Thorsten FreiCDU/CSU - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat es mal wieder auf die Titelseite des „Economist“ geschafft,
(Zurufe von der SPD: Oh!)
der in diesen Tagen gefragt hat, ob Deutschland abermals der kranke Mann Europas ist. Interessant ist das vor allen Dingen deshalb, weil der „Economist“ auch eine Analyse der großen ökonomischen Herausforderungen unseres Landes macht. Ich will mal drei Punkte herausgreifen, die aus meiner Sicht hier zentral sind.
Erstens. Wir müssen feststellen, dass Deutschland in der Rezession steckt. Das ist ein toxischer Cocktail von unterschiedlichen Faktoren, die am Ende den industriellen Kern unseres Landes schmelzen lassen. Das müssen wir erkennen, wenn wir uns die nackten Fakten anschauen und sehen, wie Kapital flieht, wie Arbeitslosigkeit steigt und wie industrielle Produktion in unserem Land zurückgeht.
Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber es hat mich schon irritiert, dass heute Morgen, während der Regierungserklärung des Bundeskanzlers, beispielsweise das Institut für Weltwirtschaft in Kiel die Wachstumsprognose für das laufende Jahr von minus 0,3 auf minus 0,5 reduziert hat. Das dokumentiert einfach, dass wir gewaltige Herausforderungen haben, die wir bewältigen müssen. Die Lösungen sind aber nicht in der weltweiten Wirtschaft zu suchen, die stabil wächst, sondern die sind insbesondere in den Verhältnissen hier bei uns in Deutschland zu suchen, und dafür brauchen wir Lösungsansätze.
Ich will noch einen zweiten Punkt ansprechen, bevor ich zu den Lösungsansätzen komme, und das ist die Migration. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass wir in einer weiteren Migrationskrise stecken. Im vergangenen Jahr hat Deutschland mehr schutzsuchende Menschen aufgenommen als in den Krisenjahren 2015 und 2016 zusammen. Und auf der anderen Seite ist es so, dass bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres die Migrationszahlen, die Asylbewerberzahlen, um 78 Prozent gestiegen sind und wir in diesem Jahr mutmaßlich etwa 350 000 Asylanträge haben werden. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass das eine gewaltige Herausforderung ist, die insbesondere Gesellschaft, Städte und Gemeinden zu schultern haben. Es ist eine gewaltige Herausforderung, weil Sie nichts unternehmen, um Migration zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen, sondern im Gegenteil alles tun, damit der umgekehrte Effekt eintritt.
Was ich ganz besonders perfide finde, wenn ich in den Haushaltsplan schaue, ist die Tatsache, dass Sie im Grunde genommen nichts tun, um diejenigen zu unterstützen, die die Konsequenzen und Folgen Ihrer Politik auszubaden haben. Ich fand es schon bemerkenswert, dass Sie im Bundeshaushalt die Mittel für die Migrationsberatung um nahezu ein Drittel kürzen wollen für das kommende Jahr.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!)
Das dokumentiert einfach, dass hier Wünschen und Machen nicht zueinander passen, und da sollten Sie im Laufe der Haushaltsberatungen schauen, dass Sie da etwas mehr Konsistenz in Ihre Überlegungen bringen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Inflation. Darauf sind Vorredner bereits eingegangen. Es ist nicht nur eine nackte Zahl, wenn unsere Währung in den letzten drei Jahren 16,5 Prozent weniger wert geworden ist. Alexander Dobrindt hat insbesondere darauf hingewiesen, dass im Bereich der Lebensmittel die Inflation doppelt so hoch ist und deshalb insbesondere Familien mit kleineren und mittleren Einkommen ganz besonders gekniffen sind.
(Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP])
Erfolgreiche Politik muss sich danach ausrichten, diese Inflation zu bekämpfen; denn sie ist genau das, was Norbert Blüm einmal so formuliert hat: Sie ist der Taschendieb des kleinen Mannes. – Und deshalb müssen wir alles dafür tun, dagegen zu kämpfen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es ist nicht nur so, dass keine Besserung in Sicht ist – im Gegenteil: Der Bundesgesundheitsminister kündigt bereits an, dass die Krankenkassenbeiträge steigen sollen. Das führt dazu, dass die Sozialabgabenquote erstmals wieder über 40 Prozent steigt und damit den traurigen Rekord von vor 20 Jahren einstellt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind genau die Punkte, um die wir uns kümmern müssen. Das ist das, was die Menschen in unserem Land beschäftigt. Rezession, Inflation, Migration – das sind die Themen, und es sind nicht die Themen, die Sie zum Mittelpunkt Ihrer Politik machen.
Der Bundeskanzler hat vorhin in seiner Rede darauf hingewiesen, dass wir uns um die richtigen Themen kümmern müssen. Aber genau das passiert doch überhaupt nicht. Wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, warum die Weltwirtschaft wächst und Deutschland das einzige Industrieland ist, das schrumpft, dann müssen wir uns doch mit den Ursachen auseinandersetzen. Dazu gehören die weltweit höchsten Energie- und Strompreise. Lieber Herr Dürr, Sie haben das hier in den Raum gestellt, indem Sie gesagt haben: Lasst uns doch die Stromsteuer auf das europarechtliche Minimum senken. – Das wäre ein Vierzigstel dessen, was derzeit an Stromsteuer verlangt wird. Wir reichen Ihnen da gerne die Hand. Lassen Sie uns das machen! Das wäre eine Möglichkeit, sehr schnell zu reagieren. Das Gleiche gilt für eine Reduktion der Netzentgelte.
(Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das ist aber die Bundesnetzagentur! Das erkläre ich Ihnen später mal!)
Das wäre etwas, was man sofort zum 1. Oktober umsetzen könnte.
Ich will Ihnen noch einen zweiten Vorschlag machen; auch darauf sind Sie im Grunde genommen schon eingegangen. Natürlich ist es ein Irrsinn, dass man mit verschiedenen Instrumenten die Strompreise heruntersubventionieren will, die man zuvor durch politische Entscheidungen in die Höhe getrieben hat.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das stimmt!)
Sie reden von der Verbreiterung des Angebots in diesem Bereich, aber Sie tun nichts dafür, gar nichts – weder beim Bau der Gaskraftwerke noch bei den Speicherkapazitäten. Und erst recht fassen Sie das heiße Eisen „Kernenergie“ nicht an. Es war ein gravierender Fehler, die drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke Mitte April abzustellen. Das hat mindestens – so hat es die Wirtschaftsweise Frau Grimm ausgerechnet – zu einer Steigerung der Preise um 12,1 Prozent geführt. Das sind doch die Tatsachen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, und dafür haben Sie keine Angebote.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich habe mich schon sehr gewundert, dass ausgerechnet Frau Dröge beim Thema „Bürokratieabbau und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren“ so kesse Aussagen gemacht hat.
(Zuruf des Abg. Maik Außendorf [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Stichwort „Bürokratieabbau“. Was ich total interessant fand: Sie haben jetzt Eckpunkte für die Kindergrundsicherung verabschiedet –
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch 16 Jahre regiert!)
was immer auch darin steckt, wir wissen es nicht; denn es kann ja nicht das Gleiche sein, je nachdem, ob man 12 Milliarden Euro oder ob man 2,4 Milliarden Euro dafür ausgibt –; vieles wissen Sie noch nicht.
(Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie es sind!)
Aber eines wissen Sie: dass man 500 Millionen Euro Verwaltungsaufwand dafür hat; 500 Millionen Euro zusätzliche Personalkosten sind es tatsächlich. Sie müssen 2 000 zusätzliche Stellen schaffen, um diese Kindergrundsicherung umzusetzen. Sie haben davon gesprochen, dass Sie digitalisieren und vereinfachen wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Statt der Jobcenter sind zukünftig Jobcenter und Familienservicestellen zuständig, und keiner weiß, wie man dieses Kuddelmuddel am Ende organisieren will. Das ist Bürokratie. Sie reduzieren Bürokratie nicht, sondern Sie schaffen zusätzliche Bürokratie.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Stichwort „Planungs- und Genehmigungsverfahren“. Ja, es ist richtig: Wir haben positive Beispiele. Wenn wir uns anschauen, in welch kurzer Zeit LNG-Terminals in Deutschland geplant, genehmigt und gebaut werden konnten, dann macht das Mut für die Zukunft. Aber Sie haben doch in der Koalition darüber gestritten, was das denn jetzt eigentlich im Bereich der Energieinfrastruktur, aber eben auch im Bereich der Verkehrsinfrastruktur bedeutet. Wir sind in Deutschland überall zu langsam, überall zu träge. Wir müssen besser und schneller werden, Herr Dürr.
(Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deswegen geht es darum, dass wir Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Wenn Sie da gute Vorschläge haben – wir haben auch welche –, dann können wir das auch zusammen machen. Wir können Deutschland schneller machen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Aber am Ende des Tages bleibt es dabei, dass wir uns um die richtigen Themen kümmern müssen. Das bedeutet eben auch, dass wir aus der Gesellschaft heraus wachsen müssen. Sie schaffen es eben nicht, anders als in Ihren Reden vorgetragen, zu trennen zwischen einer Fachkräftezuwanderung, die wir zur Stärkung unseres Landes brauchen, und der Bekämpfung der illegalen Migration auf der anderen Seite. Das, was Sie in den vergangenen Monaten gemacht haben, war exakt das Gegenteil.
(Christian Dürr [FDP]: Machen Sie doch mal ein konkretes Beispiel, Herr Frei!)
Die Folgen dieser Politik können Sie in Deutschland beobachten. Und alles, was Sie für die Zukunft planen, verspricht keine Besserung; ganz im Gegenteil. Wenn sich europäische Länder auf Fortschritte in diesem Bereich verständigen können, ist es die Bundesregierung, die im Bremserhäuschen sitzt und europäische Verständigung an dieser Stelle verhindert. Genau so ist es.
(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])
Das sind die Themen, die wir angehen müssen, um unser Land wieder stark zu machen und dafür zu sorgen, dass wir in einem guten Haushalt auch die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für gutes Leben in Deutschland setzen können. Das, was Sie dazu vorgelegt haben, ist kein Schritt in die richtige Richtung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Für die SPD-Fraktion hat nun Achim Post das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7556841 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 118 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzler und Bundeskanzleramt |