15.06.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 109 / Tagesordnungspunkt 25

Dirk WieseSPD - Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am vergangenen Donnerstag ist es in Luxemburg beim Innenministerrat nach wirklich langen Jahren der Verhandlungen gelungen, einen Kompromiss zu schließen, an den viele schon nicht mehr geglaubt hatten. Dieser Kompromiss, der ist nicht vom Himmel gefallen. Es ist gerade in den Fach-AGs und auch in den Gesprächen auf der europäischen Ebene seit Beginn dieser Ampelkoalition intensiv daran gearbeitet worden, einen Kompromiss zu finden. Es ist auch in der Ampelkoalition intensiv darum gerungen worden – und das finde ich richtig –, dass die Bundesregierung in diese Gespräche mit einer geeinten Position hineingeht, um die Interessen, die wir als Bundesrepublik Deutschland in der Ampelkoalition haben, in diese Verhandlungen in Brüssel einzubringen.

Dass es am Ende zu einem Ergebnis gekommen ist, dass es in diesen schwierigen Zeiten, in denen wir uns als Europäische Union befinden und die zweifelsohne herausfordernd sind, gelungen ist, diesen Kompromiss endlich zu schaffen, das halte ich bei aller Abwägung und bei aller Kritik, die es auch an diesem Kompromiss gibt, für den richtigen Weg. Es war die richtige Entscheidung, dass die Bundesregierung hier am Ende zugestimmt hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es am Ende zu einem Kompromiss gekommen ist, ist auch dem geschuldet, dass die Bundesinnenministerin sich auf der Ebene der Europäischen Union immer wieder mit anderen Mitgliedstaaten ausgetauscht hat, sich für Kompromisse eingesetzt hat und Verhandlungslinien ausgelotet hat. Ich muss Ihnen schon sagen, Frau Lindholz: Dass das so gekommen ist, überrascht mich nicht. Dass es aber nicht schon früher so gekommen ist, überrascht mich auch nicht; denn die Gelegenheiten wie die, in denen Horst Seehofer mal Berlin verlassen hat, um nach Brüssel zu fahren, um selbst an Kompromissen zu arbeiten – das wissen wir beide –, die können wir an einer Hand abzählen.

(Beifall bei der SPD – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wir waren schon viel weiter, und das wissen Sie auch!)

Ich glaube, von daher – das muss man auch noch mal sagen – ist es erst die Ampelregierung, die es nach 16 Jahren unionsgeführtem Innenministerium geschafft hat, hier auf europäischer Ebene einen Kompromiss zustande zu bringen. Das ist Ihnen in den vergangenen 16 Jahren nicht gelungen. Das muss man auch noch mal deutlich machen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich habe Ihren Antrag, Frau Lindholz, ausführlich gelesen. Ich muss das hier schon mal ganz deutlich sagen: Sie hätten, wenn Sie Verantwortung gehabt hätten, am Donnerstag letzter Woche gegen diesen Antrag gestimmt, gemeinsam mit Polen und Ungarn. Das muss man noch mal für die Außendarstellung sagen. Sie hätten in dieser schwierigen Situation diesen Kompromiss – aus anderen Gesichtspunkten als andere hier im Raum – nicht mitgetragen.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wie kommen Sie denn darauf? Das ist doch absoluter Quatsch!)

Man muss hier noch einmal sehr deutlich hervorheben, dass Sie Ihrer europäischen Verantwortung in der vergangenen Woche nicht gerecht geworden wären.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Und dann kommt am Wochenende der Fraktionsvorsitzende der CDU, Herr Merz, und das hat das Fass, ehrlich gesagt, zum Überlaufen gebracht. Ich habe am Wochenende eine Merz-Mail bekommen. Da muss ich schon sagen: Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass es in einer Partei mit dem Erbe von Konrad Adenauer und Helmut Kohl möglich ist, dass Sie das Schengensystem und die Binnengrenzen in Europa infrage stellen. Da kann ich nur sagen: Das ist eine Position, die wir als Ampelfraktionen nicht haben.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir stehen als Ampelkoalitionen für offene Grenzen in Europa.

Herr Merz, das ist übrigens nicht etwas, was ich gesagt habe – ich kann verstehen, dass Sie dem keinen Glauben schenken würden –, sondern das waren Ihre Parteikollegen Heribert Hirte – früherer Kollege und Abgeordneter – und Ruprecht Polenz, der, so glaube ich, in Ihrer Partei noch ein sehr hohes Ansehen hat. Ich bin ihnen dankbar, dass sie das, was Sie gesagt haben, ebenfalls sehr kritisch gesehen haben. Ich finde es gut, dass es auch in der Union an dieser Positionierung große Kritik gibt.

Dann will ich eins deutlich machen: Diese GEAS-Verhandlungen sind nur ein Baustein; sie werden nicht alles lösen. Wir wollen in den Trilogverhandlungen dafür sorgen – das halte ich für eine Selbstverständlichkeit –, an der einen oder anderen Stelle noch Verbesserungen zustande zu bringen. Da kommt es jetzt auch auf die Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament an.

Herr Wiese, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen aus der Linksfraktion?

Gerne.

Bitte schön, Clara Bünger.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Wiese, dass Sie die Frage zulassen. – In Ihrem Koalitionsvertrag steht ja eindeutig drin, dass Sie inhaltliche Prüfungen von Asylanträgen durchsetzen wollen. Das, worauf man sich jetzt beim JI-Rat geeinigt hat, bedeutet ganz klar, dass es diese inhaltliche Prüfung nicht für alle Menschen innerhalb der EU geben soll, sondern es werden ganz konkret Menschen aus Ländern mit hoher Anerkennungsquote in sogenannte sichere Drittstaaten zurückgeführt werden können. Nichts anderes bedeuten das System und der Sinn und Zweck dieses sicheren Drittstaatenkonzepts.

Wie können Sie das mit Ihrem eigenen Koalitionsvertrag vereinbaren? Wie können Sie das auch mit dem Beschluss vereinbaren, den Ihr SPD-Vorstand gefällt hat, worin Sie gesagt haben: „Es darf keine Haft, keine Grenzverfahren und keine Grenzlager geben“? Wie können Sie das miteinander vereinbaren?

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin, ich danke Ihnen für Ihre Frage, weil mir das noch mal die Möglichkeit gibt, einiges zurechtzurücken. Lassen Sie mich auch sagen: Sie waren schon am Donnerstagabend relativ früh bei Twitter unterwegs und haben juristisch sehr detailliert ausgeführt, wie das eine oder andere Detail zu verstehen ist. Mich erinnert das manchmal an diesen Kinderfilm von früher: „Nummer 5 lebt!“, in dem ein Roboter sehr schnell Bücher lesen konnte.

(Zuruf von der LINKEN)

In Ihrem Fall finde ich das noch beeindruckender, weil uns die konsolidierte Fassung der Rechtstexte erst diese Woche im Bundestag erreicht hat. Das heißt, Sie konnten eigentlich erst in dieser Woche eine fachliche Einschätzung abgeben, die Sie letzte Woche schon abgeben wollten, obwohl die Texte noch gar nicht vorlagen.

Die Punkte, die Sie in der vergangenen Woche bei Twitter teilweise suggeriert haben, lassen sich so aus diesem Rechtstext nicht herleiten. Von daher kann ich Ihnen nur sagen: Schauen Sie genau in den Text rein. Da stehen die Punkte, die wir letztendlich haben: Es ist weiter das Recht auf Asyl geregelt. Es ist weiter geregelt, dass die Drittstaatenregelung nur da Anwendung findet, wo die Genfer Flüchtlingskonvention gilt. Von daher: Verbreiten Sie keine Falschinformationen. Schauen Sie sich die Texte ausreichend an. Das kann ich Ihnen für die weitere Debatte nur empfehlen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es angesprochen: Das, was wir jetzt machen, ist ein Baustein. Es ist ein Baustein in einem Ansatz, den wir verfolgen. Aber – auch das will ich sagen – genauso wichtig, um hier letztendlich voranzukommen, sind Migrationsabkommen, die wir mit mehr Ländern abschließen, um Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, zurückzuführen. Gleichzeitig schließen wir mit diesen Ländern Abkommen, durch die wir mehr legale Migrationswege nach Deutschland öffnen; denn wir brauchen Arbeitskräfte und Fachkräfte bei uns im Land. Darum bin ich dankbar, dass wir es jetzt nicht nur mit Indien, sondern bald auch mit weiteren Staaten hinbekommen, diese wichtigen Migrationsabkommen auf den Weg zu bringen.

Wir als Ampelkoalition stellen auch immer wieder die Frage: Wie können wir den Menschen, die schon bei uns sind, eine Perspektive schaffen? Das haben wir zum Beispiel mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht geschafft. Wir wollen mit Lebenslügen aufräumen und letztendlich Arbeitsperspektiven geben. Auch beim Staatsangehörigkeitsrecht wollen wir – entgegen all dem Unsinn, der verbreitet wird – positive Anreize der Integration setzen.

Das sind Punkte, die zeigen, wie wir vorankommen wollen. Ich bin mir sicher, dass wir als Ampelkoalition jetzt konstruktiv diese weiteren Gespräche vereinbaren werden.

Ich will ehrlicherweise sagen, Frau Lindholz: Darüber, dass man kritisiert, dass wir uns für Kinder einsetzen, kann ich nur den Kopf schütteln. Aber wenn ich die Fraktion der CDU/CSU sehe, die selbst Schwierigkeiten hat, Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben, dann weiß ich, dass Ihnen auch in den laufenden Verhandlungen Kinder egal sind.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Uns als Ampel sind die Kinder nicht egal.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Jetzt spricht Gottfried Curio für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7554848
Wahlperiode 20
Sitzung 109
Tagesordnungspunkt Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
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