Friedrich MerzCDU/CSU - Regierungserklärung zum EU-Rat am 29./30. Juni 2023
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen sehr, dass Sie, Herr Bundeskanzler, die heutige Regierungserklärung zum bevorstehenden Europäischen Rat am 29. und 30. Juni in Brüssel um eine Vorausschau auf den NATO-Gipfel am 11. und 12. Juli in Vilnius und um eine Rückschau auf die vom Bundeskabinett in der letzten Woche verabschiedete Nationale Sicherheitsstrategie ergänzt haben. Lassen Sie mich mit dieser Nationalen Sicherheitsstrategie beginnen.
Sie haben in Ihrer Regierung mehr als eineinhalb Jahre über diese Nationale Sicherheitsstrategie gestritten,
(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Ihr habt 16 Jahre gewartet!)
und das Dokument, das Sie in der letzten Woche dazu vorgelegt haben und um das Sie bis zuletzt ein großes Geheimnis gemacht haben, ist sowohl in der Fachöffentlichkeit als auch bei unseren Nachbarn in der Europäischen Union und in der NATO – lassen Sie mich das mal so sagen – auf ein sehr verhaltenes Echo gestoßen. Kritisiert wurde zu Recht, dass Sie diese Strategie weitgehend ohne Abstimmung mit den Partnern in der Europäischen Union und in der NATO entworfen haben.
(Zuruf von der AfD: Ach so!)
Aber wie es auch anders geht, das hat Frankreich vor gut zehn Jahren bewiesen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Frankreich hat über den gesamten Prozess einen hochrangigen deutschen Beamten aus dem Auswärtigen Amt als Gast eingeladen und hatte bei der Erstellung der französischen Sicherheitsstrategie ein großes Interesse auch an dem Blick aus Deutschland. Sie haben das nicht für nötig befunden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Und auch die Bundesländer in Deutschland, alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, beklagen sich darüber, dass Sie es nicht für nötig befunden haben, die Länder in die Erstellung dieser Nationalen Sicherheitsstrategie miteinzubeziehen.
(Zuruf von der SPD: Wenn wir einer Meinung sind!)
– Dass die nicht einer Meinung sind, konnten Sie in verschiedenen Kommentaren lesen, auch aus Ihren eigenen Reihen, meine Damen und Herren, auch von SPD und FDP und Grünen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn Sie aber der Meinung sind, Herr Bundeskanzler, dass die Sicherheit Deutschlands spätestens nach dem Beginn des Ukrainekrieges nun vollkommen neu konzipiert werden muss, dann gehören in Deutschland die Länder mit an den Tisch;
(Beifall bei der CDU/CSU)
denn die Länder sind für große Teile des Bevölkerungsschutzes verantwortlich.
Es fällt auf, was in dieser Nationalen Sicherheitsstrategie weiterhin fehlt: Sie haben keinerlei Prozess der Implementierung und der Fortentwicklung der Nationalen Sicherheitsstrategie verabredet. Die eigentlich notwendige Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates ist am Streit in Ihrer Regierung und ganz offensichtlich am Widerspruch der Grünen gescheitert. Wolfgang Ischinger – er ist in dieser Frage nun wirklich unverdächtig – hat es in der letzten Woche auf den Punkt gebracht – wörtliches Zitat –: Auf die Umsetzung kommt es an, und dafür gibt es keinen Plan. – Genau so ist es.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ausdrücklich ausgelassen haben Sie in der Nationalen Sicherheitsstrategie ein Land, dessen Regierung Sie in dieser Woche hier in Berlin getroffen haben, nämlich die Volksrepublik China.
(Zuruf: Das stimmt doch gar nicht!)
Die angekündigte China-Strategie ist aus der Nationalen Sicherheitsstrategie ausgelassen worden;
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie wollen sie zu einem späteren Zeitpunkt vorlegen, weil Sie auch darüber in Ihrer Regierung streiten. Wenn aber Deutschland über die Nationale Sicherheitsstrategie gegenüber China streitet, dann kann die Europäische Union keine Sicherheitsstrategie gegenüber China entwickeln.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Aha!)
Und dann wollten Sie ja im letzten Jahr unbedingt der erste Regierungschef sein, der den chinesischen Staatspräsidenten nach der Aufhebung dieses rigorosen Lockdowns in Peking und nach dem letzten Parteitag der Kommunistischen Partei von China sieht. Aber Sie haben ein Angebot des französischen Staatspräsidenten, diese Reise gemeinsam zu machen, ausgeschlagen
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ja!)
und sind stattdessen alleine hingereist. Wie man es auch anders machen kann, das hat genau dieser französische Staatspräsident gezeigt, als er nämlich mit der Präsidentin der Europäischen Kommission nach Peking gereist ist, Herr Bundeskanzler.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dieses Land wird nach innen hin immer repressiver, nach außen hin immer aggressiver, auch in der militärischen Aufrüstung und in der Bedrohung des Nachbarn Taiwan. Und dann weichen Sie in dieser Woche noch vor der chinesischen Regierung zurück, die auf Ihrer gemeinsamen Pressekonferenz keine Fragen zulassen wollte, wie das in autoritären Staaten dann eben so üblich ist.
(Sepp Müller [CDU/CSU]: Furchtbar!)
Herr Bundeskanzler, Ihre beiden Vorgänger Gerhard Schröder und Angela Merkel haben das nicht hingenommen
(Beifall bei der CDU/CSU)
und eher mit dem Abbruch der Reisen gedroht, als ein so autoritäres Verhalten zu akzeptieren, und zwar sowohl in China als auch hier in Deutschland. Sie weichen hier in Berlin vor einer solchen Anmaßung der chinesischen Staatsführung zurück.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie haben heute Morgen erneut auf die notwendigen Verteidigungsanstrengungen gegenüber Russland und für die Ukraine hingewiesen. Wie Sie wissen, teilen wir diese Haltung von Ihnen, und wir unterstützen Sie dabei. Wir teilen auch Ihre Auffassung, dass wir insgesamt mehr für die Bündnis- und Landesverteidigung tun müssen.
Und weil wir diese Einschätzung teilen, meine Damen und Herren, haben wir Ihnen, der Koalition, im letzten Jahr zugestimmt, das Grundgesetz zu ändern und 100 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr bereitzustellen. Grundlage – um nicht zu sagen: Geschäftsgrundlage – für diese Zustimmung war allerdings die in Ihrer Regierungserklärung vom 27. Februar 2022 gegebene Zusage, neben dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ab sofort mehr als 2 Prozent des BIP in die Bundeswehr zu investieren. Das war die Verabredung im letzten Jahr, ziemlich genau um diese Zeit.
Wir haben nicht miteinander verabredet, dass Sie den Verteidigungsetat im ersten Jahr, nämlich schon in diesem Jahr 2023, um 300 Millionen Euro senken
(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])
und sich dann ab dem nächsten Jahr aus diesem Sondervermögen der 100 Milliarden Euro bedienen, um mühsam das 2-Prozent-Ziel dann im Bundeshalt abbilden zu können. Das war nicht die Verabredung mit Ihnen und Ihrer Bundesregierung, Herr Bundeskanzler.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie betonen von dieser Stelle aus heute auch völlig zu Recht, wie wichtig es ist, dass wir unsere Handelsbeziehungen weiter diversifizieren und auch unabhängiger von China werden. Eine Möglichkeit, dies zu tun, wäre, mit den südamerikanischen Staaten ein umfassendes Handelsabkommen abzuschließen, nämlich das Mercosur-Abkommen mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Vor wenigen Wochen hat hier im Deutschen Bundestag im Wirtschaftsausschuss dazu eine Anhörung stattgefunden.
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Exakt!)
Die Sachverständigen haben in großer Zahl empfohlen, dieses Abkommen jetzt so schnell wie möglich in Kraft zu setzen.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Mindestens eine war dabei, die das Gegenteil gesagt hat!)
Sie haben zu diesem Abkommen heute Morgen allenfalls durch die Blume etwas gesagt.
In Wahrheit streiten Sie in Ihrer Koalition wieder einmal um ein Handelsabkommen: Sieben Jahre Streit über CETA mit Kanada, das TTIP-Abkommen mit Amerika wurde verhindert – hätten wir das heute mal; dann ginge es uns auf der Welt insgesamt besser –,
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!)
und jetzt Mercosur. Die FDP ist dafür, die Grünen sind dagegen, die SPD hat keine Meinung, und der Bundeskanzler schweigt darüber, ob denn dieses Abkommen jetzt geschlossen werden soll oder nicht. Meine Damen und Herren, Europa kann keine erfolgreiche Handelspolitik machen, wenn die Bundesrepublik Deutschland sich so zerstreitet.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie betonen zu Recht, wie wichtig es ist, dass wir ein besonders gutes Verhältnis zu unserem Nachbarn Frankreich haben. Ich hätte Ihre Rede in Prag, Herr Bundeskanzler, heute Morgen nicht noch mal erwähnt, wenn Sie es nicht getan hätten. Aber zur Erinnerung: Sie haben in dieser Rede im August letzten Jahres Frankreich nicht mit einem Wort erwähnt. Das soll Ihre wichtigste europapolitische Grundsatzrede in Ihrer bisherigen Amtszeit gewesen sein? Nicht mit einem Wort erwähnt!
(Katja Mast [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Er hat doch über Frankreich gesprochen!)
Das ist nicht nur in Prag aufgefallen, was da geschehen ist, Herr Bundeskanzler.
Und dann haben Sie in dieser Woche beschlossen, dieses Luftabwehrsystem zu beschaffen – wieder ohne Frankreich. Ihr Verteidigungsminister musste Anfang der Woche zu einem Noteinsatz nach Paris fliegen, um dort das Porzellan, das zerschlagen worden war, mühsam zu kitten. Das ist doch keine Zusammenarbeit mit Frankreich! Die Beziehungen zu Frankreich sind, seitdem Sie im Amt sind, an einem Tiefpunkt angekommen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das ist doch der tatsächliche Befund, der zeigt, wie wir aus Deutschland heraus gegenwärtig mit Frankreich umgehen. Und erlauben Sie mir die Bemerkung: Auch das haben Ihre beiden Vorgänger – beide Vorgänger! – besser gemacht, als Sie es gegenwärtig tun, Herr Bundeskanzler.
(Zurufe von der SPD: Oh! – Katja Mast [SPD]: Ach Gottchen!)
Es war immer eine gute Übung, dass es hier im Deutschen Bundestag zwischen Regierung und Opposition in der Außenpolitik und auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein hohes Maß – –
(Zurufe der Abg. Leni Breymaier [SPD] und Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Wenn Sie diesen Zwischenruf machen, dann will ich Ihnen noch etwas sagen. Die Bundesaußenministerin ist in der letzten Woche in Brasilien gewesen. Der Außenminister Brasiliens hat sie nicht empfangen und ist seinerseits auf Reisen gegangen. Dafür sind Sie, Frau Baerbock, dann in Brasilien auf Besichtigungstour gegangen – offensichtlich mehr mit einem eigenen Fotografen beschäftigt als mit den Gastgebern in Brasilien.
(Beifall bei der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll denn das jetzt? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Bilder, die Sie aus Brasilien mitgebracht haben, waren Ihnen doch wichtiger als alle politischen Gespräche. Es war doch Innenpolitik, was Sie da gemacht haben, und nicht Außenpolitik.
(Saskia Esken [SPD]: Was ist denn das für ein Niveau? Wahnsinn! – Weiterer Zuruf von der SPD: Ganz tiefes Niveau! – Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten mal Fotos mit Hendrik Wüst machen! Also wirklich!)
Meine Damen und Herren, wir sind sehr für eine wertegeleitete und interessengeleitete Außenpolitik. Aber wir brauchen keine belehrende und moralisierende Außenpolitik – darauf wartet niemand auf dieser Welt –, insbesondere nicht aus der Bundesrepublik Deutschland heraus.
(Beifall bei der CDU/CSU – Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf Polizeibeamte, die Reden halten auf dem Parteitag!)
Deswegen lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir wollen den Fortschritt in Europa. Wir wollen, dass es in dieser Europäischen Union kraftvoll weitergeht. Nie war das wichtiger und notwendiger denn heute.
(Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, außer Nörgeleien haben wir nichts gehört!)
Aber wenn in der Bundesrepublik Deutschland, wenn in Ihrer Bundesregierung beständig gestritten wird über wesentliche innenpolitische, außenpolitische und europapolitische Fragen – wir sind kein kleines Land am Rand, wir sind das geostrategisch wichtigste Land in der Mitte Europas; ob wir es wollen oder nicht, wir sind es –, wenn Sie in der Bundesregierung aber permanent streiten, dann überträgt sich dieser Streit auf die Europäische Union. Wir könnten in Europa wesentlich weiter sein, wenn es eine geschlossenere Haltung der Bundesrepublik Deutschland und Ihrer Bundesregierung in Europa gäbe, meine Damen und Herren.
(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])
Sie sind dafür verantwortlich, dass Europa heute nicht da steht, wo wir eigentlich gemeinsam stehen müssten.
Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)
Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Britta Haßelmann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 112 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum EU-Rat am 29./30. Juni 2023 |