Sonja EichwedeSPD - Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgestz
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ein gut funktionierender und sozialer Rechtsstaat ist das Fundament unserer Demokratie. Die Menschen müssen ihm vertrauen können, sie müssen sich ihm anvertrauen wollen. Die Justiz muss auch vor den neuen Herausforderungen unserer Zeit handlungsfähig bleiben. In diesem Sinne gehen wir heute als Ampelkoalition mit der Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie einen wichtigen Schritt für unseren Rechtsstaat.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Für mich und meine Fraktion gilt stets: Wer recht hat, soll auch recht bekommen. Um dies in Massenverfahren besser gewährleisten zu können, sollen Verbraucher/-innen bei ihrer Rechtsdurchsetzung auf Augenhöhe mit den Unternehmen stehen; denn ein sozialer Rechtsstaat muss dafür sorgen, dass auch die strukturell schwächere Partei ihr Recht bekommen kann.
(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Wie im Parlament eigentlich, oder?)
Ebenso muss er dafür sorgen, dass Unrechtsgewinne nicht beim schädigenden Unternehmen verbleiben; denn Rechtsbruch darf sich in unserem Land eben nicht lohnen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber der gesamten Bevölkerung, sondern auch der Gerechtigkeit gegenüber den redlichen Unternehmen, die sich rechtmäßig verhalten, sich am fairen Wettbewerb beteiligen und so unser Land auch durch ihre Leistung mit am Laufen halten.
Zu welchen Ausmaßen kalkulierter Rechtsbruch führen kann, hat der Dieselskandal eindrücklich gezeigt; der Kollege Thorsten Lieb ist darauf eingegangen. Als Richterin habe ich viele Dieselfälle entschieden, wie viele andere Kolleginnen und Kollegen an den Landgerichten auch. Die Landgerichte waren überschwemmt von diesen Verfahren. Hochqualifizierte Richterinnen und Richter haben mit vollen Dezernaten, die dazu ausgebildet sind, Lösungen für komplizierte Sachverhalte zu finden, sieben- bis neunmal am Tag im 20- bis 30-Minuten-Takt quasi den gleichen Fall verhandelt. Wir saßen wieder und wieder mit Terminsvertretern im Gerichtssaal und beugten uns über Fotos des tagesaktuellen Kilometerstandes, um die Höhe eines möglichen Schadensersatzes abzüglich einer Nutzungsentschädigung auszurechnen.
Das führte zu ganz viel Frust in den Landgerichten. Die Landgerichte wurden zu Durchlauferhitzern, damit die Parteien kurz vor einer Entscheidung der nächsten Instanz doch noch einen Vergleich schließen konnten. Diese Unzufriedenheit in der Justiz, aber eben auch bei den Klägerinnen und Klägern, die nur die Möglichkeit hatten, sich einer langwierigen Individualklage zu stellen und so zu ihrem Recht zu kommen, werden wir heute beenden, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Der Dieselskandal ist sicherlich der bekannteste Fall, aber weitaus nicht der einzige; denn in einer Welt, in der wir standardisierte und digitale Massengeschäfte haben, die immer weiter zunehmen, nehmen eben auch Massenschäden zu. Diesen müssen wir uns stellen. Dazu müssen wir die Justiz in die Lage versetzen, sie zu bewältigen. Es ist wichtig, dass unsere Aufgabe als Politik auch eine Gestaltung der Justiz und des Handlungsspielraums der Gerichte ist.
Vor diesem Hintergrund haben wir den schon guten Regierungsentwurf in konstruktiven parlamentarischen Beratungen noch sehr viel besser gemacht. Dafür möchte ich insbesondere den Berichterstatterinnen und Berichterstattern Judith Skudelny, Till Steffen und Luiza Licina-Bode danken. Das ist, denke ich, große Arbeit und sehr gut.
Auf einige Punkte möchte ich hier eingehen. Wir haben mit diesem Gesetz eine wirkliche Entlastung der Justiz erreicht. Ich denke, ich kann aus der Praxis beurteilen, sehr geehrter Herr Plum, dass das, was Sie hier gesagt haben, eben gerade nicht zutrifft.
(Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Ich kann das auch aus der Praxis beurteilen! Ich kann es auch aus der Sicht der Rechtsanwaltschaft und der Kläger beurteilen! – Gegenruf des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU]: Ihr wart doch mal Kollegen!)
Denn wir haben die Anreize, Individualklagen selber einzureichen, gesenkt, und wir gestalten das Verfahren hinsichtlich der Gleichartigkeit der Ansprüche auch flexibler, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.
Den Zeitpunkt, bis zu dem Verbraucher/-innen sich einer Verbandsklage anschließen können – das sogenannte Opt-in –, legen wir auf drei Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung fest. Damit können Verbraucher sich umfangreicher informieren, sie haben mehr Zeit, das Verfahren zu beobachten,
(Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Das Verfahren dauert länger!)
und sie können aus dem Verfahren gegebenenfalls auch etwas erfahren, was sie vorher noch nicht wussten.
Wir schaffen auch die Möglichkeit, ähnliche Konstellationen in einem Verfahren zu bündeln; denn trotz Massenschäden können sich Ansprüche in Nuancen unterscheiden. Unterschiedliche Vertriebswege für dieselben Verträge und Leistungen sind keine Seltenheit in unserer Gesellschaft. Deshalb ist es wichtig für die Entlastung der Justiz, dass die Ansprüche nur im Wesentlichen gleich sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zudem haben wir einen Abbau der Bürokratie bei den Verbänden, indem nur dargelegt werden muss, dass 50 Personen betroffen sein könnten.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz beginnt eine neue Ära der Rechtsdurchsetzung: mehr Gerechtigkeit für Verbraucher/-innen, mehr Schutz für Wettbewerber und eine spürbare Entlastung der Justiz, kurz: mehr sozialer Rechtsstaat.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Tobias Matthias Peterka für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 116 |
Tagesordnungspunkt | Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgestz |