Thomas HackerFDP - Bundeswehreinsatz in Bosnien und Herzegowina (EUFOR ALTHEA)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 1989 markierte einen Wendepunkt in unserer europäischen Geschichte. Nicht jedes Land konnte sich friedlich von den Fesseln kommunistischer Unterdrückung befreien. Während in Mitteleuropa runde Tische und friedliche Revolutionen den Weg zu den ersten freien Wahlen ebneten, hatte der Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung in anderen Ländern einen hohen, oft einen blutigen Preis.
Ab 1991 wurde unsere Sehnsucht nach Frieden in Europa durch nationalistische Kräfte auf dem Balken in ihren Grundfesten erschüttert. Innerhalb nur weniger Tage wurde Krieg in Europa wieder grausame Realität, eine Realität, die ein ganzes Jahrzehnt andauern sollte.
Dem rapiden Zerfall des einstigen Vielvölkerstaates Jugoslawien folgten kriegerische Auseinandersetzungen, Zwangsvertreibungen und Genozide. Das so nachvollziehbare Streben der Menschen nach einem eigenen unabhängigen Staat wurde Auftakt zu einem Krieg, der uns als Deutschen Bundestag heute, fast 28 Jahre später, immer noch beschäftigt.
Viele von uns haben die furchtbaren Bilder der Belagerung von Sarajevo selbst noch in Erinnerung. Sie waren trauriger Alltag in der täglichen Berichterstattung in den frühen 90er-Jahren. Mehr als drei Jahre war Sarajevo eingekesselt, die Menschen den Belagerern schutzlos ausgeliefert. Mehr als 10 000 Menschen starben, darunter allein 1 600 Kinder.
Wenn man heutzutage durch die Straßen von Sarajevo läuft, ist die Erinnerung an diese Jahre in die Stadtviertel wie eingebrannt, immer noch. Das Massaker von Srebrenica – der Völkermord von Srebrenica – steht nicht allein für den traurigen Höhepunkt des Jugoslawienkriegs; Srebrenica hat alles verändert. Dieser Genozid stellt auch eine große Zäsur deutscher Außenpolitik dar und wurde zentraler Anlass, die Lethargie gemeinsamer europäischer Sicherheitspolitik zu überwinden.
(Markus Grübel [CDU/CSU]: Wohl wahr!)
Das Friedensabkommen von Dayton hat 1995 die Waffen zum Schweigen und den Bürgern den langersehnten Frieden gebracht. Es hat aber auch einen Staat geschaffen, der durch seine ethnische und verwaltungstechnische Komplexität seinesgleichen sucht.
(Markus Grübel [CDU/CSU]: Ein Euphemismus!)
Bosnien und Herzegowina ist seitdem ein befriedetes Land, aber noch lange kein ausgesöhntes Land.
Und heute erleben wir wieder, wie nationalistische Politiker diesen Status quo mit ihrem Handeln infrage stellen. Mit seiner spalterischen Rhetorik stellt der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, die Friedensvereinbarungen infrage und provoziert eine Rückkehr der Gewalt. Am vom Verfassungsgericht verbotenen Tag der Feierlichkeiten seiner Republika verleiht er dem Kriegsverbrecher Putin einen Orden. Vor wenigen Tagen ruft er bei einer Massendemonstration in Belgrad „Es lebe Russland“ aus, unwidersprochen vom anwesenden serbischen Präsidenten.
Diese Realität macht unser Engagement in Bosnien und Herzegowina unverzichtbar. Wenn wir den Einheitsstaat Bosnien und Herzegowina mit seinen Institutionen stärken und weiterhin zu einem friedlichen Umfeld beitragen wollen, dann ist die Beteiligung deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Sicherheitsoperation EUFOR Althea absolut notwendig.
Erlauben Sie mir, die Gelegenheit zu nutzen, mich bei allen Soldatinnen und Soldaten für ihren Beitrag zu Sicherheit und Stabilität vor Ort zu bedanken. Ihnen gelten unser größter Respekt und unsere ungeteilte Dankbarkeit.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In kaum einer anderen Region genießt die Bundesrepublik Deutschland ein solches Vertrauen wie in den Staaten des westlichen Balkans. Die große Sorge vor Ort gilt daher eher Deutschlands Tatenlosigkeit, nicht Deutschlands Engagement.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die von Bundeskanzler Scholz 2022 verkündete Zeitenwende hat auch Konsequenzen für die Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik der EU. Seit Dezember 2022 ist Bosnien und Herzegowina offizieller Beitrittskandidat, die einzig richtige geopolitische Entscheidung und der richtige Weg, um die Komplexität von Dayton endlich zu überwinden.
Fortschritte sind erkennbar: Nach der Lösung von Blockaden ist die Regierungsbildung in Rekordzeit abgeschlossen worden. Man strebt in die NATO. Wichtige legislative Vorhaben wurden auf den Weg gebracht. Es gilt, diese Reformbemühungen zu verstetigen. Bosnien und Herzegowina kann dabei auf die Unterstützung Deutschlands zählen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Gleichzeitig müssen wir auch weiterhin Regierung und Zivilgesellschaft im Land als Partner sehen und negative Entwicklungen frühzeitig ansprechen. Die Abkommen des Berliner Prozesses sollten alsbald ratifiziert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Botschaft an die Länder des Westbalkans ist klar: Wir werden, die Bundesrepublik Deutschland wird jeden der Westbalkanstaaten auf seinem Weg in die Europäische Union unterstützen – mit ganzer Kraft. Die notwendigen Reformschritte müssen die Länder aber selbst gehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Andrej Hunko.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7555894 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 113 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Bosnien und Herzegowina (EUFOR ALTHEA) |