18.10.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 130 / Zusatzpunkt 1

Benjamin Strasser - Aktuelle Stunde: Verherrlichung von Terror unterbinden - Antisemitismus bekämpfen

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit vergangenem Samstag erreichen uns unfassbare Bilder aus Israel. Unschuldige Männer, Frauen, Kinder wurden hingerichtet, vergewaltigt, erniedrigt, gedemütigt, darunter im Übrigen auch Überlebende der Shoah. Über 1 200 Menschen wurden an einem einzigen Tag ermordet. Ich kann diese Bilder gar nicht in Worte fassen.

Ich möchte an dieser Stelle auch an die Menschen denken, die von der Hamas in den Gazastreifen entführt worden sind, darunter auch Shani Louk, eine junge Frau mit deutschem und israelischem Pass, die Familie in meinem Wahlkreis, in Ravensburg, hat. Mir ist es ein Bedürfnis, den Familien zu versichern: Wir sehen eure Verzweiflung. Wir sehen euren Schmerz. Deswegen wird die Bundesregierung gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern in Israel alles Menschenmögliche tun, diese Menschen aus der Haft der Hamas zu befreien.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU])

Die Hamas trägt die alleinige Verantwortung. Es darf keinen Zweifel geben, an welcher Seite unser Land steht: an der Seite von Israel. Nicht nur, weil wir aufgrund unserer eigenen Geschichte eine besondere Verantwortung für dieses Land haben, nicht nur, weil Israel ein Wertepartner und die einzige parlamentarische Demokratie im Nahen Osten ist, sondern auch, weil Israel das einzige Land auf der Welt ist, wo Jüdinnen und Juden sichergehen können, dass sie geschützt werden, dass sie offen und frei ihre jüdische Identität leben können. Dieser sichere Zufluchtsort ist durch die Hamas massiv bedroht worden.

Deswegen lohnt es sich auch, einmal selbstkritisch eine Analyse vorzunehmen, wie es eigentlich um Deutschland als einen sicheren Ort für Jüdinnen und Juden bestellt ist. Die bittere Wahrheit ist, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland nicht zu jeder Tageszeit und nicht immer geschützt sind. Deutschland ist kein sicherer Ort für jüdisches Leben. Angst ist ein Alltagsbegleiter für Jüdinnen und Juden in Deutschland, seit vielen Jahren im Übrigen. Es gibt Menschen, die sich nicht trauen, eine Kippa zu tragen, Menschen, die sich nicht trauen, offen einen Davidstern zu zeigen.

Aber das, was wir jetzt erleben, sprengt jede Dimension von Antisemitismus, die wir in Deutschland in den letzten Jahren gekannt haben. In Neukölln werden verbotene Versammlungen abgehalten, Süßigkeiten verteilt, um die Gräueltaten der Hamas zu feiern, antisemitische Parolen wie „Intifada bis zum Sieg!“ gerufen. In Neukölln wurde ein Paar mit Feuerwerkskörpern beschossen, weil es Hebräisch gesprochen hat. An vielen Orten in Deutschland wurden israelische Flaggen von Rathäusern heruntergerissen, vernichtet, gar verbrannt. Auf Überreste der Berliner Mauer wurden Hakenkreuze geschmiert sowie der Satz „Kill Juden!“. In Berlin wurden Wohnungen jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Davidstern markiert, um sie zum Ziel von Antisemitismus zu machen. Und heute Nacht wurde in der Straße, in der ich lebe, hier in Berlin, in der Brunnenstraße, die Synagoge mit Molotowcocktails beworfen. Und deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss man es mal so deutlich sagen: Es reicht!

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Trotz offenkundig vieler Bemühungen aller demokratischen Parteien in den letzten Jahren, trotz vieler Maßnahmen ist es uns nicht gelungen, den Antisemitismus in Deutschland wirksam in die Schranken zu weisen. Deswegen ist für die Bundesregierung klar: Wir wollen noch entschlossener handeln als in der Vergangenheit.

(Beatrix von Storch [AfD]: Noch entschlossener?)

Aber um das zu tun, muss man die Fehler der Vergangenheit – – Frau von Storch, ich würde Ihnen empfehlen, dass Sie am ruhigsten sind. Ihre Fraktion, die von „Schuldkult“ spricht, die antisemitische Verschwörungstheorien an dieses Pult hier trägt, die sollte in dieser Debatte ganz still sein, Frau von Storch.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Martin Hess [AfD]: Unverschämtheit!)

Klar ist, dass in der Vergangenheit zu oft über den Antisemitismusvorwurf als solchen debattiert worden ist und nicht über den Antisemitismus in unserem Land. Wir brauchen einen 360-Grad-Blick. Während deutsche Feuilletons in der Vergangenheit oft und gerne darüber philosophiert haben, ob es so etwas wie israelbezogenen Antisemitismus überhaupt gibt, fand er auf deutschen Straßen statt, liebe Freundinnen und Freunde.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich ist es so, dass es verfestigten Antisemitismus in muslimischen Communitys in Deutschland gibt, im Übrigen nicht erst seit dem Jahr 2015, sondern schon seit vielen Jahren.

(Martin Hess [AfD]: Seit Jahrzehnten! – Beatrix von Storch [AfD]: Das ist ja mal ein Erkenntnisgewinn!)

Diese Analyse muss dazu führen, dass auch wir als Bundesregierung noch entschiedener und entschlossener gegen Antisemitismus vorgehen. Und das tun wir beispielsweise mit dem Bundesinnenministerium. Nach jahrelangen Debatten zu einem Hamasverbot, nach jahrelangen Debatten zu einem Verbot von Samidoun handelt diese Regierung und hat diese Organisationen verboten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gehen jetzt – wie auch schon vor diesen Ausfällen – an das Staatsangehörigkeitsrecht ran und stellen rechtlich noch mal ganz klar: Wer Antisemit ist, wird zukünftig nicht Deutscher werden können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir begrüßen es als Bundesregierung, dass auch die Länder entschlossener gegen verbotene Versammlungen vorgehen. Wir begrüßen es, dass die Länder den Schutz jüdischer Einrichtungen in den letzten Tagen erhöht haben.

Aber lassen Sie mich zum Schluss auch noch mal sagen: Der Instrumentenkasten des Strafrechts, er ist gefüllt: Wer Molotowcocktails auf Synagogen wirft, macht sich strafbar.

(Beatrix von Storch [AfD]: Echt?)

Wer jüdische Menschen angreift, weil sie jüdisch sind, macht sich strafbar. Wer offen die Hamas feiert für ihre Taten in Israel, der macht sich in Deutschland strafbar. Jetzt ist weniger die Zeit für die Frage nach einer Reform des Strafgesetzbuches, sondern eher für die Frage, wie wir sicherstellen können, dass es tatsächlich zu Anklagen kommt; denn wir stellen fest, dass viele Jüdinnen und Juden in Deutschland Straftaten gar nicht mehr anzeigen, weil die Anzeigen im Sande verlaufen. Deswegen hat der Bundesjustizminister sehr frühzeitig jetzt auch das Gespräch mit den Länderkolleginnen und -kollegen aufgenommen, damit ganz klar ist: Die Ermittlungen wegen solcher Taten können nicht aus Opportunitätsgründen eingestellt werden, sondern wenn antisemitische Straftaten beweisbar, nachweisbar sind, muss auch konsequent angeklagt werden.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gäbe noch viel zu berichten an Maßnahmen, die wir ergreifen werden; ich glaube, die Bundesfamilienministerin wird dazu auch noch ausführen. Mir ist zum Schluss eine Botschaft wichtig: Es gibt ein wunderbares jüdisches Lied, dass man an Pessach singt, „Vehi Sheamda“. In dem Lied „Vehi Sheamda“ geht es darum, dass Jüdinnen und Juden in allen Jahrhunderten unserer Menschheitsgeschichte verfolgt wurden, dass es in allen Jahrhunderten unserer Menschheitsgeschichte Gruppen gab, die versucht haben, jüdisches Leben zu vernichten, doch selbst in Zeiten größter Bedrohung und Bedrängnis hat Gott seine schützende Hand über Jüdinnen und Juden gehalten. Und auch jetzt werden Jüdinnen und Juden weltweit und auch hier in Deutschland dieser Bedrohung trotzen. Aber es soll klar sein, dass sie nicht alleine sind. Wir stellen uns als nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft an ihre Seite. Wir wollen, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder möglich wird, dass jüdisches Leben sichtbarer wird. Und deswegen gilt, dass wir mit neuer Entschlossenheit diese großen Herausforderungen, die vor uns liegen, angehen. Dabei bitte ich auch Sie als Parlament um Ihre Unterstützung.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7602144
Wahlperiode 20
Sitzung 130
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Verherrlichung von Terror unterbinden - Antisemitismus bekämpfen
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