Carl-Julius CronenbergFDP - Grenzüberschreitende Durchsetzung des Entsenderechts
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beschließen wir die Umsetzung der europäischen Vorgaben für die Entsendung von Kraftfahrern. Es geht um Millionen Beschäftigte in Europa. Das ist kein Pappenstiel.
Alle, die sich in den Beratungen in den letzten Wochen näher mit der Materie beschäftigt haben, waren sich in einem Punkt einig: Der Transportsektor ist hoch komplex, und das macht auch die Gestaltung der Spielregeln außerordentlich komplex; Kollege Rützel hat darauf hingewiesen. Deshalb begrüßen wir Liberalen, dass dem Arbeitsministerium eine Eins-zu-eins-Umsetzung gelungen ist, eine Eins-zu-eins-Umsetzung, die mit dem Änderungsantrag auf Vorschlag von Kollegin Müller-Gemmeke – Kollege Gava sehe mir die Zuordnung der Mutterschaft nach – noch ein bisschen „eins zu einsiger“ geworden ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Warum überhaupt der ganze Aufwand? Die allgemeine Entsenderichtlinie passt oft nicht so richtig auf die Situation der Kraftfahrer, weil im Gegensatz zu anderen Dienstleistungen der Inlandsbezug nicht immer eindeutig ist. Oft fahren die Lkw auf einer Tour durch halb Europa und führen dabei mehrere grenzüberschreitende Aufträge aus. Es geht also auch immer um Ausnahmen vom normalen Entsenderecht. Das ist kein böser Wille, sondern der Natur der Transportdienstleistung geschuldet.
Die Einigung auf EU-Ebene war alles andere als einfach und ist im Ergebnis ein Erfolg; Kollege Oellers hat dazu ausgeführt. Dennoch gibt es weiterhin Kritik. Da ist zunächst der Vorwurf der AfD, das Gesetz schütze deutsche Spediteure nicht vor Preisdumping. Dem entgegne ich: Nicht jeder Preiswettbewerb ist gleich Preisdumping. Preiswettbewerb ist konstitutiver Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft, genau wie Grundfreiheiten und offene Grenzen zum europäischen Binnenmarkt gehören. Und genau das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Als probates Mittel gegen Preisdumping schlägt die AfD nun wie immer vor, die EU zu verlassen. So einfach ist das für Sie: Raus aus der EU, und die Probleme sind gelöst. Da empfehle ich mal einen Blick nach Großbritannien. Nach dem Brexit haben Zigtausende ausländische Lkw-Fahrer das Land verlassen, was dazu führte, dass wenige Monate später die Versorgung der Tankstellen zum Erliegen kam. Das sind die Folgen von Abschottung: Versorgungsschwierigkeiten und zusammenbrechenden Lieferketten. Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der europäische Binnenmarkt ist ein Segen und kein Fluch.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Eine weitere Folge in Großbritannien war, dass die Löhne der Lkw-Fahrer plötzlich sehr stark angestiegen sind. Es sei ihnen gegönnt. Aber wenn Löhne ohne höhere Produktivität oder mehr Wertschöpfung in kurzer Zeit sehr stark ansteigen, führt das quasi direkt zu Inflation. Darunter leiden besonders Bezieher geringer Einkommen; denken wir an die Preisentwicklung bei Lebensmitteln. Inflation ist unsozial. Deshalb müssen wir Inflation bekämpfen und dürfen sie nicht weiter anheizen. Da müssen wir aufpassen. Inflationsbekämpfung, ja, nur darf das natürlich nicht allein auf Kosten der Löhne der Lkw-Fahrer gehen.
Es stellt sich also die Frage, ob Lkw-Fahrer in Europa allgemein sehr schlecht verdienen. Schauen wir mal nach Bulgarien. Dort verdient ein Lkw-Fahrer circa 1 000 Euro im Monat. Das ist für uns nicht viel, aber damit liegt er 50 Prozent über dem bulgarischen Durchschnittslohn – anders als deutsche Lkw-Fahrer übrigens, die verdienen schon fast an der Grenze zum Niedriglohn –; fährt er viel in Deutschland, wird das noch mehr, umso besser, freuen wir uns. Die Entsendung von Lkw-Fahrern zieht in Bulgarien die Einkommen hoch, und das ist gut so. Das ist die gelebte Aufwärtskonvergenz, die wir uns in Europa wünschen.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Bernd Rützel [SPD] und Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es geht um die Balance: Preiswettbewerb trägt zu bezahlbaren Verbraucherpreisen bei; das macht der Binnenmarkt. Lohndumping muss ausgeschlossen werden; dafür sorgen Mindestlohn und Entsenderecht. Diese Balance zu halten, das ist genau richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das machen wir mit diesem Gesetz.
Gibt es deswegen keine Probleme mehr? Doch, natürlich, an zwei Stellen – es ist oft genug von meinen Vorrednern angesprochen worden –:
Erstens. Geltendes Recht muss durchgesetzt werden. Nur dann haben wir effektiven Schutz für Fahrer und für anständige Spediteure. Deshalb verbessern wir massiv die Effektivität von Kontrollen mit der Einführung der digitalen Fahrtenschreiber und des zentralen IMI-Meldesystems; dazu ist ausgeführt worden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zweitens. Die Arbeitsbedingungen, insbesondere während der Ruhezeiten, können und müssen verbessert werden. Truckerromantik war gestern. Heute herrscht oft Frust über unwürdige Zustände auf den Rastplätzen.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)
Mehr Parkplätze für die Trucks, saubere Duschen und Klos für die Fahrer, das ist eine Frage des Respekts, den wir Hunderttausenden Lkw-Fahrerinnen und -Fahrern in Deutschland schulden, die tagtäglich dafür sorgen, dass die Wirtschaft rundläuft und die Regale im Supermarkt gefüllt sind.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der nächste Redner ist Pascal Meiser für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7554995 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 109 |
Tagesordnungspunkt | Grenzüberschreitende Durchsetzung des Entsenderechts |