Thorsten RudolphSPD - Allgemeine Finanzdebatte
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor ziemlich genau einem Jahr hat Putin uns den Gashahn abgedreht und wollte uns in die Knie zwingen. Und die Befürchtungen damals waren riesengroß: Wir hatten Sorge, dass es eine tiefe, tiefe Rezession geben wird, eine Insolvenzwelle, massiv steigende Arbeitslosigkeit. Wir haben über einen heißen Herbst gesprochen und über einen Wutwinter. Einige Städte haben sogar Wärmeinseln eingerichtet, damit die Bürger/-innen im Zweifel nicht frieren müssen. Gemessen an diesen Befürchtungen – das muss man nüchtern sagen – sind wir bisher einigermaßen glimpflich durch diese Krise gekommen.
Wir haben keine tiefe Rezession, wir haben ein Nullwachstum. Das ist – Dennis Rohde hat es gesagt – ein Erfolg.
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Euphemismus!)
Wir liegen damit international natürlich hinter anderen großen Industrieländern, aber das ist völlig logisch: Asien und Amerika hatten keinen Energiepreisschock. Wir waren abhängig von russischem Gas, wir in Europa und ganz besonders wir in Deutschland.
(Zuruf von der AfD: Wie konnte das denn passieren? Fragen Sie mal Frau Schwesig!)
Wir hatten einen externen Schock. Schon deshalb kann es eigentlich niemanden wundern, dass wir aktuell ein schwächeres Wachstum haben. Ich sage bewusst: aktuell.
Was mich etwas gewundert hat, war, wie schnell in der öffentlichen Diskussion das kurzfristige Auf und Ab der Konjunktur, also eine Momentaufnahme, mit den längerfristigen Wachstumsaussichten Deutschlands in einen Topf geworfen wurde. Und was mich noch mehr gewundert hat, war, mit welcher Angstlust interessierte Kreise, darunter die Union, den Teufel an die Wand malen und unser Land schlechtreden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Christoph Meyer [FDP])
Die Union hat hier Maß und Mitte verloren und spricht sogar davon, dass unser Land „der kranke Mann der Welt“ sei. Wow! Der Ökonom Jan Schnellenbach hat einen klugen Ratschlag gegen solchen Alarmismus, den ich der Union gerne ans Herz legen möchte:
„Entweder sind wir gefühlter Weltmeister oder gefühlter Absteiger. Bisschen weniger Extreme, bisschen mehr Nüchternheit und Realitätssinn, dann klappt’s auch mit der Wirtschaftspolitik.“
Vielleicht jedenfalls.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Meine Damen und Herren, ich habe viele der Artikel dazu gelesen, im „The Economist“, im „Spiegel“ usw. Sie auch. In all diesen Artikeln werden im Grunde die gleichen sieben Themen genannt, die wir angehen müssen, wenn wir unsere längerfristigen Wachstumsaussichten, wenn wir unser Potenzialwachstum – technisch gesprochen – wieder steigern wollen. Es gibt einen hohen Investitionsbedarf in vier Bereichen: für die klimaneutrale Transformation unserer Wirtschaft, für den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien, für die Sanierung unserer maroden Infrastruktur und für den Wohnungsbau. Dazu kommen die drei Themen Bürokratieabbau, Digitalisierung und Fachkräftesicherung.
(Jörn König [AfD]: Die sind alle verschwunden!)
Das ist alles nicht neu und hat vor allem nichts mit Putin, dem Energiepreisschock oder der aktuellen konjunkturellen Lage zu tun. Das hat mit etwas anderem zu tun, meine Damen und Herren. Der Ökonom Moritz Schularick hat es im „Spiegel“ gesagt: „In den letzten 10, 15 Jahren ist enorm viel liegen geblieben.“ Das ist das Problem, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer hat denn da eigentlich regiert?)
Die gute Nachricht ist: Die Koalition lässt diese Themen nicht weiter liegen, sondern geht sie entschlossen an:
Stichwort „Investitionsbedarf“. Der neue Bundeshaushalt inklusive KTF sieht über 110 Milliarden Euro an Investitionen vor: in die Transformation unserer Wirtschaft, in den schnellen Ausbau der Erneuerbaren, in die Sanierung unserer Infrastruktur und in den Wohnungsbau. 110 Milliarden Euro, das ist dreimal so viel, wie die Regierung Merkel in ihrem besten Jahr investiert hat. Kurz und gut: Wir investieren massiv in die Wettbewerbsfähigkeit und den Wohlstand unseres Landes.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Sebastian Brehm [CDU/CSU])
Zugleich, meine Damen und Herren, entlasten wir die Wirtschaft mit dem Wachstumschancengesetz um 7 Milliarden Euro im Jahr, und wir entlasten die Wirtschaft mit dem Bürokratieentlastungsgesetz von Bürokratie im Umfang von 2 Milliarden Euro im Jahr. Und da hat der Bundesfinanzminister schon ganz recht: Das ist nicht nichts. Ganz im Gegenteil! Wir entlasten – und sichern auch damit den Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und schließlich sorgen wir dafür, dass unser Land zusammenhält; denn Deutschland war immer dann stark, wenn auch der soziale Zusammenhalt stark war, meine Damen und Herren. Deshalb haben wir etwa den Mindestlohn erhöht, das Kindergeld erhöht, die Hinzuverdienstgrenzen für die Rentner/-innen verbessert. Das alles sichert unmittelbar die Kaufkraft. Und wir führen jetzt die Kindergrundsicherung ein, damit wir endlich nicht mehr so viele Kinder auf ihrem Bildungsweg verlieren.
(Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Denn Armut und Bildungschancen und Erfolg auf dem Arbeitsmarkt hängen eben eng zusammen. Kurz und gut: Wir halten unser Land zusammen und sichern auch damit die Wettbewerbsfähigkeit und den Wohlstand unseres Landes, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Schauen wir uns dagegen die Vorschläge der Union an: Sie will eigentlich vor allem Steuern senken:
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Ja!)
Sie will die Stromsteuer senken, die Unternehmensteuern senken, die Einkommensteuer für fast alle senken, die Grunderwerbsteuer senken. Die Steuern für Überstunden will sie ganz abschaffen und die Sozialausgaben deckeln.
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Ja!)
Ich sage mal so: Das wird teuer.
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Aber erfolgreich!)
Die Union sagt nur nicht, wo das Geld herkommen soll. Sie will auch auf jeden Fall die Schuldenbremse einhalten.
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Und was wollen Sie? Das wird noch viel teurer! Industriestrompreis!)
Davon wird sie keinen Millimeter abweichen, sagt Herr Linnemann. Kürzungen im Bundeshaushalt will sie aber auch nicht; jedenfalls hat sie sich in den letzten Wochen gegen praktisch alle öffentlich diskutierten Kürzungsvorschläge im Regierungsentwurf positioniert. Kurz und gut: Die Union will den Kuchen verschenken, sie will ihn selber essen, und sie will ihn für später aufheben. Alles gleichzeitig!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Toller Vergleich!)
Meine Damen und Herren, wenn bei der Union wieder Jahrmarkt im Himmel ist und immer noch „Wünsch dir was“ gespielt wird, kann ich nur sagen: Das ist keine seriöse Politik. Nein, so geht es nicht!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen uns als Politik schon die Mühe machen, ganz konkret und sehr ernsthaft die genannten sieben Themen anzugehen.
Unser Weg als Ampelkoalition ist klar. Wir investieren, wir entlasten, und wir halten unser Land zusammen. Und unser Ziel ist klar: mehr Wohlstand für alle und eine bessere Zukunft für unsere Kinder.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Karsten Hilse für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7556767 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 117 |
Tagesordnungspunkt | Allgemeine Finanzdebatte |