06.07.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 115 / Zusatzpunkt 6

Konstantin KuhleFDP - Aktuelle Stunde: Unruhen in Frankreich - Parallelgesellschaften in Deutschland

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 27. Juni dieses Jahres kam ein 17-jähriger Franzose bei einer Polizeikontrolle ums Leben, und im Nachgang entwickelten sich schlimme Ausschreitungen, Vandalismus, nie dagewesene Attacken auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte. Ich glaube, es ist wichtig, sich klarzumachen und hier klarzustellen, dass auch dieser schlimme Tod eines Menschen, der jetzt von der französischen Justiz untersucht wird, dieses Maß an Eskalation nicht rechtfertigen kann. Das geht gar nicht! Das muss untersucht werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Solche Ausschreitungen in einem Land, das uns sehr nahesteht – Frankreich ist einer unserer engsten Verbündeten –, betrachten wir mit Sorge. Wir hoffen, dass die Situation in Frankreich und Belgien, das auch betroffen war, sich schnell wieder beruhigt.

Wir müssen, glaube ich – das ist in der bisherigen Debatte schon zum Ausdruck gekommen –, einmal klarstellen, dass die Situation in Deutschland und die Situation in Frankreich durchaus unterschiedlich sind. Das liegt an der unterschiedlichen Protestkultur, das liegt an der unterschiedlichen kolonialen Vergangenheit, das liegt an der Frage, welche landesweite Dimension solche Gewaltausbrüche haben, das liegt auch an der Zeit, die ins Land geht, bis die öffentliche Ordnung wiederhergestellt ist. Wenn solche Gewalteskalationen in Deutschland stattfinden, dann ist die öffentliche Ordnung bislang immer schneller wiederhergestellt worden.

Es ist aber durchaus richtig, mal gemeinsam zu überlegen, welche Faktoren eigentlich in Frankreich wie in Deutschland dazu beitragen können, dass es zu solchen Gewaltausbrüchen kommt. Dabei ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass typischerweise eine Kombination aus Faktoren vorliegt, die dazu führen, dass es zu Gewalteskalationen, zu sogenannten Krawallen kommt: Dazu gehören die Entstehung sozialer Brennpunkte und mangelhafte Stadtplanung. Dazu gehört die mangelnde soziale und ökonomische Durchmischung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Dazu gehören der Konsum von Alkohol und Drogen und gruppendynamische Prozesse, bei denen sich die Teilnehmer sogenannter Krawalle gegenseitig anstacheln. Dazu gehört aber auch die fehlende Integration bestimmter Gruppen von Zuwanderern und ihrer Nachkommen, wobei es gerade mit Blick auf die unterschiedliche Migrationsgeschichte einen Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich gibt. Einen Unterschied macht auch, was momentan angesichts immer mehr polizeilicher Maßnahmen in Deutschland passiert: Die Tatsache, dass es bei bestimmten Männern mittlerweile zum guten Ton gehört, der Polizei überall und an jeder Stelle mit Respektlosigkeit und Widerstand zu begegnen, ist ein großes Problem.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es kann nicht sein, dass in bestimmten Milieus jede polizeiliche Maßnahme mit der Gefahr einer absoluten Eskalation behaftet ist.

(Daniel Baldy [SPD]: Nazimilieus! – Gegenruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD])

Wenn man sich einmal mit den Beamtinnen und Beamten unterhält, dann weiß man, was da passiert. Wir müssen uns an dieser Stelle auch schützend vor unsere Beamtinnen und Beamten stellen; denn die sorgen jeden Tag für unsere Sicherheit. Ich will auch das mal sagen: Viele Beamtinnen und Beamte haben übrigens selber einen Migrationshintergrund und sind die besten Botschafter für Integration. Das muss an dieser Stelle auch gesagt sein.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Was kann man dagegen tun? Vieles ist schon gesagt worden. Wir brauchen dringend schnellere Verfahren. Wenn Straftaten begangen werden, dann muss die Justiz schnell zu einem Urteil kommen. Wer an solchen Krawallen, an solchen Gewaltausbrüchen mitwirkt, der muss schnell bestraft werden und auch merken, womit diese Strafe zusammenhängt. Wir müssen außerdem die Präsenz und die Ansprechbarkeit der Polizei in den Stadtteilen erhöhen. Lassen Sie mich an der Stelle auch das noch mal sagen: Ein Grund, warum bestimmte Formen von Gewaltausbrüchen in Deutschland nicht so krass vorkommen wie in anderen Ländern,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Bis jetzt!)

ist die gute Ausbildung der deutschen Polizei. Wir haben eine sehr gute Ausbildung der deutschen Polizei, in der auch auf Selbstreflexion, auch auf Vorbildwirkung gesetzt wird. Das ist ein Vorteil unserer Sicherheitsarchitektur. Den sollten wir viel mehr in den Vordergrund stellen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Grund ist die Verbindung aus Stadtplanung und Sicherheit. Es gab mal eine Zeit, da war das Thema Bauen im Innenministerium angesiedelt. Ich habe mich immer gefragt, was eigentlich der Mehrwert dieser Umgruppierung des Themas Bauen ins Innenministerium war. Wenn das Ganze einen Vorteil gehabt hätte, dann doch den, Stadtplanung und innere Sicherheit mal zusammenzudenken und ein Programm aufzulegen, um in bestimmten Stadtteilen die Beleuchtung und die Begrünung zu verstärken, den Zugang zum Stadtzentrum zu erleichtern und die soziale Durchmischung und die Polizeipräsenz zu erhöhen und dadurch dazu beizutragen, dass Sicherheit dort mehr Einzug erhält. Das war eine Chance, die leider nicht genutzt worden ist.

Lassen Sie mich abschließend sagen, dass es natürlich auch in diesem Haus Kräfte gibt, die ein vitales Interesse daran haben, dass es solche Zustände, wie wir sie gerade in Frankreich beobachten können, auch in Deutschland gibt, und das sind die Rechtsextremisten,

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

weil Rechtsextremisten davon leben, weil es zu den Kernnarrativen von Rechtsextremisten gehört, dass es angeblich bürgerkriegsähnliche Zustände gibt. Diese bürgerkriegsähnlichen Zustände führen zu einem Tag X, und am Tag X können dann die Rechtsextremisten die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen.

(Zuruf von der AfD: Sorgen Sie dafür, dass es keinen Tag X gibt!)

Das ist die klassische Erzählung der Rechtsextremisten, ist die klassische Erzählung der AfD.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Albträume haben Sie nachts! Das gibt es doch nicht!)

Deswegen bringt es auch nichts, wenn man sich in der Mitte der Gesellschaft aus einem Gefühl der Überforderung und Verunsicherung heraus solche Zustände herbeiredet, wie wir sie gerade in Frankreich erleben.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Die Leute haben Angst! Zu Recht!)

Das sollten wir nicht tun.

Herr Kollege.

Wir sollten mit einem offenen Herzen, aber auch mit harter Hand, wo nötig, die notwendigen Maßnahmen ergreifen und daran arbeiten, dass es nicht zu Gewalteskalation und Gewaltausbrüchen in Deutschland kommt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Martin Hess für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Matthias Helferich [fraktionslos])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7556165
Wahlperiode 20
Sitzung 115
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Unruhen in Frankreich - Parallelgesellschaften in Deutschland
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