18.10.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 130 / Zusatzpunkt 1

Lars CastellucciSPD - Aktuelle Stunde: Verherrlichung von Terror unterbinden - Antisemitismus bekämpfen

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist jetzt bereits in vielen Reden dem Entsetzen Ausdruck verliehen worden, das uns befällt beim Anblick der Bilder aus Israel und der Brutalität dort. Der Hass, das, was Menschen einander anzutun bereit sind, lässt uns fast fragen, ob es so etwas wie Fortschritt überhaupt gibt, ob unsere Anstrengungen für ein friedliches Miteinander in der Welt am Ende vergeblich sind. Doch Krisen führen auch zusammen. Freundschaft, Solidarität, Zusagen wie „Das Existenzrecht Israels ist deutsche Staatsräson“ müssen sich beweisen, wenn es ernst ist, und das ist der Fall. Ich danke dem Bundeskanzler, dass er dies nicht nur hier im Haus, sondern auch mit seinem Besuch in Israel so deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Wir stehen an der Seite Israels. Das gilt.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marlene Schönberger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Christoph Meyer [FDP])

Ich danke auch für den Einsatz für humanitäre Hilfe, konkret für Wasser, Nahrung, Medikamente. Demokratien haben eine gemeinsame Basis: die Menschenwürde. Das Leben jedes und jeder Einzelnen zählt. Wir müssen alles daransetzen, um das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern.

„Zusammen“ ist auch das Stichwort für die Situation hier in Deutschland. Wir haben nicht nur eine besondere Verbundenheit mit Israel, sondern auch eine besondere Verantwortung für die Menschen jüdischen Glaubens in unserem Land. Dieses Wir sind nicht nur wir Politiker oder die Sicherheitsbehörden, sondern wirklich wir alle in unserem Land. Alle haben ein Recht auf Sicherheit. Alle sollen ohne Angst zur Schule, zur Arbeit oder in ihre Gotteshäuser gehen können. Das muss tatsächlich jedem in Deutschland klar sein, auch jedem, der Deutschland zu seiner Heimat machen will.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Was wir aktuell sehen an Bildern von Versammlungen mitten auf unseren Straßen, von Auseinandersetzungen mit der Polizei im Berliner Brunnenviertel, das ist zutiefst beschämend. Unsere Haltung und Antwort muss unmissverständlich sein. Wir müssen konsequent handeln, auf allen politischen Ebenen: Bund, Länder, die Behörden vor Ort. Null Toleranz für Antisemitismus!

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Petra Pau [DIE LINKE])

Das, was wir jetzt auf den Straßen erleben, was da sichtbar wird, war aber schon vorher in den Köpfen und Herzen dieser Menschen. Deswegen dürfen wir die Diskussion nicht einseitig auf Repression lenken, sondern müssen wir auch darüber reden, wie wir die Köpfe und Herzen dieser Menschen besser erreichen, als uns das in der Vergangenheit gelungen ist.

Berlin ist Schwerpunkt aktueller Auseinandersetzungen. Und in Berlin gehen Shai Hoffmann, ein Sohn israelischer Eltern, und Jouanna Hassoun, die als Kind palästinensischer Flüchtlinge nach Berlin kam, gemeinsam in Schulen. Dort bieten sie Fortbildungen an; sie gehen in den Austausch mit Schülerinnen und Schülern. Shai Hoffmann und Jouanna Hassoun sind Demokratiearbeiter. Wir müssen solche Demokratiearbeit besser unterstützen. Es geht nicht nur um Repression; es geht um Prävention. Deswegen ist das Demokratiefördergesetz eine wichtige Antwort.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Nur ein kleiner Kommentar in Richtung der Kollegen der Union: Sie haben das in der letzten Wahlperiode angehalten, weil Sie an dieser Stelle leider eine Leerstelle haben.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU])

Terroristen wollen spalten, trennen, am Ende gar vernichten. Unsere Aufgabe muss gegen alle Rückschläge, die es natürlich gibt und die wir betrauern, immer wieder die Versöhnung sein. Deswegen müssen wir klar benennen, aus welchen verschiedenen Quellen sich der Antisemitismus speist. Aber wir dürfen das nicht auf eine Weise tun, die ganze Gruppen pauschal stigmatisiert. Ich lasse jetzt einmal den rechten Rand außen vor. Aber ich bin entsetzt, dass Sie, Herr Hoffmann und Frau Connemann, hier und heute grundsätzlich von Migranten und Integration gesprochen haben. Die allermeisten Migrantinnen und Migranten oder Menschen mit Einwanderungsgeschichte in diesem Land arbeiten, während wir hier reden, und kümmern sich um ihre Kinder. Sie sind heute Abend genauso entsetzt, wenn sie den Fernseher anschalten. Hören Sie auf mit solchen Pauschalurteilen!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

Unsere Strategie muss dreierlei leisten: äußerste Konsequenz in der Repression, noch stärkeren Einsatz in der Prävention, aber auch die Arbeit an einem guten Zusammenleben.

Ich will an dieser Stelle auch sagen, dass wir hier Vorbilder sind. Wie um alles in der Welt soll irgendwo Frieden entstehen, wenn wir nicht in der Lage sind, die Konflikte in unserem Alltag auf eine Weise auszutragen, die uns als Demokraten auch auszeichnet, die auch versöhnlich und regelgeleitet ist? Daran müssen wir als Demokratinnen und Demokraten immer wieder arbeiten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sagen Sie das mal Frau Connemann!)

Wir können aus der Geschichte lernen, dass der gesellschaftliche Fortschritt selten kam, weil jemand eine gute Idee hatte, sondern häufig erst entstanden ist, wenn Menschen am Abgrund standen, in den Abgrund geschaut haben und sich dann besonnen haben. Auch wenn wir heute keine Lösung sehen, auch wenn es sich in den nächsten Tagen und Wochen verschärfen wird, dürfen wir nicht aufgeben, Frieden für möglich zu halten; denn nur aus einer solchen Haltung heraus können wir tun, was in unseren Möglichkeiten liegt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7602155
Wahlperiode 20
Sitzung 130
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Verherrlichung von Terror unterbinden - Antisemitismus bekämpfen
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