Jonas GeisslerCDU/CSU - Aktuelle Stunde: Erdbeben in Marokko und Flutkatastrophe in Libyen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bilder, die wir in diesen Tagen aus Libyen und Marokko sehen, erschüttern uns alle. Es sind Bilder von verzweifelten Menschen, die ihre Angehörigen verloren haben, ihr Hab und Gut und wohl viel zu oft auch ihre eigene Zukunft. Es sind Bilder von Trauer, von Wut und von Entsetzen. Es sind Bilder, die uns selbst stumm werden lassen. Weil uns nichts anderes bleibt als Mitgefühl und Anteilnahme.
Mich persönlich hat am meisten die Geschichte eines Jungen, der in Marokko mit Journalisten gesprochen hat, nachdenklich gemacht bzw. beeindruckt. Der Junge war zehn Jahre alt, ist zielsicher auf die Journalisten zugegangen und wollte seine Geschichte erzählen: dass er alles verloren hat, dass sie jetzt vor allen Dingen Zelte brauchen. Es gibt wohl ein Zelt für alle; das ist viel zu wenig. Bald kommt der Winter. Es ist kalt. Der Junge redet und redet immer weiter und weiter – weil er sich in dem Moment sein ganzes Leid von der Seele spricht. Das sind genau die Bilder, die einen in so einer Situation tief berühren.
Die Situation in den Erdbebengebieten ist unübersichtlich, ist ganz anders als in Libyen, weil wir zwei Naturkatastrophen haben, die unterschiedlich sind, wo bei der einen die Regierung Hilfe ablehnt, bei der anderen die Regierungen die Hilfe sehr wohl annehmen wollen. Es sind zwei unterschiedliche Naturkatastrophen in Systemen, die unterschiedlicher eigentlich nicht sein können. Aber genau das ist der Kern, der humanitäre Hilfe ausmacht.
Wir haben in Libyen ein vom Bürgerkrieg tief zerrissenes Land, einen gestürzten Diktator, Militärinterventionen, Anarchie, Chaos, Dschihadisten, Wagner-Söldner. Wir sehen in Libyen eine Regierung, die international anerkannt wird, eine andere, die nicht anerkannt wird. Libyen ist kein armes Land; aber in Libyen gibt es Korruption, Gewalt und Unruhen. Und mittendrin liegt die Stadt Derna, eine Stadt, wo die Menschen im Arabischen Frühling als erstes aufgestanden sind, um gegen Gaddafi zu demonstrieren, wo sie über die Jahre hinweg keine Mittel vom Staat bekommen haben, weil sie als Widerständler gegolten haben. Aber auch danach wurden sie vernachlässigt, als es Dschihadisten, Islamisten gegeben hat, die immer als unsicher eingeordnet worden sind. Und wir sehen eine Stadt, in der Korruption geherrscht hat – kein funktionierender Wetterdienst, keine Sturmwarnungen –, aus der die Hilferufe der Bevölkerung ignoriert worden sind, in der Menschen etwas angeprangert haben, aber darauf nicht gehört worden ist. Jetzt braucht man dort mehr als alles andere schweres Gerät, gar nicht unbedingt finanzielle Hilfen, sondern Zelte, schweres Gerät, Maschinen, Sachleistungen. Und das ist genau das, was humanitäre Hilfe ausmacht.
Humanitäre Hilfe ist der Moment, zu dem der Mensch in den Mittelpunkt gestellt wird. Humanitäre Hilfe ist der Moment, zu dem dem Einzelnen geholfen wird, der im Zweifel unschuldig gewesen ist, der sich selbst nicht helfen kann. Und humanitäre Hilfe bedeutet für uns, dass wir uns unserer Verantwortung stellen müssen, auch bei unangenehmen Diskussionen, wenn zum Beispiel negiert wird, dass es humanitäre Hilfe überhaupt braucht, und gefordert wird, dass man doch vielmehr was für seine eigenen Leute machen solle. Wenn wir aufstehen und denen, die das sagen, entgegentreten, dann tun wir das, weil wir wissen: Humanitäre Hilfe ist Teil unserer eigenen Staatsräson. Es ist die Würde des Menschen, die Menschlichkeit, auf die wir uns immer wieder beziehen. Und die Bundesrepublik Deutschland macht das seit Jahren, seit Jahrzehnten, und sie macht es vor allen Dingen gerade auch jetzt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Humanitäre Hilfe wird aber nicht nur geleistet, weil es anständig ist, sondern auch, weil wir erkannt haben, dass, wenn wir unmittelbar helfen, wir Weiteres verhindern können, zum Beispiel Flüchtlingsströme der Zukunft. Wenn man Menschen im Hier und Jetzt hilft, dann brechen sie gar nicht erst auf. Auch das ist einer der Gründe, warum man keine Symptome bekämpfen sollte, sondern humanitäre Hilfe fortsetzen muss. Deswegen ist es mein großer Appell an uns alle, die Mittel für humanitäre Hilfe nicht zu kürzen, weil sie lebensnotwendig und wichtig sind.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Kürzen Sie nicht im Bereich „humanitäre Hilfe“!
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Nadja Sthamer.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7578551 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 121 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde: Erdbeben in Marokko und Flutkatastrophe in Libyen |