08.09.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 120 / Einzelplan 11

Claudia RaffelhüschenFDP - Arbeit und Soziales

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vergangenen Monate der Haushaltsaufstellung waren offenkundig sehr herausfordernd. Gemündet sind sie in einen Regierungsentwurf, den wir in dieser Woche nun in erster Lesung beraten. Das heißt, erst jetzt beginnt das parlamentarische Verfahren. Daher ist es mir wichtig, ein paar grundlegende Worte zur Haushaltsaufstellung zu verlieren.

Erstens gilt weiterhin: Wir brauchen die Schuldenbremse nicht nur; sie ist auch in unserem Grundgesetz verankert.

Zweitens. Der Bundeshaushalt 2024 ist trotz wichtiger Konsolidierungs- und Einsparvorhaben kein Sparhaushalt. Vergleichen wir den vorliegenden Regierungsentwurf mit dem Vorkrisenniveau, dann wird deutlich, dass wir in den kommenden Jahren satte 90 Milliarden Euro oder 25 Prozent mehr verausgaben werden als etwa 2019. Wer hier von einem Sparhaushalt spricht, hat meiner Meinung nach den Bezug zur Realität verloren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU und des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Drittens. Deutschland steht leider nicht gut da. Die Wirtschaft ist jüngst in eine Rezession gerutscht. Die Inflation ist weiter viel zu hoch; die Arbeitslosigkeit beginnt wieder zu steigen, und im internationalen Vergleich schneiden wir schlecht ab.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Starke Bilanz!)

Das darf nicht so bleiben, und daher ist es absolut richtig, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner zu strikter Haushaltsdisziplin aufgerufen hat.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ziel muss es sein, der deutschen Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Denn nur so wird der Fiskus auch in Zukunft genügend Mittel zur Verfügung haben, um unseren generösen, aber eben auch sehr teuren Sozialstaat zu finanzieren.

Kommen wir nun zum Einzelplan 11. Mit fast 172 Milliarden Euro ist der Etat des Arbeits- und Sozialministeriums in seiner uns vorliegenden Fassung nochmals deutlich angestiegen. Im Vergleich zum Jahr 2023 verzeichnet das BMAS ein Plus von rund 5,5 Milliarden Euro, was fast ausschließlich auf die immer weiter steigenden Zuschüsse an die Rentenversicherung zurückzuführen ist.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gut so!)

Ganze 117,2 Milliarden Euro schießen wir in das umlagefinanzierte Rentensystem. Das sind astronomische Summen

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!)

– die Rentner haben es verdient;

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!)

das bestreite ich ja gar nicht; trotzdem müssen wir was machen –,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die jedes Jahr eindrucksvoller zeigen, wie reformbedürftig und ungerecht unser Rentensystem inzwischen geworden ist. Was die jungen Menschen in diesem Land inzwischen und insbesondere zukünftig schultern müssen, ist wirklich erschreckend.

Das BMAS will im Bereich der Rentenversicherung einen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes leisten und senkt den zusätzlichen Bundeszuschuss im Zeitraum 2024 bis 2027 um 600 Millionen Euro jährlich ab. Im parlamentarischen Verfahren müssen wir neben diesen sicherlich wirklich gutgemeinten, aber doch im Verhältnis kleinen Maßnahmen wieder ins Gespräch kommen,

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Aha!)

wie wir das Gesamtsystem Rente dauerhaft stabilisieren können, ohne immer nur an der Schraube Bundeszuschuss zu drehen. Außerdem gilt es zu verhindern, dass der Beitragssatz in der Rentenversicherung durch diese steuerliche Entlastung zukünftig noch weiter ansteigen wird; denn das würde die jungen Beitragszahler noch mehr belasten und der angestrebten Generationengerechtigkeit zuwiderlaufen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nur die Konstanz des Beitragssatzes ist wirklich generationengerecht.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, das bestreite ich!)

Neben der Rente dürfte auch der gesamte Bereich SGB II zu intensivem Beratungsbedarf führen, nicht nur wegen der Finanzierung – das Gesamtbudget liegt im Jahr 2024 laut Regierungsentwurf und entsprechend dem Finanzplan wieder bei 9,85 Milliarden Euro –, sondern auch wegen der geplanten Aufgabenverlagerung hinsichtlich junger Bürgergeld beziehender Menschen unter 25 Jahren. Ab dem Jahr 2025 soll das Gesamtbudget SGB II somit um 900 Millionen Euro jährlich sinken. Die praktische Zuständigkeit für die Betreuung geht von den Jobcentern auf die Bundesagentur für Arbeit über.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Sie wird abgeschafft!)

Ich bin ehrlich: Auch für mich muss erst noch die Frage geklärt werden, ob es sich um wirkliche Sparmaßnahmen oder um einen Verschiebebahnhof handelt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Genau! Ein Verschiebebahnhof! – Marc Biadacz [CDU/CSU]: Sehr gut! Solche Reden brauchen wir!)

– Danke. – Denn letztlich wird hier eine Bezugsgruppe aus der Steuerfinanzierung in die Beitragsfinanzierung und damit in den Dunstkreis des SGB III, also einer Versicherungsleistung, verschoben. Zwar wird zunächst eine finanzielle Entlastung des Bundeshaushaltes stattfinden; gleichzeitig würde der Haushalt der Bundesagentur aber überproportional belastet, da die Kommunen ihre finanziellen Anteile nicht mehr übernehmen müssen. Laut Bundesrechnungshof würden hier Mehrkosten von rund 1,1 Milliarden Euro entstehen.

Zudem könnte die Folge sein, dass die Bundesagentur für Arbeit die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Zukunft erhöhen müsste. Dann hätten wir unterm Strich gar nichts gewonnen, ganz abgesehen von der vermutlich leidenden Qualität der Beratung junger Menschen und der potenziell inflationstreibenden Komponente durch höhere Sozialabgaben bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: So ist es!)

Der Bundesrechnungshof teilt diese Thesen in einem kürzlich veröffentlichten Bericht, den wir als kritische Grundlage in die anstehenden Haushaltsberatungen mitnehmen müssen. Im nun beginnenden parlamentarischen Verfahren werden wir deshalb noch mal über all dies sprechen. Das ist unsere Aufgabe als Haushälterinnen und Haushälter, und das verbindet uns auch über die Fraktionsgrenzen hinweg.

Unser Ziel muss ein solider Haushalt sein, der den Menschen in diesem Land gerecht wird, sie aber eben nicht überfordert; denn wir hantieren immer noch mit Steuergeldern, und darüber darf nicht leichtfertig entschieden werden.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Das ist aber eine gute Rede!)

Deshalb: Es ist gut, dass wir einen Regierungsentwurf vorliegen haben, der die Schuldenbremse einhält und zur Konsolidierung beiträgt. Lassen Sie uns nun, lieber Herr Minister und liebe Kolleginnen und Kollegen Haushälter, ins Gespräch kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt das Wort Dr. Gesine Lötzsch.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7557110
Wahlperiode 20
Sitzung 120
Tagesordnungspunkt Arbeit und Soziales
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta