28.09.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 125 / Tagesordnungspunkt 10

Manuel HöferlinFDP - Bewältigung der Massenmigration

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Migrationsdruck auf Europa, vor allen Dingen auf Deutschland, ist hoch, und in letzter Zeit ist er noch weiter gestiegen. Gründe dafür sind einerseits Krisen, Kriege und Konflikte in Europa und in der Nähe – Putins Angriffskrieg in der Ukraine, der Krieg in Syrien, Konflikte in Nordafrika und im Nahen Osten –, aber andererseits sind sie auch hausgemacht, indem bei den ersten großen Flüchtlingswellen ein „Wir schaffen das“ zum Konzept gemacht wurde und die dringend notwendige Ordnung von regulärer und irregulärer Migration nicht vollzogen wurde. Diese Ordnung, mit dem Ziel, irreguläre Migration zu reduzieren

(Beatrix von Storch [AfD]: Illegale!)

und reguläre Migration zu erleichtern und verstärkt zu ermöglichen, haben wir eingeleitet; und das ist auch richtig so, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber wir sind noch lange nicht fertig; denn die Versäumnisse der Vergangenheit wiegen schwer. Die Kommunen sind am Limit, zum Teil sogar schon darüber hinaus. Die gesellschaftliche Akzeptanz für das Grundrecht auf Asyl und den Flüchtlingsschutz nimmt ab, und das ist dramatisch.

(Beatrix von Storch [AfD]: Alles Nazis!)

Gerade im Interesse der tatsächlich verfolgten Menschen müssen wir daher nicht nur die Sorgen in den Kommunen ernst nehmen, sondern die irreguläre Migration muss wirksam und auch schnell begrenzt werden.

Herr Kollege, der Herr Hoffmann würde gern eine Zwischenfrage stellen.

Herr Hoffmann hat noch eine Frage, sehr gut. Bitte schön.

(Daniel Baldy [SPD]: Und er hat auch noch fünf Minuten Redezeit!)

– Und er redet auch noch. Da haben Sie ja heute richtig viel Zeit, Herr Kollege.

Ja, Kollege Höferlin, ich rede nachher noch. Da gibt es auch die eine oder andere Antwort, keine Sorge.

Haben Sie so wenig Redezeit bekommen?

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich bin ganz ehrlich, reden wir ganz offen miteinander: Ich kann diese Kassette „Das ist das Erbe von 16 Jahren Merkel, und das haben wir jetzt auszubaden“ nicht mehr hören, die Sie immer reinschieben. Das ist doch das, was Sie suggerieren, wenn Sie von „Versäumnissen“ reden.

Ich will hier mal klarstellen, dass wir 2015, 2016 eine andere Lage hatten und dass damals die unionsgeführte Bundesregierung gegengesteuert hat mit Maßnahmen wie der Ausweitung der Zahl der sicheren Herkunftsstaaten und dem EU-Türkei-Deal. Überhaupt gab es flächendeckend in Europa ganz andere Vereinbarungen.

Man muss feststellen, dass Sie, diese Ampelregierung, einen ganz anderen Kurs fahren. Sie schaffen es nicht, die Zahl der sicheren Herkunftsstaaten auszuweiten. Der EU-Türkei-Deal ist zum Erliegen gekommen. Wer von Ihnen spricht denn eigentlich noch mit der Regierung Erdogan, damit wir dort wieder zu Ergebnissen kommen? Denn der Schutz der europäischen Außengrenzen wird nur möglich sein, wenn wir die Anrainerstaaten mit im Boot haben.

Hingegen machen Sie ein Sonderaufnahmeprogramm für Afghanistan; das tragen Sie mit. Sie machen ein Fachkräftezuwanderungsgesetz, das an Niedrigqualifizierte adressiert ist. Sie ermöglichen auch noch den Zweckwechsel, den Spurwechsel, das heißt, dass jemand, der unter der Überschrift „Asyl“ ins Land kommt, dann hier bleiben kann, um zu arbeiten. Das tragen Sie mit. Dann stellen Sie sich hierhin und erzählen immer, Sie müssten die Versäumnisse der Vergangenheit beseitigen.

Jetzt setzen Sie dem Ganzen noch die Krone auf und legen ein Staatsangehörigkeitsrecht vor, mit dem Sie die Anforderungen wieder absenken. Das heißt, Sie senden wieder gefährliche Signale in die Welt aus.

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden doch gleich noch!)

Deswegen sage ich Ihnen: Hören Sie auf, immer von Vergangenheitsversäumnissen zu reden! Nehmen Sie mal Ihre eigene Verantwortung an,

(Zuruf von der SPD: Frage!)

und hören Sie auf, diesen liberalen Zuwanderungskurs mitzutragen!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Präsidentin, um die acht bis zehn Fragen zu beantworten, bräuchte ich jetzt 15 bis 20 Minuten.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Stephan Thomae [FDP] und Clara Bünger [DIE LINKE])

Das ist nicht möglich.

Die stehen mir wahrscheinlich nicht zu. Ich versuche, mich auf einige wenige Punkte zu konzentrieren.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Fangen Sie doch mal an!)

Ja, Sie hatten 2015 eine andere Situation.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Die wir bewältigt haben!)

Wir haben nämlich noch zusätzlich 1,2 Millionen Ukraineflüchtlinge. Die hatten Sie damals nicht.

Ja, Sie haben reagiert, und Sie hatten sechs Jahre Zeit, Weichen zu stellen, dass, wenn wieder so etwas passiert, Deutschland besser aufgestellt ist. Das haben Sie versäumt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU] und Alexander Throm [CDU/CSU])

Ja, Sie haben Abkommen mit der Türkei geschlossen; diese wirken bis heute fort. Ich halte es trotzdem für einen gefährlichen Punkt, mit einem Menschen wie Erdogan auf Dauer Deals zu schließen.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Wir haben früher mit Libyen Vereinbarungen gehabt, Herr Kollege!)

Trotzdem werden wir auch in Zukunft mit der Türkei Abkommen schließen müssen.

(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Davon hört man gar nichts!)

Dafür gibt es einen Migrationsbeauftragten,

(Philipp Amthor [CDU/CSU] und Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Von dem hört man gar nichts! – Gegenruf des Abg. Marc Henrichmann [CDU/CSU]: Noch weniger als von Scholz selber!)

dafür gibt es Gespräche in der Europäischen Union, und das ist auch gut so.

Ich würde gerne noch auf alle weiteren Punkte antworten, gehe aber in meiner Rede noch auf ein paar Punkte ein. Ich glaube, allein diese Punkte machen klar: Sie standen vor acht Jahren vor einer deutlich weniger dramatischen Situation, haben in Ihrer Regierungszeit aber nichts daraus gemacht, um Deutschland für die Zukunft besser aufzustellen.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: EU-Türkei-Abkommen! – Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das EU-Türkei-Abkommen ist doch am Ende kläglich gescheitert!)

Und deshalb tut es möglicherweise weh, dass Sie immer wieder davon hören, dass Herr Seehofer in seiner Regierungszeit als Innenminister viel zu wenig auf den Weg gebracht hat,

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Faktische Obergrenze hatten wir! – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Was ist denn mit dem EU-Türkei-Abkommen? Mein Gott! Was für ein parteipolitisches Brett vor dem Hirn!)

dass Sie strukturell nichts auf den Weg gebracht haben, um uns besser vorzubereiten,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und dass wir das nun auslöffeln müssen. Dessen nehmen wir uns an, weil wir Regierungsverantwortung tragen. Aber Sie können sich dem nicht entziehen, dass wir immer wieder erwähnen, dass wir in Deutschland auf strukturelle Probleme stoßen, die Sie verursacht haben und die wir jetzt lösen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Was hat der Stamp denn gebracht bisher? Nix!)

Anders als im vorliegenden Antrag beschrieben, wird es aber nicht gelingen, die Probleme zu lösen, indem wir die Länder aus der Pflicht entlassen, meine Damen und Herren. Eine Zusammenarbeit mit den Ländern ist in einem föderalen System unabdingbar. Wir haben nun mal kein zentralistisches System in Deutschland, wie es sich die rechtsnationalen Kolleginnen und Kollegen wünschen. Das hatten wir früher einmal. Das ist damals schon nicht gut gegangen, und deswegen sollten wir davon absehen.

Mehr Kompetenzen für die Bundespolizei bei der Rückführung zu schaffen, macht durchaus Sinn. Auch wir haben solche Ideen eingebracht, um klare Zuständigkeiten zu schaffen,

(Josef Oster [CDU/CSU]: Aber ihr seid doch in der Regierung! Macht es doch!)

aber nicht, um die Länder aus der Pflicht zu entlassen, wie es Ihr Antrag vorsieht.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Aber im Polizeigesetzentwurf steht davon nix!)

Auch der Punkt, das Bundespolizeigesetz in Stücke zu rupfen, um diese dann vielleicht einzeln im Bundesrat durchzukriegen, wird, glaube ich, der Situation nicht gerecht – im Gegenteil. Und wer glaubt, mit solchen Vorschlägen die Probleme zu lösen, der hat, glaube ich, den Ernst der Lage einfach nicht verstanden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Peggy Schierenbeck [SPD])

Die Bundesministerin des Innern, die gesamte Bundesregierung und auch die ganze Koalition reagieren mit einer Fülle von Maßnahmen, meine Damen und Herren. Wir wollen das Asylsystem durch Migrationsabkommen und Ausweitung der Zahl sicherer Herkunftsländer entlasten; das sind zwei Seiten einer Medaille. Georgien und Moldau sind hier nur der Anfang. Es ist auf den Weg gebracht. Wir brauchen geregelte Verfahren, in denen beides zusammenwirkt: das Migrationsabkommen und die Definition von sicheren Herkunftsländern.

Wir wollen die Kommunen mit einem beschleunigten Asylverfahren entlasten. Mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren sind bereits erste Fortschritte erzielt, und jetzt gilt es, dort den Missbrauch noch besser zu verhindern.

Wir wollen Rückführungen besser durchsetzen. Dazu müssen einerseits die Länder im Vollzug besser werden – die dürfen wir auch da nicht aus der Pflicht lassen –, und andererseits sollte der Ausreisegewahrsam, wie von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen, auf 28 Tage verlängert werden.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ja, macht es doch mal! Das ist doch alles beschlossen! Machen! Das ist doch absurd, uns zu erklären: „Man müsste mal“! Macht doch!)

Wir wollen die Schleuserkriminalität bekämpfen – auch das ist wichtig –, indem wir den Fahndungsdruck erhöhen. Dazu gehört, die Ausweisungen von Schleusern zu erleichtern, die erforderlichen Kapazitäten bei der Bundespolizei auszubauen und die Zuständigkeit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex für die Bekämpfung der Schleuserkriminalität auszubauen.

Wir werden auch die Prüfung von Asylanträgen in Drittstaaten ermöglichen. Ich halte das für wichtig. Es muss die Möglichkeit geschaffen werden, den Schutzstatus auch in Drittstaaten festzustellen. Die rechtlichen Anforderungen müssen, wie es der Koalitionsvertrag explizit vorsieht, zügig geklärt werden.

Vor allen Dingen aber werden wir auch die historische Chance beim Gemeinsamen Europäischen Asylsystem nutzen. Wir ergreifen die vermutlich einmalige Chance, jetzt in Europa ein Asylsystem für ganz Europa zu etablieren.

(Beatrix von Storch [AfD]: Das wurde doch blockiert von Ihrem grünen Koalitionspartner!)

Ich halte es schon für eine sehr mutige Aussage, die hier vorhin getroffen wurde, zu sagen: Man kann das nicht in Europa lösen. – Ja, wo denn sonst, wenn wir in Europa keine Binnengrenzkontrollen haben wollen?

Selbstverständlich wollen wir das nicht; denn es ist eine Riesenerrungenschaft, dass wir innerhalb Europas keine nationalen Grenzkontrollen mehr haben. Meine Kinder verstehen überhaupt nicht, warum man, wenn man nach Frankreich oder Polen will, an einer Grenze anhalten muss, und ich will, dass sie das auch in Zukunft nicht verstehen müssen. Deswegen: Es gibt andere Verfahren, zu denen mein Kollege später noch ausführen wird.

(Beatrix von Storch [AfD]: Ja, aber die mit den Grenzen haben überhaupt keine Probleme!)

Dieses Gemeinsame Europäische Asylsystem ist ein Meilenstein. Wenn wir das jetzt nicht schaffen, wann dann? Es bringt mehr Ordnung in der Migrationspolitik. Es hilft, Schritt für Schritt die irreguläre Migration zu reduzieren und die reguläre zu vereinfachen, und es hilft, Schritt für Schritt die Kommunen zu entlasten und mit den Versäumnissen der Vorgängerregierung aufzuräumen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7591081
Wahlperiode 20
Sitzung 125
Tagesordnungspunkt Bewältigung der Massenmigration
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