Rasha NasrSPD - Aktuelle Stunde: Rentenanpassung Ost/West
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit der um ein Jahr vorgezogenen Angleichung des Rentenwerts zwischen Ost und West hat diese Bundesregierung etwas umgesetzt, was wir grundsätzlich alle wollen: die Lebensverhältnisse in Ost und West endlich anzugleichen, damit wir endlich nicht mehr von „Ost“ und „West“ sprechen müssen, aber vor allem, dass unser Wohnort und unsere familiäre Geschichte endlich nicht mehr darüber entscheiden, wie die Chancen in unserer Gesellschaft verteilt sind.
Dieses Ziel wird grundsätzlich erst mal von allen geteilt, weil das Kernproblem so dermaßen gegen unser aller Gerechtigkeitsempfinden verstößt. Wenn Menschen ihr Leben lang hart arbeiten, aber im Alter in Armut geraten, weil unsere Gesellschaft ihre Lebensleistung nicht anerkennt oder weil unser System nicht darauf ausgelegt ist, die unverschuldeten Umbrüche in ihrem Leben abzufangen, dann ist die Wut bei den Betroffenen zu Recht groß.
Wenn die eigene Rente, die man sich hart erarbeitet hat, zu niedrig ist, weil der Staat, in dem man das teilweise getan hat, nicht mehr existiert, dann ist das schlicht unfair. Der Staat mag vielleicht nicht mehr existieren, aber die eigene Lebensleistung hat es doch trotzdem gegeben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!)
Der Schweiß, die Tränen, der Wecker am frühen Morgen, die gesundheitlichen Schäden von Jahrzehnten harter Arbeit, die Zeit, die man nicht mit der Familie verbrachte, weil man gewissenhaft das tat, was getan werden musste – all das ist doch nicht weniger wahr, nur weil man es im falschen System getan hat.
(Beifall bei der SPD)
Alle erkennen dieses Kernproblem; aber bei der Frage, wie wir damit umgehen, gibt es dann doch Unterschiede. Ich möchte ganz eindeutig sagen: Mit der Rentenangleichung ist das Problem noch nicht gelöst. Sie ist ein wichtiger Schritt, um der Ungleichbehandlung entgegenzutreten, aber sie löst die Ungerechtigkeit nicht auf, die die eigentliche Quelle der Enttäuschung ist. Allen, die gerade dazu neigen, zu denken, mit dieser Rentenangleichung sei das Thema jetzt vom Tisch und den Rest könnten wir getrost ignorieren, möchte ich entschieden widersprechen.
Diese Ungleichbehandlung, die noch immer an vielen Stellen besteht, wirkt sich nicht nur auf eine Generation aus, die die DDR noch aktiv miterlebt hat. Nein, diese Ungleichbehandlung besteht strukturell weiter. Sie betrifft beispielsweise auch die nachfolgende Generation, die im Zweifel jetzt auch finanziell für ihre Elterngeneration aufkommen muss, weil diese unverschuldet in Altersarmut gerät. Diese Ungleichbehandlung sorgt dafür, dass die Nachfolgegeneration häufiger nichts erben wird – anders als Gleichaltrige aus dem Westen –, weswegen die Chancen im Leben auch weiterhin ungleich verteilt bleiben.
Die Unterschiede zwischen Ost und West verschwinden eben nicht mit der letzten Generation, die die DDR noch erlebt hat. Und dass all diese strukturellen Unterschiede auch 33 Jahre nach der Einheit noch bestehen, darf uns nicht kaltlassen. Wir dürfen nicht achselzuckend daneben stehen und einfach hinnehmen, dass es immer noch Ungerechtigkeiten gibt, die auf eine Zeit zurückgehen, die inzwischen so weit von uns entfernt ist: 33 Jahre!
Lassen Sie mich kurz verdeutlichen, wie lange das eigentlich her ist: Wir reden von einer Zeit, in der es noch keine Champions League oder Premier League gab. Wir reden von einer Zeit, in der die Menschen nicht wussten, was eine Boyband, ein Tamagotchi oder ein iPhone ist. Wir reden von einer Zeit, in der in Südafrika Apartheid herrschte und in der Hongkong noch britisch war. So lange tragen wir dieses strukturelle Problem jetzt schon mit uns herum.
Und dieses strukturelle Problem lässt sich eben nicht nur mit der Rentenangleichung lösen. Sie ist ein wichtiger Teil der Lösung, ja; denn wir brauchen Gerechtigkeit bei den Rentenwerten. Wir brauchen darüber hinaus aber auch gleiche Löhne für gleiche Arbeit in Ost und West mit einer Tarifbindung, die überall hoch ist.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sehr richtig! – Zuruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])
Wir brauchen eine gerechte Vermögensverteilung, die allen dieselben Startchancen ermöglicht, die für eine funktionierende soziale Marktwirtschaft notwendig sind. Wir brauchen gleiche Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen, von der Politik über die Wirtschaft hin zur Kultur, um diese Interessen mitzudenken und diese Erfahrungen als Quelle zu nutzen, die uns allen zugutekommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Um einem beliebten Vorwurf zuvorzukommen: Es geht mir hier nicht darum, Menschen gegeneinander auszuspielen. Auch die Paketbotin in Aachen oder der Friseur in Bremen wird Ihnen sagen, dass es unfair ist, im selben Land für die gleiche Arbeit nicht den gleichen Lohn oder später die gleiche Rente zu bekommen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der Kellner in Köln auch!)
Die Menschen in unserem Land haben ein sehr gutes Gespür dafür, was fair ist und was nicht. Sie haben zu Recht wenig Verständnis dafür, wenn man Ungerechtigkeiten nicht beheben will. Wer das nicht erkennt, setzt unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt aufs Spiel. Denn am Ende geht es doch um einen gemeinsamen Nenner, der all unsere Entscheidungen leiten sollte. Es geht um eine Gesellschaft des Respekts. Das ist das zugrundeliegende Ziel all unserer Anstrengungen als Ampel: ob beim Wohnen, in der Bildung oder bei der Arbeit, ob bei Mann oder Frau, ob bei Menschen mit oder ohne Migrationsgeschichte, mit Uniabschluss oder Berufsausbildung oder eben aus Ost oder West.
Es geht darum, Lebensleistung anzuerkennen und gerecht zu sein, statt Wunden zu hinterlassen. Und es geht auch darum, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, um das Morgen zu gestalten – nicht verbittert oder wütend, sondern zuversichtlich und vor allem gemeinsam.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Für die CDU/CSU hat jetzt Jana Schimke das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7555299 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 111 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde: Rentenanpassung Ost/West |