Otto FrickeFDP - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
Geschätzte Frau Präsidentin! Nachdem ich ja beim letzten Mal Ärger bekommen habe, bringe ich das Zitat von Shakespeare am Anfang: „Hamlet“, Vierter Aufzug, Fünfte Szene. Ophelia: „... wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir sein können.“
Wenn man die Haushaltsdebatte bis heute verfolgt, zeigt sich: Das Zitat steht für das, was, glaube ich, diesem Land ein wenig innewohnt. Man will mit dem Hier und Jetzt fest verankert bleiben. Manche wollen in die 80er, manche in die 50er, manche noch weiter zurück.
Aber über die Frage, was wir alles sein können, was wir alles schaffen können, wenn wir uns denn, jedenfalls dem Grunde nach, auf einen Kurs einigen können, reden wir gar nicht. Wir sagen, was schlecht ist. Wir gucken immer nur in den Haushalt und sagen: Da ist dies passiert, und da ist jenes passiert.
Ich gebe gerne mal ein Beispiel von der CDU/CSU. Helge Braun hat im Sommer 2021 – siehe der berühmte „Handelsblatt“-Artikel, als die CDU gezeigt hat, wie sie es denn wirklich mit der Schuldenbremse meint – gesagt – ich zitiere –: „Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten.“ Da wusste er noch nichts von dem Angriff auf die Ukraine.
(Christian Dürr [FDP]: Stimmt!)
Und was schafft jetzt diese Koalition, dieses Kabinett? Es legt einen Haushalt vor, in dem die Schuldenbremse eingehalten wird, weil wir eben mehr können, als manche Konservative glauben.
(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])
Das ist der Unterschied zwischen konservativer Politik und einer modernen Politik, wie wir sie betreiben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wer das anders sieht – wenn ich schon wieder das Aufjaulen von der rechten Seite höre! –,
(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])
der muss an der Stelle mal konkrete Vorschläge machen, wie er es denn haben will. Will er den Sozialstaat über Bord werfen? Will er die Nachhaltigkeit über Bord werfen? Will er unser Wirtschaftssystem über Bord werfen? Die Lösungen – das ist das Schöne an Haushaltspolitik – lassen sich immer konkret nachrechnen und nachschauen.
(Christian Dürr [FDP]: Richtig! – Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])
Darauf müssen wir meiner Meinung nach achten. Warum sind denn Schulden so schlimm? Viele sagen uns immer: Japan hat 240 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Schulden,
(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])
und andere haben auch mehr.
Jetzt lassen wir das mal beiseite und stellen uns vor, unsere Vorgängerinnen und Vorgänger hätten die Hälfte der Schulden gemacht, die wir jetzt haben – weil sie nachhaltiger gewesen wären, weil sie sich früher überlegt hätten, sich von alten Dingen zu trennen.
(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])
Ich sage das als jemand, der aus einer Steinkohleregion kommt und überlegt: Was haben wir da an Milliarden ausgegeben, und was hätten wir für Chancen haben können? Ich denke an das, was der Fraktionsvorsitzende der SPD gesagt hätte: Leute, das wird auf Dauer nicht funktionieren.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Was sind das denn für Lebenslügen, Herr Fricke?)
Wie viel weniger Zinskosten müssten wir zahlen? 20 Milliarden Euro weniger Zinskosten. Überlegen Sie mal, was 20 Milliarden Euro weniger Zinskosten für den Haushalt bedeuten würden! Theoretisch wären sie ein Überschuss, den ich übrigens gar nicht haben will, weil meine Fraktion, die FDP, klar sagt: Eine Schuldenbremse erlaubt ein gewisses Maß von Verschuldung, um Investitionen in die Zukunft zu tätigen. Weil nachher auch noch meine Kollegin von der CDU/CSU, die Bildungspolitikerin Radomski, redet, merke ich schon, wie in mir der Gedanke umgeht: Was könnte man nicht alles für Bildung, was könnte man nicht alles für Forschung tun? Was könnte man nicht alles für die Zukunft tun?
Das leitet mich zu dem Punkt, um den es uns eigentlich gehen sollte und den wir als Haushälter, auch wenn wir wenig darüber reden, immer als den Kern einer Bedrohung, aber auch als Chance für den Haushalt sehen: Das ist der Arbeitsmarkt.
(Christian Dürr [FDP]: So ist es!)
Denn: Wir können alle möglichen Dinge sparen, mehr ausgeben oder Sonstiges tun. Auf Dauer wird ein Haushalt, wird eine Nation, wird Europa nur funktionieren, wenn es qualifizierte Arbeitskräfte hat, egal ob sie akademisch oder nichtakademisch sind. Das muss die Aufgabe sein.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Da wir über das Thema Arbeitsmarkt reden: Zwei Dinge machen einen Arbeitsmarkt in der Zukunft aus: die Qualifikation, die wir selbst leisten, und die Frage der Schaffung von qualifizierten Arbeitsplätzen. Tut die CDU/CSU irgendwas für Qualifizierung bei unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern? Ich höre da wenig. Ich kann auch keine Länderinitiativen erkennen.
Jetzt schlägt der Bundeskanzler einen Deutschlandpakt vor, zu dem übrigens als weiterer Teil für moderne Arbeitsplätze auch Investitionen für die Schaffung von modernen Arbeitsplätzen gehören. Ein moderner Arbeitsplatz mit Zukunft kann nur existieren, wenn auch investiert wird. Und welche Partei sagt als Erstes: „Wachstum beschleunigen durch Investitionen, Anreize, Vertrauen, damit die Arbeitgeber mehr investieren; das machen wir nicht“?
Dann habe ich mit großem Interesse gehört, wie Herr Merz – er ist jetzt leider nicht mehr da; das ist aber auch okay – gesagt hat, wie er sich seine Sparpläne so vorstellt. Er sagte: In den Ländern und Kommunen machen wir viel zu viel; da sparen wir ein.
Erstens. Diese müssten dann die Aufgaben selber wahrnehmen, was vielleicht auch gut wäre, weil sie nämlich mehr Steuereinnahmen haben als der Bund.
Zweitens. Ich bin auf die Nagelprobe gespannt. Der Bundeskanzler hat die Chance gegeben; aber ich bin auf die Nagelprobe von Herrn Merz gespannt: Schafft es Herr Merz bei der Ministerpräsidentenkonferenz, die CDU/CSU-Ministerpräsidentinnen und -präsidenten dazu zu bringen, Investitionen in moderne Arbeitsplätze zu ermöglichen, oder ist das hier nur eine große Show gewesen, die am Ende nicht dafür sorgt, dass Arbeitsplätze entstehen, die für mehr Steuereinnahmen sorgen, die dafür sorgen, dass die sozialen Sicherungssysteme stabil bleiben usw. usw.? Ich bin gespannt.
(Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])
– Ich weiß, Herr Dobrindt, aus Bayern kann ich da nichts erwarten.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das ist dann vielleicht wieder ganz nett; aber schauen wir mal.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wenn wir diese Haushaltsberatungen gut gestalten wollen, dann sollten wir nicht nur sehen, wer wir sind, sondern was wir alles sein können.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Dr. Christiane Schenderlein das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7556845 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 118 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzler und Bundeskanzleramt |