Thorsten FreiCDU/CSU - Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir hier in dieser Debatte erleben, ist die vollendete Realitätsverweigerung.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Leif-Erik Holm [AfD])
Machen Sie sich doch mal mit den Gegebenheiten vertraut! Wir sehen doch jeden Tag, wie Menschen an den Küsten Italiens und Lampedusas anlanden.
(Zurufe der Abg. Leon Eckert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Clara Bünger [DIE LINKE])
Und sie bleiben dort nicht; sie ziehen nach Norden.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Habe ich schon gesagt!)
Die Behörden und die Regierung in Rom sind weder imstande noch sind sie willens, Asylanträge dort zu bearbeiten. Die Folge ist, dass bis zum 31. August dieses Jahres mehr als 220 000 Asylanträge in Deutschland gestellt worden sind.
(Zuruf der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Und wenn ich diesen Trend extrapoliere, dann bedeutet das, dass wir bis zum Jahresende zwischen 350 000 und 400 000 Asylanträge in Deutschland haben werden.
(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird immer mehr!)
Es grenzt doch an Realitätsverweigerung, wenn Sie hier den Eindruck erwecken, Frau Göring-Eckardt, als wäre das alles eine Frage des Geldes. Nein, es ist nicht in erster Linie eine Frage des Geldes, sondern es ist eine Tatsache, dass die Infrastruktur in Deutschland in ihrer Breite auf Zuzug in dieser Größenordnung nicht vorbereitet ist. Das ist die Realität.
(Beifall bei der CDU/CSU – Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie denn gar keine Vorschläge in Ihrem Antrag? – Zuruf der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])
Hören Sie Ihren eigenen Kommunalpolitikern zu! Wir haben sie am 30. März hierher, in den Bundestag, eingeladen: 400 Bürgermeister und Landräte aller Parteien aus dem ganzen Land.
(Marcel Emmerich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele waren von der CDU da?)
Sie haben uns eindrucksvoll gezeigt, woran es mangelt: Es mangelt an Wohnraum, an Kitaplätzen, an Schulen, in der medizinischen Versorgung.
(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fordern Sie doch in Ihrem Antrag gar nicht! Das fordern Sie nicht! – Zuruf der Abg. Rasha Nasr [SPD] – Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Das sind Ihre Themen, die Sie nicht bearbeitet bekommen. Und das lösen Sie nicht kurzfristig mit mehr Geld, sondern das lösen Sie mit Ordnung, Steuerung und Begrenzung von Migration.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie aber waren diejenigen, die in diesem Sommer das Wort „Begrenzung“ aus § 1 des Aufenthaltsgesetzes gestrichen haben. Sie wollen keine Lösung.
Erlauben Sie die Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich.
Lieber Herr Frei, wir sind uns ja einig – ich habe das hier ausführlich gesagt –, dass die Strukturen nicht ausreichend sind. Und ich habe gerade darauf verwiesen, dass wir sofort Hilfe brauchen, nämlich auch in Form von mehr Geld, damit Strukturen aufgebaut werden können,
(Josef Oster [CDU/CSU]: Das löst aber die Probleme nicht!)
und dass wir darauf vorbereitet sein müssen, dass auch in Zukunft Menschen zu uns kommen werden, die diese Strukturen benötigen.
Ich frage Sie allerdings: Was glauben Sie eigentlich, warum wir diese Strukturen nicht haben? Was haben Sie, Herr Frei, die Union insgesamt, die Innenminister und die Bauminister der Union, zum Beispiel Horst Seehofer, aus der Situation von 2015 gelernt? Haben Sie denn vielleicht gelernt, dass man Richtgrößen einführt, um die Strukturen vorzubereiten?
(Zuruf des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU])
Haben Sie vielleicht gelernt, dass es mehr Kita- und Schulplätze braucht? Haben Sie vielleicht gelernt, dass es mehr sozialen Wohnungsbau braucht, der dann übrigens allen hilft?
(Peter Beyer [CDU/CSU]: Das macht ihr ja nicht!)
Ich habe den Eindruck, Sie haben es nicht gelernt. Sie sagen jetzt: „Haltet den Dieb!“ bei den Versäumnissen, die Sie selbst angerichtet haben. Und darauf können wir heute nur eine Antwort geben: Wir werden weiter an den Strukturen arbeiten. Ja, wir werden auch Rückführungen durchführen; ich habe das erwähnt.
(Josef Oster [CDU/CSU]: Oh!)
Daran führt gar kein Weg vorbei. Wir werden registrieren, wer nach Europa kommt. Ja, selbstverständlich, was denn sonst?
Aber Sie können nicht so tun, als ob die fehlenden Strukturen das Ergebnis der letzten zwei Jahre wären. Sie müssen sich, wenn wir das gemeinsam hinbekommen wollen – und da plädiere ich wirklich an Ihr Verständnis von Demokratie und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft –, an die eigene Nase fassen. Wir müssen gemeinsam Lösungen finden. Das muss auf jeden Fall heißen: Wir müssen Strukturen aufbauen und selbstverständlich auch Ordnung. Aber beides gehört zusammen: Ordnung und Humanität.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Begrenzung!)
Verehrte Frau Göring-Eckardt, ja, Ordnung und Humanität gehören zusammen, das stimmt. Aber ansonsten scheinen Sie nichts verstanden zu haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Antworten Sie doch auf die Frage!)
Werfen Sie mal einen Blick in den Bundeshaushalt! Da steht drin, dass wir in den letzten Jahren Jahr für Jahr etwa 25 Milliarden Euro für das Thema Migration aufgewendet haben. Es gibt kein zweites Land auf der Erde, das so viel zur Bekämpfung der Migration, zur Ordnung der Migration, zur Aufnahme von Schutzbedürftigen, zur Bekämpfung von Fluchtursachen ausgibt wie Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich will es Ihnen ganz klar sagen: Nein, ich bestreite die Versäumnisse, die Sie ansprechen. Ich bin der Auffassung, dass wir nicht jährlich zwischen 400 000 und 700 000 Menschen im Wege der humanitären Migration in Deutschland aufnehmen können, und deswegen kann man dafür weder Strukturen schaffen, noch wäre das wünschenswert.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Beschäftigen Sie sich mit der Realität! Es geht nicht darum, dass wir uns nur mit diesem einen Thema beschäftigen,
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun Sie doch!)
sondern es geht darum, dass wir auch für die Aufnahmegesellschaft in Deutschland und die Aufnahmegesellschaften in Europa Verhältnisse schaffen, in denen Integration möglich ist und es nicht zum Ausbilden von Parallelgesellschaften kommt. Das wäre die Folge Ihrer Politik, und das lehnen wir ab.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deswegen wird es auf der Basis Ihrer Vorschläge mit Sicherheit keine Verständigung mit uns geben können.
(Beifall bei der CDU/CSU – Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben Sie sich geoutet, Herr Frei!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung tut exakt das Gegenteil von dem, was notwendig wäre. Die Innenministerin hat die Chuzpe, sich hierhinzustellen und zu sagen, sie hätte einen klaren Kurs in der Migrationspolitik. Ja, sie hat einen klaren Kurs, aber in die falsche Richtung, verehrte Frau Faeser.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Leif-Erik Holm [AfD])
Was haben Sie in Ihrer Regierungszeit denn gemacht? Sie haben ein Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber geschaffen. Sie führen nicht zurück; die Zahlen sind so niedrig wie nie zuvor. Sie ermöglichen den Spurwechsel. In zwei Jahren haben Sie die Sozialleistungen um 25 Prozent erhöht.
(Zuruf des Abg. Dr. Gottfried Curio [AfD])
Sie machen immer das Gegenteil von dem, was notwendig ist. Und jetzt spekulieren Sie noch darüber, dass Sie zwar nicht jetzt, aber in Zukunft den Familiennachzug erleichtern möchten. Das ist doch das Gegenteil von dem, was notwendig und richtig wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Und dann feiern Sie sich dafür, dass Sie die erste und einzige Innenministerin wären, die jemals auf europäischer Ebene an einer Verbesserung der Verhältnisse mitgewirkt hätte. Ich will Ihnen sagen: Es ist ein magerer Kompromiss auf europäischer Ebene gewesen, der noch lange nicht europäisches Recht ist. Dieser Kompromiss wäre viel besser gewesen, wenn Sie nicht beteiligt gewesen wären, Frau Faeser.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])
Sie sind der Grund dafür, warum es keine bessere Verständigung auf europäischer Ebene gegeben hat. Und jetzt tun Sie alles dafür, dass dieser Kompromiss auch noch hintertrieben wird. Das ist das Gegenteil von dem, was notwendig ist.
(Timon Gremmels [SPD]: Selbst nichts hinbekommen!)
Deswegen haben wir mal sehr klar aufgeschrieben, was man jetzt sehr schnell und sehr unmittelbar tun müsste. Jetzt müsste man tatsächlich mehr sichere Herkunftsstaaten schaffen.
(Timon Gremmels [SPD]: Machen wir doch!)
Man müsste mehr Sachleistungen, weniger Geldleistungen gewähren.
(Timon Gremmels [SPD]: Machen wir doch!)
Man müsste dafür sorgen, dass wir den Grenzschutz in Deutschland und in Europa gewährleisten können. Es gibt so viele Möglichkeiten, die Sie umsetzen könnten. Aber Sie können es nicht, Frau Innenministerin. Und weil Sie überfordert sind, stelle ich mir die Frage – nicht nur heute Morgen –: Wo ist eigentlich der Herr Bundeskanzler? Das frage ich mich wirklich.
(Beifall bei der CDU/CSU – Ana-Maria Trăsnea [SPD]: Sie sind überfordert mit Ihrer Rolle als Opposition!)
In einer Krise, wie wir sie jetzt haben, müsste der Bundeskanzler sich doch an die Spitze der Bewegung stellen, zusammen mit Emmanuel Macron, zusammen mit Ursula von der Leyen.
(Timon Gremmels [SPD]: Nebelkerze!)
Aber er hat hier im Deutschen Bundestag keine einzige Rede gehalten, in der er sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hätte. Es gibt keine einzige internationale Verhandlung, die er dazu geführt hätte. Es gibt keinen einzigen politischen Vorstoß des Bundeskanzlers. Der Bundeskanzler ist Schlafwandler, und er delegiert diese wichtige Herausforderung an eine Ministerin, die es ganz offensichtlich nicht kann und mit dem Kopf eher in Wiesbaden als in Berlin ist.
Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Timon Gremmels [SPD]: Entlarvend! – Weitere Zurufe von der SPD)
Der nächste Redner in dieser Debatte ist für die SPD-Fraktion Sebastian Hartmann.
(Beifall bei der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7580539 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 123 |
Tagesordnungspunkt | Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik |