15.06.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 109 / Tagesordnungspunkt 9

Thomas HackerFDP - 70 Jahre Volksaufstand am 17. Juni 1953

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 17. Juni 1953 markiert einen frühen Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Teilung. Bereits kurz nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik trugen die Menschen ihren Protest auf die Straße. Hunderttausende versammelten sich in Berlin, aber auch in allen Bezirken des Landes. Sie demonstrierten gegen politische Unterdrückung, wirtschaftliche Missstände und die Verletzung grundlegender Bürgerrechte. Sie wagten es, sich gegen ein Regime zu erheben, das ihre Träume im Keim erstickte, gegen ein Regime, das ihr Leben, das Menschsein des Einzelnen der Gleichmacherei des real existierenden Sozialismus opferte.

Die Menschen forderten die Senkung von Arbeitsnormen, die Freilassung politischer Häftlinge, den Rücktritt der SED-Regierung, freie Wahlen und die Einheit Deutschlands. Was als eine Demonstration gegen Missstände begann, entwickelte sich zu einem landesweiten Aufstand, der die Sehnsucht nach politischer Freiheit und wirtschaftlicher Gerechtigkeit zum Ausdruck brachte. Männer und Frauen, Arbeiter und Studenten, junge und alte Menschen – sie alle gingen auf die Straße, um ihre Stimme zu erheben und für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Sie riskierten viel, auch ihr Leben. Das war ihnen bewusst. Sie sind die Helden des Aufstands.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Doch die Staatsmacht schlug zurück. Alle Hoffnungen wurden im Laufe eines Nachmittags zerstört. Sowjetische Panzer fuhren auf. Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Menschen verloren ihr Leben. Sie zahlten einen hohen Preis, den höchsten, für ihren Mut und ihre Überzeugungen. Es herrschte Kriegsrecht. Verhaftungswellen rollten über das Land. Inhaftierte wurden gefoltert, manche hingerichtet. Die Führung der DDR schwieg über die Toten, als hätte es den Aufstand nie gegeben. Für viele Jahrzehnte blieben die Toten namenlos. Es waren mindestens 55.

Der 17. Juni 1953 wird für uns immer ein Symbol des Widerstands gegen Unterdrückung und für die Freiheit sein. Er ist aber nicht nur ein Kapitel der deutschen Geschichte; er ist Teil des universellen Wunsches nach Freiheit und Gerechtigkeit, der in den folgenden Jahrzehnten in den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang immer wieder Menschen auf die Straße trieb: in Ungarn 1956, in Prag 1968 und immer wieder in Polen: 1956, 1968, 1970, 1976 und ab 1980. Der 17. Juni war das erste Aufflackern einer Bewegung für Freiheit und Demokratie, einer europäischen Bewegung für Freiheit und Demokratie.

Der Umgang mit dem 17. Juni hätte in den beiden deutschen Staaten unterschiedlicher nicht sein können. In der DDR wurden aktives Vergessen, Verharmlosung und Verdrängen befohlen. In der damaligen Bundesrepublik wurde der 17. Juni zum Staatsfeiertag, zum Tag der deutschen Einheit. Jahr für Jahr mahnte uns die Erinnerung an die mutigen Frauen und Männer, erinnerte ihr Kampf für Freiheit und Demokratie uns alle an den Auftrag unseres Grundgesetzes, die Einheit Deutschlands in Freiheit zu vollenden. Es sollte noch Jahrzehnte dauern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tun gut daran, an die Ereignisse im Sommer 1953 zu erinnern: gestern im Kulturausschuss, heute mit dieser Debatte und morgen mit dem Festakt in Anwesenheit des Bundespräsidenten. Evelyn Zupke hat uns gestern die Anregung mit auf den Weg gegeben, die Kolleginnen und Kollegen der Ampel und vielleicht auch der anderen Parteien davon zu überzeugen, dass wir in unserer Stiftung „Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ nicht nur Frankfurt, Weimar, Bonn und Berlin benennen, sondern auch die Stadt nicht vergessen, in der eine Bewegung zu einer riesigen Massenkraft anschwoll, die die Mauer letztendlich sprengte und die den Eisernen Vorhang zerriss, nämlich Leipzig. Ich lade alle ein und hoffe, dass wir das in der Ampel auch gemeinsam hinbekommen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin den Kolleginnen und Kollegen in der Koalition dankbar für den gemeinsamen Antrag. Ich bin auch den Kolleginnen und Kollegen aus der Union dankbar, die an dem gemeinsamen Antrag mitgearbeitet haben. So konnte durch Impulse unser guter Antrag noch besser werden. Ich hätte mir gewünscht, dass wir an die lange Tradition dieses Hauses anknüpfen und bei den wesentlichen Punkten unserer Vergangenheit, beim Blick zurück auch gemeinsam die richtigen Konsequenzen für die Zukunft ziehen. Das ist leider nicht möglich gewesen.

Ich danke aber auch der Union und insbesondere Frau Schenderlein für ihren Antrag, weniger weil er als Aufforderung oder als Auftrag, den die Ampel erledigen soll, gestellt wurde – wir sind seit den letzten eineinhalb Jahren gut dabei, aufzuholen –, sondern weil er Wort für Wort, Zeile für Zeile, Absatz für Absatz als Dokumentation dessen vorliegt, was Sie in 16 Jahren unerledigt gelassen haben, und uns mit einer schnellen Abarbeitung beauftragt. Wir kommen im Gegensatz zu Ihnen gut voran.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir ehren die Menschen, die ihr Leben riskierten, als sie auf die Straße gingen. Wir erinnern an die Opfer und Toten der kommunistischen Diktatur, so viele folgten. Wir sind dankbar, dass wir dieses Erinnern heute gemeinsam tun können in Nord und Süd, in Ost und West, im vereinten Deutschland.

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 17. Juni fassten die Menschen in den Straßen der DDR ihre Sehnsucht in einem einfachen Satz zusammen, in einem Ruf, der durch die Straßen hallte, in einem Ruf, in den wir auch heute mit einstimmen sollten, immer und immer wieder: Wir wollen freie Menschen sein!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Hacker. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jonas Geissler, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7554883
Wahlperiode 20
Sitzung 109
Tagesordnungspunkt 70 Jahre Volksaufstand am 17. Juni 1953
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