Elisabeth Winkelmeier-BeckerCDU/CSU - Suizidhilfe
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht ist es Ihnen auch so gegangen, dass, wenn Sie im Wahlkreis Menschen auf die heutige Debatte angesprochen haben, oft die Antwort kam: Wenn jemand am Ende seines Lebens eine schwere Erkrankung hat, Schmerzen hat und den Sterbeprozess abkürzen will, dann haben wir dafür Verständnis, wenn er das mit ärztlichem Beistand machen will. – Das sehen sicher viele so, und das ist sicherlich auch etwas, was das Bundesverfassungsgericht geregelt haben will. Deshalb sehen beide Gesetzentwürfe zur Suizidassistenz ein zügiges Verfahren ohne künstliche, überflüssige Hürden vor, wenn aufgrund der Umstände klar ist, dass es sich um eine freiwillige und endgültige Entscheidung des Menschen handelt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Benjamin Strasser [FDP])
Die Antwort zeigt aber noch etwas Wichtiges. Viele gehen davon aus, dass es nur um diese Situation geht. Wir reden aber heute über Krisen in jeder Lebensphase – die gescheiterte Beziehung oder Karriere, die Insolvenz, die bleibende Behinderung, Trauer, Einsamkeit, Angst –, die Suizidgedanken auslösen können. Obwohl es fast immer auch in solchen Situationen Lösungen gibt, die das Leben wieder lebenswert machen können – der neue Freund, der neue Partner, die Entschuldung, die Therapie, der Neuanfang –, lassen wir die Menschen damit manchmal allein, und das dürfen wir nicht tun.
Es gibt ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Leben und – ja – auch auf selbstbestimmtes Sterben. Aber es gibt auch ein Grundrecht auf Schutz des Lebens, und es ist unsere Verantwortung, den Schutz des höchsten Rechtsguts, das es gibt und über das wir heute sprechen, zu gewährleisten. Auch das hat das Bundesverfassungsgericht postuliert. Wir haben schon gehört, dass es empirisch belegt ist, dass der Wunsch nach einem Suizid volatil ist. Wahrscheinlich haben viele Menschen ihn im Laufe ihres Lebens. Die Menschen, die ihren Suizidversuch überlebt haben, berichten häufig, dass sie darin im Nachhinein einen Fehler sehen. Deshalb darf beim Wunsch nach Suizid die vorschnelle Antwort der Gesellschaft doch nicht sein: „Okay, wir helfen dir bei einem sanften und leichten Tod“, sondern die Antwort muss lauten: Wir helfen dir raus aus der Krise, so gut es geht, damit du wieder Lebensmut gewinnst.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Auch andere Situationen machen verletzlich. Die ältere Frau mit dem teuren Heimplatz, der junge Mensch im Rollstuhl, der auf Hilfe angewiesen ist – sie dürfen nicht darüber nachdenken müssen und sollten noch nicht mal zwingend damit konfrontiert sein, ob sie Kosten verursachen, ob sie jemandem zur Last fallen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Jessica Tatti [DIE LINKE])
und ob der Suizid nicht eine naheliegende Lösung wäre. Niemand soll sich in dieser Situation dafür rechtfertigen müssen, dass er sein Leben ausschöpfen will.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir haben heute oft gehört, dass es um Selbstbestimmung und um Würde geht. Es darf aber nicht die Botschaft unserer Debatte heute sein, dass nur der seine Selbstbestimmung und Würde wahrt, der sich für den Suizid entscheidet. Selbstbestimmung wahrt auch der oder die, der oder die eine Krankheit annimmt und sich auf Hilfsbedürftigkeit einlässt. Auch wer in allem auf Hilfe angewiesen ist, wahrt seine Würde
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP, der AfD und der LINKEN)
und darf sich auf die Hilfe unserer Gesellschaft verlassen – nicht nur ein paar Wochen, nicht nur ein paar Monate, sondern solange das Leben dauert.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Beatrix von Storch [AfD] und Jessica Tatti [DIE LINKE])
Hier entscheidet sich auch, in welcher Gesellschaft wir leben wollen und mit welcher Haltung wir Menschen in dieser Situation entgegentreten wollen. Eine humane Gesellschaft darf hier nicht vorschnell auf Hilfe zum Suizid verweisen. Deshalb brauchen wir den wirksamen Schutz des freien Willens durch zwei ärztliche, therapeutische Termine, und zwar bei Fachleuten, die auch Fachleute für Hilfe sind, die Fachleute für Heilung sind, mit einer Wartezeit von drei Monaten – das ist die Zeit, in der man nach anderen Lösungen suchen kann –, dazwischen die zielgenaue Beratung, die die Hilfe in den Mittelpunkt stellt, und dazu die effektive Absicherung auch mit strafrechtlichen Sanktionen. Diesen Schutz sieht der Entwurf „Castellucci/Heveling“ vor. Deshalb bitte ich Sie und euch ganz herzlich, diesen Entwurf zu unterstützen.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Nächster Redner: Otto Fricke für die Gruppe „Helling-Plahr/Künast und andere“.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7556123 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 115 |
Tagesordnungspunkt | Suizidhilfe |