Nina ScheerSPD - Suizidhilfe
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben als Gesellschaft die Herausforderung, zwei Dinge zusammenzubringen, und zwar sowohl den Schutzauftrag, der in Bezug auf das Leben besteht, als auch all das, was das Leben ausmacht, zu respektieren. Dazu gehört eben auch – das hat das Verfassungsgericht klargestellt – das Recht auf selbstbestimmtes Sterben, und dieses Recht umfasst auch, sich Hilfe von Dritten dazuzuholen. Das gehört mit zu diesem verfassungsgerichtlich bestätigten Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben, und damit gehört es zum Leben, zu unserer Gesellschaft dazu. Diese beiden Dinge müssen wir zusammenbringen.
Deswegen möchte ich hier auf ein paar Dinge eingehen, die von denen fälschlich dargestellt wurden, die den Eindruck erwecken wollen, man könnte mit Stigmatisierung und Ausblenden dieses Bereichs, des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben, Leben retten. Ich erkläre eindeutig, dass dies nicht der Fall ist, dass das eine Irreführung ist, dass uns das nicht weiterbringt und dass das auch die Menschen fernhalten wird vom Hilfesuchen, von den Möglichkeiten, sich beraten zu lassen. Denn häufig sind es ja Menschen, die aus einer Verzweiflung heraus auf diese Gedanken kommen, und daraus erwächst ein Suizidwunsch.
Wie sollen wir diesen Menschen begegnen? Wir haben einen Schutzauftrag. Wir müssen ihnen natürlich irgendwie einen gesellschaftlichen Anknüpfungspunkt bieten, den sie bis dahin verloren haben. Wir müssen einen niedrigschwelligen Anknüpfungspunkt schaffen, ein Beratungsstellennetz, wie wir es in unserem Gesetzentwurf vorsehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Das muss natürlich unentgeltlich sein, und das darf natürlich nicht kommerziell betrieben werden, wie das von Vertretern der anderen Gruppe unterstellt wird. Das Beratungsangebot muss so niedrigschwellig sein, dass sich tatsächlich jeder angesprochen fühlt, übrigens auch unter 18-Jährige, auch wenn – das eint beide Gesetzentwürfe – der Anwendungsbereich der Gesetzentwürfe selbstverständlich nur Volljährige umfasst. Es ist ganz wichtig, das noch mal hier festzuhalten. Es muss sich jeder angesprochen fühlen; denn nur so können wir gewährleisten, dass Leben gerettet wird. Alles andere, denke ich, führt uns hier nicht weiter und verfälscht die Sachlage.
Ich möchte zurückkommen auf die Frage, wie wir dann mit der Feststellung dieses freien, selbstbestimmten, autonom gefassten und dauerhaften Willens umgehen, die das Verfassungsgericht als Kriterium aufgestellt hat. Das ist genau die Frage: Wie stellen wir den Willen fest, wenn wir uns auf den Weg des Strafrechts begeben, wenn wir im Grundsatz erklären: „Die Herangehensweise im Umgang mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist unter Strafe gestellt. Die Hilfeleistung dazu ist unter Strafe gestellt“?
Wenn das der Grundsatz ist, dann halte ich es für sehr naheliegend, dass die Menschen, die sich mit dem Gedanken umgeben oder bei denen er schon sehr weit ausgereift ist, weil sie in einer existenziellen Leidenssituation stecken, etwa aufgrund von Vorerkrankungen, sich nicht an die Gesellschaft wenden, sondern dass sie – in der Stigmatisierung verhaftet, alleingelassen – einen bestimmt nicht würdevollen Weg wählen, weil sie allein gelassen sind.
Genau an der Stelle setzt unser Schutzauftrag ein. Wir müssen sagen: Hier haben wir den Schutzauftrag, diesen Menschen zu helfen, ihrem Recht auf selbstbestimmtes Sterben Geltung zu verleihen und diese Hilfe wirklich zu gewähren.
Wenn aber das Strafrecht eine Stigmatisierungswirkung entfaltet – und das wird es tun –, dann werden die Ärzte nicht verfügbar sein, dann werden die Beratungsstellen, deren Angebote von uns niedrigschwellig angelegt sind, nicht verfügbar sein. Wenn diese nicht da sind, dann kann auch nicht das Recht auf selbstbestimmtes Sterben verwirklicht werden, dann kann auch nicht demjenigen gesellschaftlich begegnet werden, der möglicherweise doch keinen festen Willen hatte, sondern der wieder zurück ins Leben finden möchte. Auch der wird dann nicht erfasst.
Insofern ist es ein Trugschluss, zu glauben, dass mit der Wiederverfestigung eines Straftatbestandes Leben geschützt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Daher bitte ich, den anderen Gesetzentwurf abzulehnen; denn nur so können wir das Recht auf selbstbestimmtes Sterben wirklich erfassen.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Nächster Redner: Stephan Pilsinger für die Gruppe „Dr. Castellucci und andere“.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7556116 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 115 |
Tagesordnungspunkt | Suizidhilfe |