aktion ‚Ungezieferʼ„ oder zynisch mit Worten wie „Frische Luft“, „Blümchen“ und „Neues Leben“ umschrieben, um die Grenzregionen freizumachen, auf denen die Diktatur ihre Gefängniszäune errichtete, mit denen sie ihr Volk 40 Jahre lang einsperrte.
Der 17. Juni war fortan der nationale Gedenktag im freien Teil Deutschlands. Mit der Vollendung der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 wurde folgerichtig der 3. Oktober nationaler Feiertag aller Deutschen.
In vier Anträgen und in einem Gesetzentwurf, die allesamt im Inhalt nicht unterschiedlicher sein könnten, hat sich die AfD mit diesem Tag befasst und dabei Dinge gefordert wie einen Standortentscheid für ein Mahnmal zum Gedenken der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft, einen nationalen Gedenktag bis hin zur Rekonstruktion teilweise geschredderter Stasiunterlagen oder der materiellen Verbesserung der Opferentschädigung für die Gewaltopfer kommunistischer Gewaltherrschaft.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Carolin Bachmann [AfD]: Ist doch zielkonform! – Dr. Götz Frömming [AfD]: Alles richtig! Alles gut!)
– Die Frage ist nicht, ob es richtig ist. Die Frage ist, ob es notwendig ist, so wie Sie es formuliert haben. Dazu hat die Kollegin schon Ausführungen gemacht.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Bessere Entschädigung ist notwendig!)
Zu guter Letzt wollten Sie auch noch eine wissenschaftliche Untersuchung der Parteizugehörigkeit von späteren Bundestagsabgeordneten
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Ja! Insbesondere von den Blockparteien!)
– insbesondere der Blockparteien –, die in der DDR schon Funktionen hatten. Gewissermaßen ein Rundumschlag zum 70. Jahrestag des Volksaufstands vom 17. Juni.
Aber dieser Jahrestag kündigte sich doch schon seit Langem an. Ein Blick in den Kalender hat uns das doch gezeigt. Warum haben Sie die Anträge erst gestern und heute, im Laufe des Tages, hier eingebracht, also uns noch nicht einmal 24 Stunden Zeit gelassen, uns näher damit zu befassen? Das grenzt schon an Effekthascherei und lässt Zweifel an der Ernsthaftigkeit aufkommen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Bei näherer Betrachtung erscheinen Ihre Anträge überflüssig. An den 17. Juni – das wurde bereits gesagt – wurde ununterbrochen gedacht und wird auch immer noch gedacht. Das Mahnmal zum Gedenken der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft ist konsentiert; das soll am Spreebogen entstehen.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Seit acht Jahren planen Sie das!)
Die Opferentschädigung und die strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetze haben wir in der letzten Legislaturperiode umfassend überarbeitet. Wir haben die Opfersituation deutlich verbessert. Wir haben die Basis für die Opfer deutlich erweitert und die Prüfungen deutlich vereinfacht. Ja, es kann sogar ein Anspruch bestehen, wenn nicht festgestellt werden kann, ob aus sachfremden oder politischen Erwägungen heraus inhaftiert wurde. Das Wichtigste für Opfer ist, dass man ihnen glaubt, und nicht, ob sie 300 oder 333 Euro im Monat bekommen.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Nicht mal die Hälfte wird anerkannt!)
Was die weitere Aufarbeitung des Unrechts anbelangt, will ich nur hinzufügen: 111 Kilometer Akten konnten komplett gesichert werden. In der Tat sind auch 15 000 Säcke mit geschreddertem Papier dabei. Nur wenige Prozent davon konnten bisher gesichert und rekonstruiert werden. Aber dahinter liegt ein Streit um die technische Möglichkeit des sogenannten E-Puzzles. Der Bundesrechnungshof hat uns gesagt, wir sollen das auf diese Art und Weise nicht weiter verfolgen. Also ein Streit, den der Deutsche Bundestag nicht entscheiden kann.
Ich möchte als Letztes noch hinzufügen: Mit Joachim Gauck, Marianne Birthler und Roland Jahn hatten wir engagierte Bundesbeauftragte. Wir haben dieses Amt extra geschaffen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich möchte hier betonen, dass die strafrechtliche Aufarbeitung trotz schwieriger Grundlagen erfolgreich erfolgt ist.
Alles in allem kann ich Ihnen daher sagen: Mit diesen Anträgen und den darin suggerierten Defiziten tragen Sie nicht zur Verbesserung des Gedenkens an den 17. Juni bei.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Heidi Reichinnek [DIE LINKE])
Nächster Redner ist für Bündnis 90/Die Grünen Stefan Gelbhaar.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7554790 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 108 |
Tagesordnungspunkt | 70 Jahre Volksaufstand - SED-Unrecht |