21.06.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 111 / Zusatzpunkt 2

Bengt BergtSPD - LNG-Beschleunigungsgesetz

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Moin, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Manchmal hilft auch mal ein Blick zurück, um die aktuellen Erfolge und Erfordernisse besser einordnen zu können. Das Jahr 2022 war ein tiefer Einschnitt in die Geschichte Deutschlands und Europas. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist menschenverachtend und völkerrechtswidrig.

Der daraus folgende Energiekrieg Russlands führte uns in die Situation, dass eine Gasmangellage nicht auszuschließen war. Wir waren und sind immer noch gezwungen, uns unabhängig zu machen von russischem Gas. Für den Fall der Fälle galt es Notfallpläne zu machen, damit die Bürgerinnen und Bürger auch heizen können, wenn es eng werden sollte, und damit die Wirtschaft weiß, was unter welchen Umständen auf sie zukommt.

Bekanntlich ist es im Winter dazu nicht gekommen. Das verdanken wir den Bürgerinnen und Bürgern, dem Fuel Switch vieler Firmen,

(Karsten Hilse [AfD]: … dem Klimawandel!)

dem Weiterlaufen der CO2-trächtigen Kohlekraftwerke und der aggressiven LNG-Einkaufsstrategie des Bundes. Gerade mit diesem Erdgaseinkauf des Bundes haben wir die LNG-Infrastruktur unserer westlichen Nachbarn voll ausgereizt. Vorher war rein rechnerisch schon klar, dass wir mit deren Infrastruktur nicht die ausgefallenen Gasmengen anlanden können. Also haben wir im letzten Jahr schon das LNG-Beschleunigungsgesetz gemacht; die Flüssiggashäfen in Brunsbüttel, Lubmin und Wilhelmshaven wurden so im Rekordtempo möglich.

LNG ist fossil, LNG ist nicht schön. Aber für den Übergang ist LNG unverzichtbar, meine Damen und Herren. Lassen Sie mich deshalb die Gelegenheit nutzen, den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort in Brunsbüttel, Lubmin, Wilhelmshaven einmal Danke zu sagen. Ich weiß, dass die Vorhaben zum Teil kritisch gesehen wurden – zum Teil immer noch werden –, und das ist auch verständlich. Aber zum großen Teil haben die Menschen anerkannt: Wir leben in schwierigen Zeiten, und das erfordert eben manchmal besondere, auch unpopuläre Maßnahmen.

Brunsbüttel, Lubmin und Wilhelmshaven trugen und tragen zur Versorgungssicherheit ganz Deutschlands bei. Dass wir in kürzester Zeit so eine komplexe Infrastruktur und Versorgungssicherheit aufbauen konnten, ist eine große Leistung. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Behörden und den Beschäftigten der beteiligten Baufirmen möchte ich hier mal wirklich sagen: Vielen Dank dafür!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe es schon angedeutet: Mit Vernunft und Konsequenz haben wir den letzten Winter ganz gut überstanden. Lassen Sie uns aber jetzt nicht Opfer des Erfolges unserer guten Vorsorge werden. Lassen Sie uns jetzt nicht Schluss machen mit Vernunft und Konsequenz. Es war von vornherein klar, wie groß die Lücke durch das russische Gas sein würde. Aktuell ist es 1 Terawattstunde pro Tag, die wir weniger bekommen als vorher – trotz erhöhter Lieferungen aus Norwegen und Benelux. Das sind 1 Milliarde Kilowattstunden und etwa der jährliche Gasverbrauch von 50 000 Haushalten, die uns jeden Tag fehlen.

Zwei Drittel dieses Weges haben wir schon geschafft. Lassen Sie uns bitte nicht kurz vor der Ziellinie aufhören. Denn trotz aller Prognosen ist es schwer zu sagen, wie viel Gas wir am Ende wirklich benötigen. Wir haben viel eingespart; es gab viele Variablen in dem ganzen Spiel. Aber wenn wir sicher durch den nächsten Winter kommen wollen – und der nächste Winter könnte deutlich kälter werden als der letzte; denn der war viel zu warm –, dann brauchen wir mehr LNG-Kapazitäten. Deswegen sprechen wir heute in erster Lesung über die Anpassung des LNG-Beschleunigungsgesetzes und die Aufnahme eines möglichen weiteren Standortes in das Gesetz.

Die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten ist nämlich auch eine Frage der Solidarität; denn Europas Gasnetz ist verzweigt. Als es bei uns im letzten Jahr enger wurde, haben wir unter anderem mehr Gas über Norwegen, Belgien und die Niederlande bekommen. Das ist gut für unsere Gasspeicher; die sind auch gut gefüllt.

Aber wenn wir uns mal ansehen, wie wir das Gas an kalten Wintertagen von den Speichern im Nordwesten in den Südosten bekommen wollen, sieht es mit der Versorgungssicherheit nicht mehr so rosig aus. Denn es fehlt nicht nur die Durchflusskapazität; es gibt schlicht die Pipelines nicht. Ganz Mitteldeutschland hat keine große Pipeline, wurde ja der ganze Osten und Südosten in der Vergangenheit aus den östlichen Nachbarländern versorgt.

Nun kann man bequem sagen: Dann baut halt Pipelines. – Wenn man aber die Zeit im Nacken hat und der nächste Winter quasi vor der Türe steht, muss man Ressourcen nutzen, die man schon hat. Wir haben weder die Rohre noch die Verlegekapazitäten noch die Zeit. Dort, wo die Rohre entlang müssten, wohnen auch Menschen. Und da ist ein kleines Gebirge im Weg, nämlich der Harz.

Man muss also mit den Ressourcen arbeiten, die da sind. In Lubmin an der Ostsee liegen vier riesige Pipelines, die gebaut wurden, um den ganzen Osten Europas zu versorgen. Flüssiggas, das in der Ostsee angeschifft werden würde, käme auch und gerade Ostdeutschland zugute, ebenso Süd- und Osteuropa, das zum Teil noch am Gashahn Russlands hängt – ein Gashahn, der theoretisch morgen abgedreht werden könnte.

Und was dann? Wenn wir sichergehen wollen – und das müssen wir, das ist unsere Verantwortung –, dann brauchen wir weitere LNG-Kapazitäten im Ostseeraum, wohl oder übel. Und wir haben es jetzt schon durch Umplanungen und die Häfen in der Nordsee geschafft, dass wir nur 10 bis 15 Milliarden Kubikmeter an LNG in Lubmin bräuchten. Die Summe ergibt aber immer noch ein Weniger an Gasimporten als vor dem Krieg.

Eine gesicherte Versorgungslage hätte auch noch einen weiteren Vorteil, nämlich die Gaspreise – gerade wurde es schon angesprochen –, während bei einer Verknappung des Gases – so ist das nun mal in der Marktwirtschaft – der Preis ziemlich hoch sein wird. Wir wissen alle noch, wie hoch der Preis letztes Jahr war. Dass uns hohe Gaspreise noch einmal in solch eine Not bringen wie letztes Jahr, das müssen wir unbedingt verhindern. Das hat uns Milliarden gekostet. Und das müssen wir tun mit ausreichenden Kapazitäten. Das heißt nicht, dass wir alles ausschöpfen müssen, aber sicher ist sicher.

Natürlich kann ich verstehen, dass der Standort Rügen für Diskussionen sorgt. Rügen ist ein Urlaubsziel, ein touristischer Magnet, und das soll auch so bleiben. Das wird auch so bleiben. Dafür gibt es auf der Welt wirklich unzählige Beispiele. Eines dieser Ziele liegt keine Stunde Fahrzeit von Rügen entfernt, nämlich auf der Nachbarinsel Usedom. Das ist touristisch wunderschön, beliebt, ein toller Strand – und ein LNG-Port mitten im Hafen, ein zweiter ist im Bau.

(Zuruf von der AfD: Alles machen Sie kaputt!)

Das ist Swinemünde, und das ist nicht weit weg. Im Gegenteil: Ich bin sogar davon überzeugt, dass der Wirtschaftsstandort Rügen von dem LNG-Projekt wirklich gut profitieren wird, mit gut bezahlten Arbeitsplätzen rund um den bereits existierenden Industriehafen.

LNG ist nur eine Art fossile Zwischenstation. Der Hafen Mukran hat die Möglichkeit zur Fortentwicklung, hin zu einem Standort für Wasserstoff und Wasserstoffderivate. Mukran kann Zukunftshafen werden mit Windkraft, die dort jetzt schon verladen wird, und dem grünen Wasserstoff, der dann noch kommt. Dazu kommt das Energy Island Bornholm, das dort ebenfalls noch Energie anlanden wird.

Uns ist wichtig, dass die LNG-Terminals in Deutschland Wasserstoff-ready gebaut werden. Wir wissen um die Diskussion, wir wissen um die Umstellungsnotwendigkeiten; aber über die Ausgestaltung der Wasserstoff-Readyness werden wir noch sprechen. Darüber können wir debattieren. Das können wir aber nur hier tun, wo es hingehört: im Deutschen Bundestag.

Damit ermöglichen wir, dass wir die Transformation hin zu grünen Gasen auch sichern und die notwendigen Kapazitäten für die Zukunft bekommen. Wir haben gerade gehört: Wir brauchen davon eine ganze Menge. Das werden wir nicht alles selbst herstellen können.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Lassen Sie uns ins Gespräch kommen, um eine gute Lösung zu finden. Ich freue mich darauf.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Und der letzte Redner in dieser Debatte ist Philipp Amthor für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7555411
Wahlperiode 20
Sitzung 111
Tagesordnungspunkt LNG-Beschleunigungsgesetz
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine