Otto FrickeFDP - Suizidhilfe
Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eine Sache an den Anfang stellen: Wir reden in Deutschland zu wenig über den Tod. Das ist ein Satz, den man immer wieder sagen muss, und eine Tatsache, die unserer Gesellschaft – manchmal, glaube ich, auch aufgrund unserer Geschichte – leider viel zu sehr innewohnt. Ich will mich ausdrücklich bei allen Gruppen bedanken, dass sie sich mit diesem Gesetzentwurf des Themas Tod angenommen haben; denn wir müssen über den Tod reden, weil er im Endeffekt Teil unseres Lebens ist. Das sollten wir bei einer solchen Debatte nie vergessen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wer über das Leben redet, muss auch offen über das Sterben reden. Ich sage das den jungen Zuschauern, die hier sind, ich sage das den älteren Zuschauern, die hier sind, aber auch allen anderen, die uns zuhören oder zusehen: Eine der wichtigsten Aufgaben einer Gesellschaft ist es doch, über solche Dinge zu reden. Das ist die erste Aufgabe, die wir als Mitmenschen haben, damit verstanden wird, wie der Einzelne, der Sorgen, der Probleme hat, zu seinem Leben, aber auch zu seinem Sterben steht. Ich würde allen Gruppen hier ausdrücklich zubilligen, dass sie sagen: Natürlich wollen wir das Leben schützen; aber wir wollen eben auch die freie Entscheidung des Einzelnen in der einen oder anderen Weise schützen. – Darum geht es heute. Darum geht es in dieser Gesellschaft bei diesem Thema.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Als Anwalt kann ich nur sagen: Es ist für mich immer noch ein Thema, bei dem ich merke: Warum reden die Leute nicht über so was? Man redet inzwischen über alles. Ich meine, wir sehen das ja in den elektronischen Medien: Fast jedes Thema ist präsent. Aber sobald es um das Thema Tod geht – Erbschaft, Organspende, Verführung in Richtung Tod –, zucken wir auf einmal zusammen, weil wir nicht darüber reden. Dafür sind diese Debatten gut. Da kann man auch dem Bundesverfassungsgericht mal wieder dankbar sein – die Gewaltenteilung funktioniert –, dass es uns dazu bringt, über dieses Thema zu reden. Deswegen sage ich an der Stelle auch: Wir müssen gucken, dass wir das Bundesverfassungsgericht ernst nehmen, aber als Gesetzgeber auch unsere Meinung einbringen und zusehen, dass wir nicht wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber, meine Damen und Herren, es geht um etwas ganz Entscheidendes – und da unterscheiden sich die beiden Entwürfe dann doch –: Was für einen Staat wollen wir bei diesem Thema? Wollen wir bei diesen höchstpersönlichen Fragen – Leben, Sterben, Tod – einen Staat, der uns Freiheit lässt, oder wollen wir einen Staat, der diese Freiheit erst einmal grundsätzlich einschränkt, der grundsätzlich die Möglichkeit zulässt, dass ein Verdacht ausgesprochen wird, und dann erst erlaubt, dass der Sterbewille auch entsprechend umgesetzt werden kann? Das ist der essenzielle Unterschied. Wir müssen uns fragen: Wie gehe ich in diese Problematik hinein, egal wie der Zugang ist, egal welche Fälle es sind? Das Verfassungsgericht hat gesagt: Es gibt dieses Recht. Das Verfassungsgericht hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Abwehrrecht gegen den Staat in dem Urteil ausdrücklich so definiert: Es gibt das Recht. Es sagt nicht: Das Recht ist erst mal nicht da, ein entsprechendes Handeln muss dir erlaubt werden, und es ist eine mögliche Straftat in diesem Zusammenhang, die da passiert. – Nein, es ist erst einmal dein Recht, und der Staat muss ganz genau begründen, wann und wo er einschreitet. Das unterscheidet die beiden Gesetzentwürfe ganz essenziell.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Meine Damen und Herren, dann sagt das Verfassungsgericht sehr schön: Es ist eine „Entscheidung des Einzelnen“. Ja, man muss prüfen, wie sie zustande kommt, aber diese Entscheidung ist „Akt autonomer Selbstbestimmung“, und dieser Akt – dazu kommt noch dieser schöne Satz – ist von „Staat und Gesellschaft“, also auch von allen Bürgerinnen und Bürgern, „zu respektieren“. Das genau ist der Gesetzentwurf „Künast/Helling-Plahr“ in Reinform, das wird genau so übernommen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Wir wollen verhindern, dass sich irgendjemand in unserer Gesellschaft rechtfertigen muss, wenn er nach einem längeren Verfahren mit möglichst viel Prävention – deswegen übrigens auch der Entschließungsantrag von allen – in einer gut organisierten Form das so hinkriegt. Der Kollege Benner von den Grünen hat noch einmal sehr genau dargestellt, wie das Verfahren in unserer Vorlage läuft; dabei will ich gar nicht sagen, dass das in der anderen nicht läuft, ich würde auch nie in irgendeiner Weise unterstellen, dass die anderen nur sagen: Das darfst du nicht selber entscheiden. – Das Wichtige ist ein geordnetes Verfahren, in dem derjenige, der sagt: „Ich trete dem Suizid näher“, die Möglichkeit hat, sich wirklich gut beraten zu lassen, eine gewisse Zeit zum Überlegen bekommt.
Eines will ich zum Schluss hier noch mal betonen: Die Rolle des Strafrechts wird weiterhin existieren, auch in unserem Gesetzentwurf.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es wird Nötigung geben, es wird Betrugsfragen und viele andere Dinge geben. Aber wenn schon der Kern mit einem Verdacht versehen wird, kann ich nur sagen: Selbst wenn nachher herauskommt, dass der Verdacht gegenüber dem Arzt – in unserem Gesetzentwurf ist es übrigens der Hausarzt, in Ihrem ist der Hausarzt, dem man Vertrauen entgegenbringt, raus an der Stelle – sich als falsch herausstellt, sorgt er doch schon dafür, dass alle, die mitwirken, unter einem Verdacht stehen, und das wollen wir nicht. Das Strafrecht ist hier nicht die richtige Lösung.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Letzter Redner: Benjamin Strasser für die Gruppe „Dr. Castellucci und andere“.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7556124 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 115 |
Tagesordnungspunkt | Suizidhilfe |