21.09.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 122 / Tagesordnungspunkt 9, 12

Tino SorgeCDU/CSU - Krankenhausstrukturreform

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Lauterbach, ich weiß nicht, ob Sie gestern mitbekommen haben, was hier in Berlin und was bundesweit los war. Da gehen Tausende Menschen – Pfleger, Ärzte, Krankenhausbetreiber – auf die Straßen und sagen: Es ist Alarmstufe Rot. Es ist absolut kritisch. Die Häuser stehen vor der Insolvenz. – Sie aber stellen sich hier hin und sagen: Alles ist gut, und die Reform kommt. – Also, ich weiß nicht, in welcher Realität Sie leben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das hat er doch gar nicht gesagt! – Dr. Andrew Ullmann [FDP]: Das hat er nicht gesagt! Sie müssen zuhören!)

Sie haben ja eben gesagt, es sei zynisch, was einige Krankenhäuser machen. Wenn hier aber jemand den Eindruck der Arbeitsverweigerung erweckt, dann sind Sie das.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Arbeitsverweigerer wart ihr in den letzten Jahren!)

Mir kommt das manchmal so vor wie im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, dass irgendwann mal jemand sagt: Mensch, da ist doch überhaupt keine Konsistenz da.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil ihr es verpennt habt! – Dr. Andrew Ullmann [FDP]: Was habt ihr denn die letzten 16 Jahre gemacht?)

Aber was machen Sie? Alle Krankenhausbetreiber sagen Ihnen: Das kann so nicht weitergehen. Wir brauchen diese Reform, ja, aber wir brauchen diese Reform schnell.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sie haben doch keine Reform auf den Weg gebracht!)

Und was machen Sie, was macht das BMG wieder einmal? Sie bringen ein Faktenblatt in Umlauf, frei nach dem Motto: Wir beobachten die Situation genau. Die Länder sind ja auch irgendwo schuld. Die Kliniken haben schon genug Hilfen bekommen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Untätigkeit ist nichts anderes als ein krankenhauspolitischer Offenbarungseid.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Na, das sagt der Richtige!)

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Da stehen Krankenhausbetreiber und erklären Ihnen, dass sie aufgrund der gestiegenen Inflationskosten, der gestiegenen Energiekosten, der gestiegenen Personal- und Sachkosten mit dem Landesbasisfallwert nicht hinkommen, dass sie jeden Monat Minus einfahren, dass sie nicht wissen, wie sie im nächsten Monat noch die Gehälter bezahlen sollen. Und jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen: Wir machen jetzt mal ein Krankenhaustransparenzgesetz. – Sie tun den zweiten Schritt vor dem ersten, und das ist der große Fehler, den Sie hier machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn das BMG mit Faktenblättern arbeitet, dann muss die Not schon sehr groß sein. Einige Kolleginnen und Kollegen haben ja hier reingerufen, das erinnere schon sehr stark an Fake News. Ich darf Sie mal an etwas erinnern, weil Sie ja immer auf Fakten beharren, auch wenn Sie für sich immer in Anspruch nehmen, Sie seien der Einzige, der wisse, was tatsächlich die Wahrheit sei. Wenn Sie mit Fakten argumentieren, hier einmal ein paar unbequeme, alarmierende Zahlen: In diesem Jahr haben schon jetzt fünfmal so viele Krankenhäuser Insolvenz anmelden müssen wie im Jahr 2021 – fünfmal so viele Häuser, lieber Herr Kollege Lauterbach! Allein im ersten Halbjahr waren es 19 Krankenhäuser, betroffen sind 32 Standorte, weitere Insolvenzen stehen bevor. Und was machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel? Sie vertrauen auf Ihren Minister. Sie schauen tatenlos zu; das ist der eigentliche Skandal hier.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ates Gürpinar [DIE LINKE] – Zuruf der Abg. Heike Baehrens [SPD])

– Jetzt hören Sie mal zu.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja, es ist aber sehr schwer, zuzuhören!)

– Das trägt zum Erkenntnisgewinn bei.

Ihr Minister hat es doch gestern im „ZDF-Morgenmagazin“ selbst gesagt. Da stellt sich ein Gesundheitsminister hin und sagt allen Ernstes: „Wir müssen Krankenhäuser abbauen, gerade in den großen Städten.“ Wir sind uns ja alle einig, dass wir eine Strukturreform brauchen.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Aha! – Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Hört! Hört!)

Aber wenn er im gleichen Atemzug sagt: „Aber es trifft jetzt die Falschen. Es ist aktuell ein unkontrollierter Prozess“ – Zitat Karl Lauterbach –, dann stelle ich fest: Wir haben einen Gesundheitsminister, der offen einen Kontrollverlust zugibt, und eine Regierungskoalition, die nichts unternimmt. Das ist fatal, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ates Gürpinar [DIE LINKE])

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion?

Ja, selbstverständlich.

Vielen Dank, Herr Kollege Sorge, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben auf die Aussage des Herrn Kollegen Lauterbach reagiert, als er davon sprach, dass die Länder ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie in Ihrem Heimatbundesland, wo ja Ihre Partei den Ministerpräsidenten stellt und mit uns zusammen regiert, bereit sind, dafür zu sorgen, dass das Land Sachsen-Anhalt seinen Verpflichtungen im Rahmen der Krankenhausfinanzierung nachkommt. Denn es wird ein ganz wesentlicher Punkt bei dieser Reform sein, dass sich die Länder genau dem nicht entziehen. Das Problem kennen wir alle. Sie haben die Chance, jetzt hier zu sagen, ob Sie dafür mit uns streiten werden.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, lieber Herr Kollege Lindemann. – Das ist insofern eine sehr gute Frage,

(Lachen bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das finden wir auch!)

als dass es im Gesamtkontext der Finanzierung durchaus eine Rolle spielt. Und da stellt sich jetzt die Frage: Wie können Krankenhäuser in allen Bundesländern zukünftig besser finanziert werden?

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt kein Bundesland – auch nicht ein Bundesland, in dem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, die Verantwortung haben –, das seinen Investitionskostenverpflichtungen in voller Höhe nachkommt.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja, wie wollen Sie das denn ändern? Sagen Sie doch mal was zu der Frage!)

Die Menschen wollen keine Streitereien darüber, was irgendwann schlechtgelaufen ist.

(Zuruf von der SPD: Keine Antwort auf die Frage!)

– Entspannen Sie sich mal. Ich komme gleich dazu. Ich beantworte Ihre Frage.

Die Strukturreform, die auf den Weg gebracht werden soll, darf aufgrund der momentanen Untätigkeit der Ampelregierung nicht zu einer kalten Strukturbereinigung führen.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Wir als Unionsfraktion haben gestern einen Krankenhausgipfel veranstaltet. Daran haben über 300 Akteure aus dem gesamten Krankenhausbereich teilgenommen, darunter auch Akteure aus Ihren Wahlkreisen. Und egal, wen Sie fragen, da ist keiner dabei, der Ihnen sagt, dass die Krankenhausfinanzierung super läuft. Herr Lauterbach kündigt ja nun schon seit wer weiß wie lange eine Strukturreform an. Es scheint für ihn eine symptomatische Argumentationshilfe zu sein, immer dann, wenn die Not am größten ist, ein Faktenblatt vom BMG herauszugeben

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ja, das stimmt!)

oder ein Interview zu geben, in dem gesagt wird: Jetzt wird das Problem aber wirklich gelöst. Wir werden und müssen handeln. – Aber konkrete Entwürfe, die dazu führen, dass die Probleme gelöst werden, gibt es von seinem Hause nicht. Und das ist der Kern unserer Kritik, lieber Herr Kollege Lindemann.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Was ist denn jetzt mit der Frage? Was ist denn mit den Investitionen Ihres Landes?)

– Ja, ich weiß, die Wahrheit tut weh.

Wir debattieren ja heute über unseren Antrag, ein Vorschaltgesetz zu beschließen. Dieser Antrag wurde auch im Rahmen des gestrigen Krankenhausgipfels behandelt, für den – ich wiederhole es noch mal – über 300 Akteure nach Berlin gekommen sind. Es gab einen bundesweiten Protesttag. Der eine oder andere von Ihnen war vielleicht auch am Brandenburger Tor. Alle haben gesagt: Was wir im Rahmen dieser Reform brauchen, sind keine Reden. Wir dürfen nichts mehr auf die lange Bank schieben. Wir brauchen, bis die Reform in Kraft tritt – die Länder sind zum Glück mit involviert; das BMG macht das nicht allein –, eine Brückenfinanzierung. Genau das ist der Punkt. Wir brauchen ein Vorschaltgesetz und eine entsprechende Unterstützung der Häuser, damit es keine kalte Strukturbereinigung gibt, damit in der Fläche keine Häuser verloren gehen, die wir später brauchen. Genau das können Sie heute mit uns hier verabschieden, also stimmen Sie unserem Antrag zu.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Farle?

Herr Farle, bitte.

(Matthias David Mieves [SPD]: Um Gottes willen!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Tino Sorge, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage erlauben. – Ich möchte Ihnen nur einige Daten, die ich mir für einen anderen Redebeitrag rausgeschrieben habe, mal kurz vorlesen und die Frage stellen, ob Sie zugeben, dass die Mittel, um weitere Krankenhausschließungen künftig zu verhindern, da sind.

24 Milliarden Euro gibt die Bundesregierung für die Ukraine aus, 10 Milliarden Euro für den Klimaschutz in Indien, das bekanntlich nicht in Deutschland liegt, sondern ganz woanders,

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

30 Milliarden Euro für Massenmigration, worüber die Kommunen schon die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, 43,8 Milliarden Euro für das Bürgergeld, das neu eingeführt wurde, 25 Milliarden Euro für die EU, wo wir Nettozahler sind. Ich werde diese Liste aus Zeitgründen nicht fortsetzen.

Hier ist allemal genug Geld vorhanden, um etwas für unsere kranken und armen Menschen zu tun. Stimmen Sie mit mir darüber überein, dass man hier mal rangehen müsste und was für die Krankenhäuser tun müsste und dass man Probleme wie Armut beseitigen könnte, wenn man endlich aufhören würde, Panzer und Munition zu liefern, und stattdessen was für die Bevölkerung im eigenen Land tun würde? – Vielen Dank.

Vielen Dank. – Vielleicht darf ich nur einmal darauf aufmerksam machen: Selbstverständlich gibt es das Recht, eine Zwischenfrage oder eine -bemerkung zu machen. Sie sollte sich bitte möglichst auf die Rede des Redners beziehen und bedeutet keine zusätzliche Redezeit. Ich möchte das nur noch einmal mitgeben, damit Sie das bedenken. Aber jetzt wird gerne beantwortet, wenn gewünscht. – Bitte schön.

Herr Kollege Farle, was soll ich sagen? Die Präsidentin hat ja schon darauf hingewiesen. Auch aufgrund meiner knappen Redezeit: Ich weiß nicht, ob es den Menschen vor Ort hilft, wenn wir jetzt hier Debatten führen, was man wie hätte besser machen können.

Uns als Unionsfraktion geht es darum, pragmatische, konstruktive Vorschläge zu machen, wie wir die Krankenhäuser, gerade in der Fläche, im ländlichen Raum, auch in Zukunft nachhaltig finanzieren können. Und dazu haben wir unseren Antrag auf Beschluss eines Vorschaltgesetzes hier ins Plenum eingebracht. Wir müssen für die Übergangsphase eine Brückenfinanzierung auf den Weg bringen. Wir brauchen insbesondere im Rahmen des Vorschaltgesetzes eine Prognose über den Finanzbedarf. Wir müssen Masseninsolvenzen verhindern. Und vor allen Dingen müssen wir auch die gestiegenen Kosten im Landesbasisfallwert abbilden.

Herr Farle, für Ihre Frage bin ich teilweise der falsche Adressat. Sie müssten die Kolleginnen und Kollegen der Ampel fragen, wie Mittel verteilt werden. Ich kann nur für meine Fraktion sagen, dass wir in vielen Bereichen im Rahmen der Haushaltsberatungen sehr konstruktive Vorschläge gemacht haben. Wir gehen davon aus, dass diese in den Beratungen entsprechend berücksichtigt werden. Ihre anderen Fragen müssten in den jeweiligen Fachdebatten erörtert werden.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: In der Haushaltswoche!)

Frau Präsidentin, ich habe ja noch etwas Redezeit. – Wir sind ein bisschen abgeschweift. Aber um wieder auf das Thema zu kommen: Es wäre ja im Grunde ganz einfach, unserem Vorschaltgesetz zuzustimmen. Wir werden jetzt genau schauen: Stimmen Sie diesem Vorschaltgesetz zu, oder geht es Ihnen ausschließlich um das vermeintliche Transparenzgesetz? Und wenn Sie sich dieses Transparenzgesetz – das ist ja semantisch sehr schön – mal genau anschauen, werden Sie feststellen, dass niemand sagt: Das ist super. – Das ist ein weiteres bürokratisches Monster, weitere Datenfriedhöfe werden geschaffen. Da Sie ja immer darauf verweisen, dass beispielsweise aus dem Krankenhausbereich keine Zahlen verfügbar seien, dass Krankenhäuser Zahlen zu Qualität und Quantität zurückhielten,

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Wer sagt das denn?)

und Sie, sehr geehrter Herr Minister, so tun, als gäbe es keine Transparenz: Das ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen. Sie haben längst ein Qualitätsverzeichnis mit Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Es wird sogar vom Bundesgesundheitsministerium auf der Homepage gehostet.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja, bitte!)

Wer sich informieren will: gesund.bund.de. Dort kann man diese Zahlen abrufen.

Stimmen Sie dem von uns vorgeschlagenen Vorschaltgesetzes zu, um Krankenhäusern neue Luft zum Atmen zu geben. Die Krankenhausreform kann ein Erfolg werden, dazu müssen aber auch die Kliniken am Netz gehalten werden.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss!

Wir können das Problem lösen. Stimmen Sie unserem Antrag zu, und dann kann die Reform noch ein Erfolg werden.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte nur noch mal sagen – ich weiß gar nicht, ob das vorhin eine ernsthafte Frage war –: Für die Beantwortung der Zwischenfragen wird Ihnen ja zusätzliche Redezeit gegeben. Sie wird nicht von Ihrer Redezeit abgezogen. Nur, dass es kein Missverständnis gibt. Dafür halte ich die Uhr an.

Jetzt fahren wir aber fort. Dr. Janosch Dahmen spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7578663
Wahlperiode 20
Sitzung 122
Tagesordnungspunkt Krankenhausstrukturreform
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