Ralf StegnerSPD - NATO-Gipfel in Vilnius
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut und richtig, dass wir über den bevorstehenden NATO-Gipfel in Vilnius sprechen. Das jährliche Treffen der Nordatlantischen Allianz hat dieses Jahr tatsächlich einen besonderen Charakter: einmal, weil der Tagungsort direkt in der Nachbarschaft Russlands liegt, das vor mehr als einem Jahr mit dem verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, und auch, weil unter dem Eindruck des Krieges Finnland der Allianz beigetreten ist – Schweden will das auch – und damit die Sicherheit rund um die Ostsee und für unsere baltischen bzw. anderen Nachbarn gestärkt wird. Es wäre ein gutes Signal, wenn die Türkei und Ungarn ihre Blockadehaltung endlich aufgäben und auch unsere schwedischen Freunde Teil der NATO würden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Die Kolleginnen und Kollegen der Union fordern in ihrem Antrag einen historischen Wendepunkt in Vilnius und beziehen sich auf das Wort des Bundeskanzlers von der Zeitenwende. Ja, dieser Gipfel muss in Zeiten des Krieges mitten in Europa Einigkeit und Solidarität unter den Partnerländern dieses Bündnisses signalisieren. Wir alle erinnern uns noch an Urteile zur NATO von Emmanuel Macron bis Donald Trump, die anders klangen.
Die NATO ist eine Wertegemeinschaft, die Freiheit, Menschenrechte und die internationale regalbasierte Ordnung verteidigt, eine Gemeinschaft der wehrhaften Demokratien. Diese Allianz, die im kommenden Jahr 75 Jahre alt wird, ist für die Sicherheit Deutschlands und Europas weiterhin unverzichtbar. Durchaus verzichtbar, meine Damen und Herren und Herr Kollege Wadephul, sind allerdings Anträge zu dem Thema, denen jegliche inhaltliche Substanz fehlt. Außer der Beschimpfung der Regierung fällt Ihnen nichts ein. Das ist für die größte Oppositionsfraktion in diesem Hause ein bisschen wenig bei so einem Thema.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Sie beklagen ständig das verlorengegangene Vertrauen in Deutschland, und dann wiederholen Sie gebetsmühlenartig das Märchen von der angeblichen mangelnden deutschen Unterstützung für die Ukraine. Das ist faktenfrei, und das wissen Sie auch selbst. Ganz im Gegenteil: Die ökonomische, die humanitäre, die politische und militärische Unterstützung der Ukraine bei ihrer Selbstverteidigung ist umfangreich, ist wirksam, und sie erfolgt im engen Schulterschluss mit unseren alliierten Partnern.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wenn ich allerdings Ihre Debattenbeiträge zum Haushalt des Verteidigungsministeriums höre und die entsprechenden Passagen in Ihrem Antrag lese, komme ich mir vor, als sei ich auf einem Satire-Account gelandet. Sie haben fast 16 Jahre das Verteidigungsressort geführt, und es ist Boris Pistorius, der ganz in der Tradition von Helmut Schmidt und Peter Struck das BMVg wieder auf Vordermann bringt: mit Sondervermögen, kluger Führung und professionellem Management, meine sehr verehrte Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU)
Ihre Ratschläge in memoriam zu Guttenberg und Franz Josef Jung brauchen wir nun wirklich nicht, ganz ehrlich nicht.
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Frei von Sachkenntnis, Herr Kollege!)
Da könnte ein bisschen mehr ausgesagt werden.
Mit Blick auf die aktuellen Ereignisse in Russland um Prigoschin und Co hat mich nachhaltig erschreckt, dass manche aus den Unionsreihen in den Diskussionsrunden und in den sozialen Medien die besonnene Haltung und Handlungsweise von Olaf Scholz und Joe Biden als Eskalationsphobie bezeichnen. Was für ein Unsinn! Wenn es um Krieg und Frieden geht, sind Besonnenheit und Vorsicht reine Vernunft.
(Beifall der Abg. Gabriela Heinrich [SPD])
Erst denken, dann reden, dann handeln – das ist das Gebot der Stunde, auch wenn das den neuen Militärexperten auf Twitter nicht gefällt. Wenn Sie die umgekehrte Reihenfolge wählen, Herr Kollege Wadephul, zeigt das nur, dass es gut ist, dass Sie keine Verantwortung für dieses Land haben. Das muss man ganz klar sagen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Nee, nee, nee! Sie haben ja selbst in der eigenen Fraktion keine Mehrheit für Ihre Position!)
Wir sollten auch vermeiden, über jedes Stöckchen der Putin-Propaganda zu springen. Ich wundere mich, wie mancher Kreml-Astrologe bei Ihnen sicher ist, was da nun alles passiert. Ich wäre da vorsichtig. Wir sollten im Übrigen das, was wir da hineininterpretieren, nicht zum Anhaltspunkt für ernsthafte Politik nehmen.
Zurück zum NATO-Gipfel in Vilnius.
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Ja, das wäre gut, wenn Sie zum Thema reden würden!)
Eine demokratische Gemeinschaft ist eben auch ein Bündnis mit unterschiedlichen Positionen, ein Bündnis der offenen Diskussionen. Und natürlich ist die Ukraine ein Land, das das Recht hat, zu sagen: Wir wollen auch in die NATO. Ich will aber auch sagen – und ich kann verstehen, dass man das auch schnell werden will; das ist nachvollziehbar –: Wenn wir an die Länder des Westbalkans und den schier unendlichen Beitrittsprozess denken, dann sehen wir, wohin falsche Versprechungen führen. Im Übrigen ist es der Bundeskanzler, der da Wind hineinbringt, damit endlich was passiert. Und es ist gut, dass das geschieht. Es gibt aber keine Schnellstraße in die EU- oder in die NATO-Mitgliedschaft unter Umgehung der Regeln und Voraussetzungen. Das können wir nicht machen.
Innenpolitische Stabilität, die Zustimmung der Mitgliedstaaten, die Überwindung aller territorialen Konflikte – nichts davon ist erfüllt. Markige Ankündigungen oder Alleingänge sind weder angebracht noch nützlich, sondern gefährlich und unredlich gegenüber der Ukraine, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Ist das die Position der Bundesregierung?)
Man muss sich ja schon fragen, was passieren würde, wenn das jetzige Territorium der Ukraine angegriffen und Artikel 5 des Nordatlantikvertrages aktiviert würde.
Der Wettbewerb um die radikalsten Forderungen trägt eher dazu bei, die Eskalationsgefahren zu verstärken, als dass er ein Beitrag für einen dauerhaften Frieden leisten könnte, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Ist das ausnahmsweise mal die Position der Bundesregierung, was Sie hier sagen? Oder wessen Position ist das?)
Es ist ein sehr altes Motto von Äsop – Herr Wadephul, Sie kennen das ja; Sie sind ja ein gebildeter Mann –, das schon aus dem 6. Jahrhundert vor Christus stammt, der sagte: Was auch immer du tust, tue es klug und bedenke das Ende. – Das sollte mancher bedenken, der hier Vorschläge macht, die unklug sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir die Frage betrachten, wo wir am Ende finanziell landen: Wir haben das Sondervermögen beschlossen. Wir werden faktisch das tun, was der Bundeskanzler angekündigt hat; im Durchschnitt der Jahre wird das so sein. Ich habe in Ihrem Antrag keine konkreten Vorschläge gelesen, wie das gehen könnte. Ich kann nur sagen: Wenn man Ihren Antrag betrachtet, muss man sagen: Der ist überflüssig, der ist inhaltsleer, und der nützt nichts. Er schadet jetzt auch nicht – er wird ja keine Mehrheit finden, meine sehr verehrten Damen und Herren –; aber wir sind besser beraten, unter der klugen Führung der Ampelkoalition und gemeinsam mit den Verbündeten das zu tun, was für die NATO gut ist.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Beyer [CDU/CSU]: Welcher Führung? – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ihr seid doch nicht mal in der Lage, Gesetze zu beschließen!)
Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: „Heute-show“!)
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stegner. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße ganz herzlich die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Frau Dr. Högl. Seien Sie uns willkommen!
(Beifall)
Nächster Redner ist der Kollege Joachim Wundrak, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7556191 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 115 |
Tagesordnungspunkt | NATO-Gipfel in Vilnius |