22.09.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 123 / Zusatzpunkt 12

Helge LindhSPD - Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Interessante an dem Fall Aiwanger ist ja, dass bei der Entscheidung, ihn im Amt zu belassen oder ihn zu entlassen, nicht maßgeblich war, was in diesem hassgetriebenen, schier antisemitischen, Holocaust verherrlichenden Pamphlet gestanden hat, sondern dass die Abwägung entscheidend war: Was bringt mehr an der Abstimmungsurne? Das war die maßgebliche Leitlinie der Entscheidung von Herrn Söder.

Ich erlebe gerade, wie dieses Prinzip seitens der Union auf die Migrationspolitik übertragen wird, nämlich darauf zu achten, was wohl schnell den größeren Stimmungsgewinn ergibt, mit der Hoffnung, damit Stimmengewinne bei den anstehenden Landtagswahlen zu erzielen. Ich sage Ihnen: Es wird nicht gelingen. Sie wissen – zumindest viele in Ihren Reihen wissen es genau –, dass dieser neue autoritäre, restriktive Kurs niemals zu Erfolg führen wird.

(Tino Chrupalla [AfD]: Das werden wir ja sehen!)

Wir erleben einen klaren Rechtsruck der Union – das muss man hier mal benennen –, und wir sind Zeuge dessen.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Hoffentlich!)

Selbst Herr Seehofer, der hier ja häufig genannt wurde, warnte uns davor, uns von den überzogenen Forderungen seitens der Unionsfraktion treiben zu lassen; ich erinnere mich noch genau. Nein, er – immerhin – argumentierte für das Malta-Abkommen. Er hatte noch einen Blick für Seenotrettung. Nichts davon hören wir heutzutage mehr aus Ihren offiziellen Reihen. Hinter den Kulissen mag es anders aussehen.

Neben dem Rechtsruck aber ist noch etwas erstaunlich. Dieser Deutschlandpakt der Union zur Migration ist doch nichts anderes als eine „Mogelpackung Migration“ der Union. Er besteht aus Ansatzpunkten und Maßnahmen, die wir aber deutlich detaillierter in der Ampel schon angegangen sind oder noch angehen werden; die Maßnahmen sind angekündigt. Er besteht aus populistischen Maßnahmen, und er besteht aus Scheinlösungen. Das ist Ihr großartiger Deutschlandpakt.

Die Mogelpackung geht noch weiter. Wenn Sie wirklich eine klare alternative Antwort geben wollen, ein anderes Konzept, ein anderes Paradigma vertreten wollen: Warum sagen Sie dann nicht hier in diesem Antrag: „Jawohl, Abschaffung des individuellen Asylrechts, Einschränkung des Refoulement-Verbotes“? Das wäre eine klare Linie: fundamental falsch, aber eine klare Linie. Das finden wir darin aber nicht, ebenso wenig wie die Obergrenze.

Stattdessen finden wir – und das wider besseres Wissen bei Ihnen – die Beschwörung von Grenzkontrollen im Wissen, dass Aushebeln, dass Zurückweisung und Zurückschiebung von Schutzsuchenden eben nicht möglich sind.

Wir finden auch zur Drittstaatenlösung nicht die entscheidenden Details. Macht das Land das mit? Gilt die EMRK? Ist das Land wirklich sicher? Macht die internationale Behörde, zum Beispiel der UNHCR, entsprechende Lösungen mit, was dringend notwendig wäre? All das finden wir nicht.

Fragen Sie sich doch einmal – das zum Schluss –: Gibt es eigentlich eine Union? Was ist die Union? Ist das jetzt die CSU von Söder? Ist es das, was die Bundestagsfraktion hier vorträgt? Oder ist das die Union von Herrn Wüst, die tagtäglich ganz andere Töne äußert, die gegenteilig agiert und die noch für einen Kurs steht, den wir unter Angela Merkel erlebt haben? Haben wir hier zwei Unionen?

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie wollen keinen Deutschlandpakt, oder?)

Gibt es mehrere Kurse Ihrer Partei? Oder ist es womöglich so, dass Sie diese Vielstimmigkeit ganz gut finden, weil man ja damit mehr Stimmen an der Urne abgreifen kann?

Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Kurz gesagt: Wir haben hier keine Lösung von Ihnen, aber wir sehen deutlich einen noch verborgenen fundamentalen Dissens in der Migrationspolitik. Kümmern Sie sich darum! Und reden Sie mal in den eigenen Reihen, was hinter geschlossenen Türen über diesen autoritären Rechtskurs tatsächlich gedacht wird! Wir sehen uns wieder nach den Landtagswahlen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Wir haben noch eine Sitzungswoche dazwischen! Wollen Sie da nicht kommen? Und das mit gerade mal 8 Prozent in Bayern! – Gegenruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr! SPD-Zwerge!)

Der nächste Redner ist der fraktionslose Abgeordnete Robert Farle.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7580544
Wahlperiode 20
Sitzung 123
Tagesordnungspunkt Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik
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