12.10.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 128 / Zusatzpunkt 8

Rasha NasrSPD - Einführung einer Bezahlkarte - Sachleistungsprinzip

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte schon gehofft, dass nach den Landtagswahlen am Wochenende endlich Schluss ist mit diesen Symboldebatten.

(Zuruf des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU])

Ich hatte gehofft, dass wir uns alle konstruktiv an der Problemlösung beteiligen; denn klar ist, dass diese Herausforderungen nur Bund, Länder und Kommunen gemeinsam schaffen können.

Leider erleben wir aber heute wieder das Gegenteil von konstruktiver Arbeit. Warum? Weil Sie es sich meiner Meinung nach zu leicht machen. Ihr Grundfehler ist: Sie behaupten, Menschen kämen allein wegen der Geldleistungen nach Deutschland.

(Jörg Schneider [AfD]: Medizinische Versorgung ist auch ein Grund!)

Entscheidend für Migration sind aber vor allem der Aufenthaltsort von Freunden, der Familie, der eigenen Community sowie die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und die Möglichkeit, in Frieden und Demokratie zu leben. Menschen fliehen vor Krieg. Sozial- und asylpolitische Detailregelungen spielen aufgrund des fehlenden Wissens darüber bei den Betroffenen gar keine Rolle. Es tut mir leid, Sie zu enttäuschen, liebe Union, aber diese Debatte gerade wird nicht gebannt vor afghanischen Fernsehbildschirmen verfolgt, und die durch das jüngste Erdbeben obdachlosen Menschen wägen jetzt nicht ab, ob sie nach Deutschland kommen oder nicht. Im Übrigen finden Sie die meisten geflüchteten Syrer in der Türkei und die meisten geflüchteten Afghanen in Pakistan oder in Turkmenistan, und das nicht, weil diese Länder so tolle Pull-Faktoren haben, sondern weil es geografisch und familiär für diese Menschen einfach sinnvoller ist, dorthin zu gehen, als nach Deutschland zu kommen. Auch unsere im Vergleich zur Ukraine schleppend vorangeschrittene Digitalisierung hat diejenigen Ukrainer, die nun bei uns sind, nicht davon abgehalten, zu uns zu kommen. Sie merken also: Wenn Bomben fallen, wenn Verfolgung und Haft oder der Hungertod drohen, dann ist es Menschen relativ egal, welche Detailregelungen wir hier wieder getroffen haben.

Und Sie wissen ganz genau, dass es hier nicht um bundesgesetzliche Regelungen geht. Länder und Kommunen haben bereits jetzt die Möglichkeit, Sachleistungen auszugeben. Nur hat das bisher niemand so wirklich umgesetzt. Und warum? Weil es eben schwer umzusetzen ist.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Ja, deswegen die Bezahlkarte!)

Ihr Antrag scheitert bereits daran, dass eine überwältigende Mehrheit der Praktiker, die sich vor Ort um die Migrationsverwaltung kümmern müssen, gegen diesen Vorschlag ist. Ihre eigenen Leute, die in Verantwortung sind, teilen unsere Bedenken, wenn es um Bezahlkarten geht. Die nordrhein-westfälische Landesregierung unter CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Innenminister Herbert Reul spricht von einem – Zitat – „unverhältnismäßigen Eingriff in die Ausübung der persönlichen Lebensgestaltung sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“.

(Helge Lindh [SPD]: Hört! Hört!)

Das heißt übersetzt für Sie, liebe Union, dass das Bundesverfassungsgericht eine derartige Regelung wahrscheinlich sowieso wieder einkassieren würde.

Statt dieses Antrags könnten Sie also die acht Innenminister der Union in den Ländern fragen, warum sie die Möglichkeit nicht ausschöpfen, das Sachleistungsprinzip umzusetzen. Dann bekommen Sie sicherlich die Antwort, dass der finanzielle, administrative und personelle Aufwand zu groß ist. Sie, liebe Union, die Sie so gerne von Bürokratieabbau sprechen, wollen, dass die überlasteten Kommunen sich jetzt auch noch um Dienstleistungen wie Friseurbesuche kümmern müssen.

Lassen Sie uns doch stattdessen an pragmatischen Lösungen arbeiten, von denen die Kommunen wirklich etwas hätten, etwa dem schnelleren Arbeitsmarktzugang.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch Gerd Landsberg, Ihr Parteimitglied, fordert im Namen der Kommunen, dass die Arbeitsverbote für Geflüchtete endlich fallen, und das ist richtig so. Das werden wir als Ampel auch umsetzen. Ich lade Sie herzlich ein, konstruktiv daran mitzutun. Denn damit schaffen wir wirkliche Verbesserungen für die Kommunen, die dann massiv entlastet würden, und für unsere Unternehmen, die händeringend nach Arbeitskräften suchen, aber vor allem für die Geflüchteten, die dann auf eigenen Beinen stehen könnten. Geflüchtete Menschen sehnen sich danach, sich um sich selbst kümmern zu können. Das Festhalten an Arbeitsverboten wäre also wirtschaftsfeindlich, wohlstandsgefährdend und wachstumshemmend.

Lassen Sie uns dieses Schauspiel bitte endlich beenden. Die Lage in unseren Kommunen, für unsere Wirtschaft und insbesondere für die Geflüchteten, die es zu uns geschafft haben, ist viel zu ernst, um jetzt nicht an pragmatischen Lösungen zu arbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7601850
Wahlperiode 20
Sitzung 128
Tagesordnungspunkt Einführung einer Bezahlkarte - Sachleistungsprinzip
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