Holger BeckerSPD - Evaluation von Pseudowissenschaften
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Es ist kein Zufall, dass ich wie Kollegin Staffler meine Rede mit dem Grundgesetz, Artikel 5 Absatz 3 Satz 1, beginnen will: „… Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Auch im Pakt für Forschung und Innovation in Europa ist dieses essenzielle Prinzip der Wissenschaft verankert. Und ja, selbst im Wahlprogramm der antragstellenden Partei heißt es auf Seite 154: „Autonomie der Hochschulen stärken, Freiheit von Forschung und Lehre bewahren“. Das klingt in allen drei Fällen gut, ist aber nur in den ersten beiden Beispielen wirklich der Fall.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Im benannten Wahlprogramm geht es nämlich direkt darunter in eine ganz andere Richtung: „Kein Geld für „Gender Studies“, keine Gender-Quoten“. Hier entlarvt sich die ganze Bigotterie dieses Antrags.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP])
Ziel von Wissenschaft ist Erkenntnisgewinn und die damit verbundene Verbesserung von Lebensbedingungen, sei es in der Medizin, in den Natur- und Technikwissenschaften, aber eben auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Wie kommt man dabei als Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin zur Auswahl der Themen? Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind grundsätzlich frei in dem, was sie erforschen wollen. Sie können sich ihre Themen frei aussuchen. Das ist die Essenz von Wissenschaftsfreiheit.
(Dr. Carolin Wagner [SPD]: Richtig!)
Wenn sich dieser Wahl aus der Wissenschaftscommunity andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anschließen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass es ganz offensichtlich Themen sind, die wissenschaftliche, gesellschaftliche Relevanz haben.
(Dr. Carolin Wagner [SPD]: Genau!)
Und wenn dann die Forschungsergebnisse aus diesem Feld einschlägig publiziert werden auf Konferenzen, in Monografien oder wissenschaftlichen Fachzeitschriften – den Prozess nennt man übrigens „Peer Review“, der genau diesen Gedanken der Rückkopplung mit der wissenschaftlichen Community verkörpert –, ist das geübte gute wissenschaftliche Praxis. Dieser ganze Prozess sollte gerade nicht der Einflussnahme politischer Kräfte unterliegen.
Wie gut in Deutschland dieser Prozess funktioniert, gerade durch das hohe Maß an akademischer Freiheit, lässt sich an dem sogenannten Academic Freedom Index ablesen. Hier stand Deutschland im letzten Jahr weltweit auf Platz eins mit einem Wert von 0,96 bei einem Maximalwert von 1,0.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es gibt Länder, in denen das nicht der Fall ist, und da hört man von Ihnen zum Thema Wissenschaftsfreiheit gar nichts. Beispiel Ungarn: Ungarn, das 2018 Gender Studies verboten hat,
(Zuruf der Abg. Dr. Carolin Wagner [SPD])
hat mit einem Index von 0,34 weit schlechtere Werte als beispielsweise die Republik Kongo, Äthiopien oder der Tschad.
(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Hört! Hört!)
Der Aufgaben des Wissenschaftsrats übrigens, den Sie hier beauftragen wollen, sind viele. Er soll sich mit dem Wissenschaftssystem generell beschäftigen. Ja, er soll Evaluation betreiben, beispielsweise von Forschungsinfrastruktur oder Studiengängen, er soll private Hochschulen akkreditieren – all dies nach den Kriterien wie Wahrheit, Zuverlässigkeit, Validität und vielen mehr. Fürwahr, die Aufgaben des Wissenschaftsrats sind mannigfaltig. Wissenschaftsfeindlicher Aktionismus wie in diesem Antrag gehört nicht dazu.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was steckt nun eigentlich wirklich hinter diesem Antrag? Wes Geistes er ist und gegen wen es hier wieder einmal gehen soll, das offenbaren Sie in Ihren konkreten Forderungen zur Abschaffung von Disability Studies, Gender Studies, Queer Studies.
(Zuruf des Abg. Dr. Marc Jongen [AfD])
Wissenschaft zu Frauen, Queerpersonen oder Menschen mit Behinderungen soll es an den Kragen gehen.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Nein! Evaluieren! Evaluieren! – Gegenruf der Abg. Maja Wallstein [SPD])
Diese Agenda versuchen Sie unter dem Mantel von vorgetäuschter Wissenschaftsfreiheit zu verstecken und zu rechtfertigen – und das gerade als Partei, die den Klimawandel leugnet, die die Coronapandemie leugnet, von der Partei der Halbwahrheiten, Pseudowissenschaften und Verschwörungserzählungen. So viel Unverfrorenheit, so viel Menschenverachtung
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Menschenfeindlichkeit! Rassismus!)
ist die Zeit des Hohen Hauses nicht würdig. Wir lehnen diesen Antrag ab.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Ludwig, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7556042 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 114 |
Tagesordnungspunkt | Evaluation von Pseudowissenschaften |