22.09.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 123 / Zusatzpunkt 12

Nancy Faeser - Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Sehr verehrte Gäste! Liebe Union! Sehr geehrter Abgeordneter Dobrindt, ich hatte eigentlich vor, am Anfang meiner Rede zu loben, dass Sie endlich mal was auf den Tisch legen, statt diese Sprüche zu machen. Aber Ihre Rede hat leider wieder genau das Gegenteil bewirkt, nämlich diese Debatte nur angeheizt. Ich halte das angesichts der Lage für unangemessen. Ich will das ganz deutlich sagen: Es ist unangemessen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ihr Verhalten ist unangemessen! So wird das nichts!)

Ja, die Herausforderungen in der Migrationspolitik sind groß. Deswegen wollte ich Sie eigentlich dafür loben, dass Sie mal was vorlegen, statt in der Presse unterwegs zu sein. Herr Dobrindt, Sie haben es auch am Anfang gesagt, und ich werte das – –

(Jens Spahn [CDU/CSU]: „Mal“ was vorlegen? Wir legen ständig was vor!)

– Sie müssen erst mal zuhören, Herr Spahn. Wir haben ja gestern eine muntere Diskussion dazu gehabt, vielleicht hören Sie mir heute einfach mal zu. – Sie haben am Anfang Ihrer Rede gesagt – und das nehme ich sehr wohlwollend auf –, dass Sie die ausgestreckte Hand des Bundeskanzlers Olaf Scholz zum Deutschlandpakt annehmen,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wo ist der eigentlich? – Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja, wo ist denn der Bundeskanzler?)

um die irreguläre Migration zu bekämpfen. Ich werte das als gutes Zeichen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Kein Applaus bei den Grünen!)

Ich habe mit großem Interesse in Ihrem Antrag gelesen – ich will das auch noch mal sagen –, dass Sie dort von substanziellen Lösungen reden; auch wenn ich daran erinnern möchte, dass Unionsinnenminister in den vergangenen 16 Jahren eben keine substanziellen Lösungen vorgelegt haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Deswegen sollten Sie ein bisschen bescheidener sein in dieser Debatte.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Das ist für eine Ministerin billig!)

Viel wichtiger ist mir etwas anderes. Wir haben als Demokraten eine Verantwortung für unsere Demokratie. Gehen Sie nicht weiter auf dem Irrweg, Wahlkampf auf dem Rücken von Menschen zu machen, die von Krieg und Terror bedroht sind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ob das Gerede, Herr Fraktionsvorsitzender Merz, von Sozialtouristen aus der Ukraine

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

oder das Remake der Obergrenze von Herrn Söder – all das ist Populismus pur und stärkt nur die Rechtsextremen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ihre Politik stärkt die Rechtsextremen, sonst gar nichts!)

Ich will auch Markus Söder selbst zitieren, der einmal gesagt hat: Du kannst ein Stinktier nicht überstinken.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was ist das denn?)

Machen Sie also denselben Fehler nicht noch einmal, einfache Lösungen zu präsentieren, obwohl es die nicht gibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, ich will über das reden, was Sache ist:

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wird ja auch mal Zeit! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist unerträglich!)

Über 200 000 Asylanträge wurden bis August dieses Jahres bereits gestellt. Derzeit leben etwas mehr als 1 Million Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland, die Sie übrigens mit keinem Wort hier erwähnt haben. Zudem hat die Bundespolizei bis einschließlich Juli 56 052 unerlaubte Einreisen nach Deutschland verzeichnet. Und die letzten Zahlen zur Schleusungskriminalität: Die Bundespolizei hat bis Ende Juli dieses Jahres circa 1 300 Fälle mit 1 400 Schleusern festgestellt. Diese Zahlen zeigen: Ja, wir sind auf allen Ebenen gefordert, irreguläre Migration einzuschränken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie sind überfordert! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber Sie machen doch nichts!)

Deshalb arbeitet die Bundesregierung mit den Kommunen und mit den Ländern an echten substanziellen Lösungen. Das heißt konkret: Ich habe die Bundespolizei an den deutschen Außengrenzen, insbesondere zu Polen und Tschechien, mit mehreren Hundertschaften verstärkt. Die machen erfolgreiche Schleierfahndungen dort. Mein Dank gilt den Beamtinnen und Beamten, die wirklich gute Arbeit leisten.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung der Abgeordneten Polat?

Sehr gerne.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da bekommt die Regierung jetzt aber was zu hören!)

Sehr geehrte Frau Ministerin, auch im Hinblick auf den Antrag, der uns heute vorliegt, wird immer von irregulärer Migration gesprochen. Ich glaube, damit sind unerlaubte Einreisen gemeint. Aber ist es richtig, dass diejenigen, die unerlaubt einreisen, dann, sobald der Asylantrag gestellt wird, eine Aufenthaltsgestattung bekommen und eben legal hier in Deutschland sind?

(Beifall der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist richtig, Frau Abgeordnete Polat. Deswegen stimmen die Zahlen von 300 000, die da kursieren, auch nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: In welcher Welt lebt ihr eigentlich? Lebt ihr in Deutschland, oder was? Echt eine Parallelwelt! – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der AfD)

Meine Damen und Herren, unsere Schleierfahndungen wirken und sind sehr viel effektiver, weil sie dazu führen, dass wir an vielen Stellen an der Grenze gleichzeitig Kontrollen durchführen können.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Also haben wir eigentlich gar kein Problem!)

Im Übrigen hätten wir die Datenlage sonst überhaupt nicht. Und, meine Damen und Herren von der Union, wollen Sie jetzt eine sachliche Debatte oder nicht?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Wir warten schon lange darauf!)

Deswegen habe ich die bilaterale Zusammenarbeit mit Polen und Tschechien verstärkt. Wir haben mit beiden Ländern gemeinsame Dienststellen. Wir arbeiten gemeinsam mit gemischten Teams aus polnischen und deutschen Polizeibeamtinnen und -beamten, ebenso mit Tschechien. Ich kann Ihnen auch sagen, dass mich dieser Tage die Berichterstattungen aus Polen über den Visaskandal besorgen; deswegen bin ich mit meinem Innenministerkollegen in Polen auch in engem Austausch. Wir haben das im Blick. Darauf können Sie sich verlassen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie haben das gar nicht im Blick! – Zuruf von der CDU/CSU: Und machen Sie denn auch was?)

Noch ein Wort zur Schleuserkriminalität. Das ist mir persönlich ganz wichtig. Wir reden hier von Verbrechern, die für Profit Menschenleben aufs Spiel setzen. Die Bundespolizei befreit regelmäßig Männer, Frauen und Kinder aus entsetzlichen Lagen: lebensgefährlich eingepfercht, ohne Wasser, ohne Nahrung und mit kaum Sauerstoff. Diese Verbrechen müssen wir verhindern, meine Damen und Herren. Deshalb handeln wir. Dafür haben wir Sofortmaßnahmen auf den Weg gebracht: eine Operative Zentrale zur Analyse der Schleuserkriminalität bei der Bundespolizei, eine neue Taskforce, die wir gemeinsam mit Polen und Tschechien gründen. Und wir schließen Strafbarkeitslücken – das haben Sie übrigens auch nie gemacht –: Wir weiten die rechtlichen Möglichkeiten aus, Schleusern ihren Aufenthaltstitel zu entziehen und sie auszuweisen. Das ist wirklich wichtig, meine Damen und Herren. Auch da hat die Union nicht gehandelt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Und ja, zur Schleuserkriminalitätsbekämpfung kann es partiell auch notwendig sein, stationäre Grenzkontrollen durchzuführen.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Aha! – Zuruf von der AfD: Aha!)

Unsere Maßnahmen wirken. Wir steuern und ordnen Migration, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie sollen sie begrenzen! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir unterstützen Länder und Kommunen substanziell mit Milliardenbeträgen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Also alles super, kein Problem!)

Wir haben im Gegensatz zu Ihnen Reformen auf den Weg gebracht, die wirken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Eben nicht! – Zuruf von der AfD)

Ich wundere mich schon, Herr Dobrindt – wenn ich das noch mal sagen darf –: Jetzt plötzlich kommt die Forderung nach verbindlichen Vereinbarungen, um irreguläre Migration und die Aufnahme geflüchteter Menschen zu reduzieren. Sie reden davon, ich hätte in Europa etwas verhindert. Lieber Herr Dobrindt, ich war es, die es für die Bundesregierung geschafft hat, in Europa den historischen Durchbruch hinzubekommen, dass wir überhaupt eine Lösung gefunden haben, um ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Widerspruch bei der CDU/CSU und der AfD)

Das ist ja lächerlich, was Sie hier machen. Sie haben es nicht hinbekommen, aber wir haben es hinbekommen als Bundesregierung.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wo ist es denn? Das gibt es doch gar nicht!)

Frau Ministerin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung, diesmal des Kollegen de Vries aus der CDU/CSU-Fraktion?

Nein.

(Zurufe von der CDU/CSU: Ah! – Jens Spahn [CDU/CSU]: Wir nehmen nur die der Grünen! Sehr souverän! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Ist halt nicht abgesprochen!)

– Herr de Vries, ich weiß ja, was Sie fragen wollen. Nein, die Bundesregierung verhindert keinen weiteren Trilog mit dem Europaparlament. Wir werden die Verhandlungen voranbringen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bleiben wir also bei den Fakten: Schon zu Beginn des Jahres haben wir das Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren in Kraft gesetzt. Wir ermöglichen damit bessere und vor allen Dingen schnellere Entscheidungen, und wir entlasten Verwaltungsgerichte und das BAMF. Um Ausreisen konsequenter umzusetzen, sieht auch unser Koalitionsvertrag eine Rückführungsoffensive vor. Im Mai hat sich der Bundeskanzler mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten dazu besprochen.

(Zuruf des Abg. Steffen Janich [AfD])

Ich freue mich ja, dass Sie die Dinge aus dem MPK-Beschluss vom 10. Mai sämtlich in Ihrem Antrag aufgeführt haben. Wir gehen aber deutlich darüber hinaus, meine Damen und Herren. Wir haben im Anschluss intensiv mit den Ländern und Kommunen an zwei Gesetzesinitiativen gearbeitet. Mit den Erkenntnissen daraus haben wir ganz aktuell den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung finalisiert. Jetzt geht die Ressortabstimmung los. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben heute Morgen auf den Startknopf gedrückt. Wir handeln also schon, während Sie nur fordern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Also, wir haben gar kein Problem, stimmt’s? Es gibt gar kein Problem!)

Ich freue mich, meine Damen und Herren, über die Unterstützung; denn wir haben im Bundeskabinett vor ein paar Wochen die Republik Moldau und Georgien als sichere Herkunftsstaaten ausgewiesen. Deswegen habe ich mich ein bisschen über Ihre Worte gewundert, Herr Dobrindt.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Was ist mit den Maghreb-Staaten? Die Maghreb-Staaten werden blockiert im Bundesrat!)

Das wird zu einer deutlichen Entlastung führen, weil 10 Prozent der Migranten, deren Asylanträge abgelehnt werden, von dort kommen. Das wird also schnelle Entlastung bringen. Deswegen: Wir liefern echte, substanzielle Lösungen. Sie reden nur darüber, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: In welchem Land lebt ihr eigentlich?)

Es wäre schön, wenn wir auch die CDU von damals, unter Helmut Kohl, in der Frage europäischer Errungenschaften ab und zu mal wieder hören würden. Eine der größten Errungenschaften des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl ist nämlich die Öffnung der Binnengrenzen in der Europäischen Union. Deshalb müssen die Außengrenzen der EU gestärkt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja, dann machen Sie doch! – Zuruf des Abg. Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU])

Meine Damen und Herren, für die Ampel kann ich nur sagen: Wir haben einen klaren Kurs in der Migrationspolitik:

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Fachkräfte gewinnen, Humanität leben, irreguläre Migration beenden. Wir schützen das individuelle Grundrecht auf Asyl – auch vor Missbrauch. Und wir steuern und ordnen die Migration viel stärker als bisher. Damit sichern wir die Zukunft und den Zusammenhalt in Europa und in Deutschland.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Das werden dann 14 Prozent in Hessen!)

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention der Kollege de Vries aus der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7580531
Wahlperiode 20
Sitzung 123
Tagesordnungspunkt Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik
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