Benjamin StrasserFDP - Suizidhilfe
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Umstand, dass wir heute über Regeln diskutieren, nicht nur über das eigene Sterben, sondern über das Sterben von anderen, ist eine Zumutung für viele Kolleginnen und Kollegen hier im Raum, dessen bin ich mir bewusst. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren heute nicht mehr über das Ob des assistierten Suizids; diese Frage hat das Bundesverfassungsgericht mit Ja beantwortet. Wir diskutieren nach drei Jahren darüber, ob wir einen unregulierten Zustand wollen oder ob wir Regeln für den assistierten Suizid und Rechtssicherheit für Betroffene schaffen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Jessica Tatti [DIE LINKE])
Deswegen kann es nicht angehen, dass man heute, nach drei Jahren der Debatte, einfach Nein zu allen Vorschlägen sagt, ohne einen eigenen Vorschlag vorzulegen. Das wird der Lage, in der sich die betroffenen Menschen und ihre Angehörigen befinden, nicht gerecht. Wir müssen heute entscheiden.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Es wurde heute oft der Tenor des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zitiert. Ja, das Bundesverfassungsgericht hat ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben für alle Menschen definiert, aber es hat auch eine Schutzpflicht des Staates für diese Selbstbestimmung vorgeschrieben. Umso bemerkenswerter und verwunderlicher ist die Debatte der letzten Monate und die Selbstzuschreibung der beiden auf dem Tisch liegenden Vorschläge: die Liberalen auf der einen Seite gegen die Konservativen auf der anderen, die, die bevormunden, gegen die, die respektieren, die, die recht haben, gegen die, die unrecht haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Debatte ist mir so zu unterkomplex. Es geht heute nicht um die Frage, ob richtig oder falsch, sondern es geht um eine einzige, aber entscheidende Frage: Wie sichern wir die Selbstbestimmung von allen Menschen in allen Lebenslagen?
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Jessica Tatti [DIE LINKE])
Das Bundesverfassungsgericht sieht das Recht auf selbstbestimmtes Sterben eben nicht nur für schwerstkranke Menschen am Ende des Lebens vor, sondern auch für gesunde Menschen, aber auch für Menschen mit Behinderungen, Menschen, die armutsbetroffen sind, Menschen, die Suchterkrankungen haben, Menschen, die psychische Erkrankungen haben, kurzum Menschen, die in ihrem Alltag auf die Unterstützung und Hilfe von anderen angewiesen sind. Was ist eigentlich mit deren Selbstbestimmung? Wie sichern wir dort tatsächlich eine freie Entscheidung, dass man nicht das Gefühl hat, man ist überflüssig in einer Gesellschaft oder ein Kostenfaktor? Deswegen ist ein Schutz- und Beratungskonzept so entscheidend,
(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
ein Schutz- und Beratungskonzept, das eben nicht nur auf dem Papier im Bundesgesetzblatt steht, sondern das in der Realität mit Leben erfüllt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Der Kollege Benner hat in der Debatte zu Recht darauf hingewiesen: Es ist nicht ratsam, heute über Einzelfälle zu diskutieren. – Ja, aber wir müssen uns schon auch die gesellschaftliche Realität anschauen. Dass Drucksituationen bei Menschen entstehen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, ist keine irrationale Angst, sondern das ist schlicht und einfach ein Fakt.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Schauen wir auf die Länder, die den assistierten Suizid schon länger anbieten. In Kanada, berichtet die Nachrichtenagentur AP im August 2022, wurden Menschen mit Behinderung und Pflegebedürftige mehrfach in den assistierten Suizid getrieben, um die Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Einem Patienten mit einer fortschreitenden Gehirnerkrankung, der mit einem Arzt über seine Langzeitpflege sprechen wollte, hielt der Ethikdoktor einer Klinik vor, jeder Tag im Krankenhaus koste über 1 500 Dollar, Langzeitpflege sei nicht sein Job. Zitat: „Mein Job ist es zu sehen, ob Sie ein Interesse an Sterbehilfe haben“; so der Ethikdirektor des Krankenhauses.
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Unglaublich!)
Deswegen sieht das Bundesverfassungsgericht eine Gefahr für die Selbstbestimmung des Einzelnen und hat die Tür zum Strafrecht nicht zugemacht.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Deswegen setzen Länder wie die Schweiz, die schon länger den assistierten Suizid anbieten, auf das Strafrecht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Keiner würde sagen: Die Schweiz hat ein restriktives Sterbehilferecht. Deswegen habe ich mich als Liberaler dazu entschieden, den Gesetzentwurf der Gruppe um Lars Castellucci zu unterstützen, nicht weil es mir darum geht, Menschen zu bevormunden oder anderen meinen Willen – was ist gutes Leben oder gutes Sterben? – aufzuoktroyieren. Wer wären wir denn, das zu tun?
Die relevante Frage ist doch: Was passiert, wenn Schutz- und Beratungskonzepte nicht eingehalten werden? Ein Rechtsstaat, der schweigend und achselzuckend danebensteht, den kann und darf es nicht geben. Da muss es Konsequenzen geben.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Ich könnte jetzt noch etwas zum Kollegen Otto Fricke sagen, der wiederum interessanterweise auf das Strafrecht verweist. Wenn ich nicht will, dass das Damoklesschwert des Strafrechts immer über Menschen schwebt, die Hilfe leisten, Entschuldigung, dann muss ich die Regelungen im Strafrecht klar treffen, sodass jeder weiß, was erlaubt ist und was eben nicht erlaubt ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Heute ist nicht die Zeit, nicht die Stunde, Nein zu sagen bei dieser schwierigen Entscheidung. Ich bitte Sie: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu und finden Sie eine gute Regel, dass Selbstbestimmung für alle Menschen in allen Lebenslagen in der Praxis tatsächlich gilt.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7556125 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 115 |
Tagesordnungspunkt | Suizidhilfe |