Carlos KasperSPD - Ausbeutung von Saisonbeschäftigten
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Sommer, Sonne, Sonnenschein: Während sich viele von uns bei gutem Wetter auf den Spargel und die Erdbeeren freuen, heißt das für andere: harte Arbeit auf den Feldern. Die Arbeit in der Landwirtschaft ist so hart, dass viele Beschäftigte in Deutschland diese gar nicht mehr machen wollen. Deswegen bedienen sich landwirtschaftliche Betriebe eben häufig ausländischer Arbeitskräfte, meist aus dem osteuropäischen Ausland. Was das heißt, wurde schon von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern gut geschildert: Sie zahlen weniger Krankenkassenbeiträge und gar keine Rentenversicherungsbeiträge, weil sie als sogenannte kurzfristig Beschäftigte angemeldet werden. Häufig kommt es leider auch zu ausbeuterischen Maßnahmen.
Davor darf die Politik eben nicht die Augen verschließen. Wir alle erinnern uns noch an die Bilder nach dem Coronawinter, als die erste Saisonarbeit losging. Bilder von vollen Beschäftigtenunterkünften waren in den Nachrichten, und immer wieder kam es zu Massenansteckungen aufgrund der Enge. Damals wurde der breiten Öffentlichkeit bekannt, dass in diesem Bereich jahrelang auch unter einem CDU-geführten Finanzministerium keine Kontrollen durchgeführt wurden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für einige dieser Kontrollen ist eben der Zoll zuständig. Der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat nicht lange gezögert und hat aufgrund der Nachrichtenlage eine Schwerpunktprüfung der Landwirtschaft veranlasst.
(Beifall bei der SPD – Kai Whittaker [CDU/CSU]: In Hamburg oder wo?)
Ich war damals Zollbeamter bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit und habe so eine Prüfung geleitet. An einem Tag haben wir einen solchen Betrieb geprüft. Über 150 rumänische und polnische Arbeitskräfte haben dort gearbeitet. Mit dieser Prüfung war es aber nicht getan. Es hieß im Anschluss: 150 Arbeitsverträge lesen, 150-mal Stundenzettel kontrollieren und 150-mal prüfen, ob der Mindestlohn gezahlt worden ist.
Na klar, jetzt kann man sich fragen: Warum gab es denn in den letzten Jahren so wenig Prüfungen von solchen Großbetrieben? Das hängt mit der Praxis zusammen, dass die Zollverwaltung jahrelang den Dienststellen vorgegeben hat, wie viele Unternehmen im Jahr zu prüfen sind.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Sie haben mehr Stellen! Und halbiert haben Sie die Kontrollen!)
Statistisch heißt das ganz konkret: 150 Saisonarbeitskräfte in diesem einen Betrieb zählen genauso viel wie ein kleiner Friseursalon mit einer Beschäftigten. Es war also schlichtweg nicht zu schaffen, die Statistik zu erfüllen, wenn man viele Großbetriebe geprüft hat. Hier im Bundestag habe ich mich dafür eingesetzt, dass diese Praxis endlich der Vergangenheit angehört, und jetzt ist es endlich so weit: Nächstes Jahr wird diese Praxis der Vergangenheit angehören.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Pascal Kober [FDP] und Susanne Ferschl [DIE LINKE])
Auch die Länder müssen ihrer Verantwortung nachkommen – das wird leider zu häufig vergessen –; denn die Länder sind für die Kontrollen der Unterkünfte zuständig, nicht der Zoll. Da wünsche ich mir noch viel mehr Kontrollen. Das können auch die Innenminister in den Ländern umsetzen, Ihre Innenminister von der Union. Das schaffen sie bestimmt, wenn Sie ihnen das mal kurz durchgeben.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: FKS ist Bundessache! Finanzminister – FDP!)
– Also, der Finanzminister hat nichts mit den Arbeitsschutzbehörden der Länder zu tun, soweit ich weiß.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Nein! Aber mit dem FKS! Mein Gott! Man kann auch zuhören, Herr Kasper! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: FKS! Sie sind ja auch kein Landesbeamter, sondern Bundesbeamter!)
Aber ich kann gern noch mal zum Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung nachlesen.
Aber auch wir in der Politik haben schon viel getan: Wir haben den Mindestlohn erhöht. Das ist übrigens die erste Saison, in der die Saisonarbeitskräfte von der Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro profitieren. Da haben Sie sich ganz kräftig enthalten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
So also geht Sozialpolitik à la CDU.
(Marianne Schieder [SPD]: Aber dann von der sozialen Spaltung reden! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Meinen Sie, Sie kriegen noch erklärt, warum Sie jetzt den Antrag ablehnen? Das würde mich noch brennend interessieren! – Gegenruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er redet wenigstens zum Thema, Herr Kollege! Anders als andere! – Gegenruf des Abg. Kai Whittaker [CDU/CSU]: Ich habe zum Thema geredet! Also bitte! – Gegenruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee! – Gegenruf des Abg. Kai Whittaker [CDU/CSU]: Natürlich! Dann haben Sie nicht zugehört die ersten zwei Minuten! – Gegenruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe Ihnen zugehört!)
Ja, wir haben gemeinsam einiges getan, zum Beispiel auch die verpflichtende Krankenversicherung für Beschäftigte eingeführt. Wir haben Arbeitgeber verpflichtet, Reisekosten zu mindestens 50 Prozent zu übernehmen. Aber jetzt werden wir auch noch, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, endlich die vollwertige Krankenversicherung für die Saisonarbeitskräfte einführen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Retrieved from | http://dbtg.tv/fvid/7555231 |
Electoral Period | 20 |
Session | 110 |
Agenda Item | Ausbeutung von Saisonbeschäftigten |