13.10.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 129 / Tagesordnungspunkt 6

Jens TeutrineFDP - Auswirkungen von Zuwanderung auf die Sozialsysteme

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir den Antrag der AfD heute Morgen durchgelesen und bin über einen Satz gestolpert. Der lautete wie folgt:

„Ohne entsprechende Zahlen ist eine seriöse Diskussion über die Sicherung der Sozialsysteme durch Zuwanderung nicht möglich.“

Sie haben in dieser Debatte bewiesen: Es gibt auch eine andere Möglichkeit, wie eine seriöse Diskussion nicht möglich ist. Man schaut sich die Zahlen der Studien, die es gibt, erst gar nicht an. Es gibt nämlich durchaus Zahlen, die sehr beeindruckend sind.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Nehmen wir zum Beispiel mal die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW. Die haben festgestellt, dass unsere Innovationskraft in Deutschland maßgeblich von Einwanderung abhängt. Nimmt man die Patentanmeldungen von 2019 und rechnet die Patentanmeldungen von Menschen mit Migrationshintergrund raus, wäre die Zahl der Patentanmeldungen sogar gesunken. Wir hätten weniger Patentanmeldungen. Einwanderung schafft also Innovationskraft.

Nehmen wir eine andere Studie, die herausgefunden hat, dass bei sechs von zehn deutschen Start-ups, die in der Milliardenbewertung liegen, ein migrantischer Gründer dabei ist.

Und wir müssen doch nicht nur über die High Performer reden, die ganz viel für unser Land erreichen; der Kollege Birkwald hat es richtig angesprochen. Nehmen Sie die Generation der Gastarbeiter, die zur Produktivität und zum Wirtschaftswachstum beigetragen hat,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Deutschland aufgebaut hat!)

in ganz vielen Jobs, bei denen andere sich manchmal auch zu fein waren, sie zu leisten, heute auch in der Pflege oder in der Gastronomie. Wir sind auf Einwanderung angewiesen, allein aufgrund des demografischen Wandels.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Und deswegen: Es gibt eine konservative Lebenslüge, und die konservative Lebenslüge, Deutschland sei kein Einwanderungsland – das habe ich gerade erklärt –, ist falsch. Deutschland ist ein Einwanderungsland.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber – das hat der Kollege Strengmann-Kuhn zu Recht bemerkt – wir sollten nicht alles in einen Topf werfen. Es gibt auch so manche linke Lebenslüge, die hier im Parlament immer wieder vorgetragen wird, nämlich dass es eine unkontrollierte Einwanderung geben dürfe.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!)

Das darf aber nicht sein.

(Widerspruch der Abg. Heidi Reichinnek [DIE LINKE])

Ja, es ist richtig: Menschen fliehen aufgrund von Krieg, aufgrund von politischer Verfolgung, und sie sollen den Schutz bekommen, den sie verdienen. Es gibt diejenigen, die in den Arbeitsmarkt einwandern; es gibt aber auch irreguläre Migration.

(Beatrix von Storch [AfD]: Illegal!)

Und wenn man möchte, dass es in der Gesellschaft eine hohe Akzeptanz für reguläre Einwanderung gibt, wenn man möchte, dass der Staat und unsere Gesellschaft aufnahmefähig sind und Schutz gewähren für diejenigen, die ihn benötigen, dann muss man auch Antworten bei irregulärer Migration bieten und sie wirksam bekämpfen. Ich glaube, das gehört genauso dazu.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nehmen wir die Zahlen. Ich habe jetzt sehr positive Entwicklungen angesprochen. Es gibt auch einige Zahlen, die trügen, wie man feststellt, wenn man sie sich genauer anguckt, nämlich aus der Statistik zu Kindern im Bürgergeldbezug seit 2015: Seit 2015 – zur Erinnerung: da hat die Union regiert und die Migrationspolitik verantwortet –, seit dieser Zeit sind zwar über 500 000 Kinder mit deutscher Staatsbürgerschaft aus dem Bürgergeldbezug rausgekommen, weil ihre Eltern Arbeit gefunden haben und sich in den Arbeitsmarkt integrieren konnten; aber gleichzeitig ist die Zahl von Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, aber auch die Zahl von Menschen aus anderen Asylbewerberländern gewachsen. Früher, 2015, lag der Anteil von Kindern mit ausländischer Staatsbürgerschaft im Bürgergeldbezug bei 19 Prozent; jetzt sind wir bei 48 Prozent. Das ist auch eine Wahrheit, die zu den Zahlen dazugehört. Der Bundesfinanzminister hat es in der Debatte um die Kindergrundsicherung angesprochen.

Ich glaube, das bloße Zitieren von Statistiken sollte nicht zur Empörung führen, sondern man sollte sich die Frage stellen: Was ist die richtige Antwort darauf? Und die Antwort der Freien Demokraten lautet, dass die Armut der Kinder viel zu häufig weitervererbt wird, dass sich beispielsweise Armut verfestigt, wenn man nicht gut in den Arbeitsmarkt integriert. Und bei Menschen im Bürgergeldbezug scheitert es nicht daran, dass sie nicht arbeiten dürfen – sie dürfen arbeiten –, sondern es scheitert beispielsweise daran, dass wir einen zu starken Fokus auf die Sprachkurse legen, viel zu lange nur beim Spracherwerb ansetzen, anstatt es parallel zu machen und die Menschen schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Es scheitert daran, dass es zu wenig Sprachkurse für Mütter gibt, die zum Beispiel abends oder mit Kinderbetreuung stattfinden. Und es scheitert daran, dass unsere Qualifizierungsmaßnahmen nicht immer die besten sind. Das heißt für uns Freie Demokraten: Nicht höhere Sozialleistungen helfen, sondern eine bessere Integration in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt. Das gehört genauso zur Wahrheit dazu wie die Tatsache, dass Einwanderung Innovation in unserem Land schafft.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD] und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deswegen wird die Koalition diese Linie halten. Die Linie heißt: Wir brauchen mehr reguläre Migration, wir gewähren denjenigen Schutz, die eines Schutzes bedürfen, aber wir müssen auch wirksamer gegen irreguläre Migration vorgehen.

Herr Kollege.

Das ist die Linie der FDP. Ich hoffe, die Koalition setzt das auch so um.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Kollegin Dr. Tanja Machalet hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7602070
Wahlperiode 20
Sitzung 129
Tagesordnungspunkt Auswirkungen von Zuwanderung auf die Sozialsysteme
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