Friedrich MerzCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union werden in der kommenden Woche zu einem Zeitpunkt zusammentreten, an dem diese Europäische Union erneut vor einer großen Bewährungsprobe steht. An gleich zwei Orten in unserer weiteren Nachbarschaft toben entsetzliche Kriege. So unterschiedlich sie beide sind, so haben sie doch eines gemeinsam: Der russische Staatsterror gegen die Ukraine und der islamistische Terror der Hamas gegen Israel gefährden beide auch unsere Freiheit und das friedliche Zusammenleben der Menschen auch in unserem Land.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Ausgang dieser beiden Kriege wird daher nicht nur für die Ukraine und für Israel, sondern auch für Europa von sehr großer Bedeutung sein. In Israel wie in der Ukraine muss der Beweis erbracht werden, dass sich Demokratien und freiheitliche Rechtsstaaten auch im 21. Jahrhundert noch erfolgreich gegen Krieg und Terror zur Wehr setzen und dass sie ihre freiheitliche Ordnung erfolgreich verteidigen können. Das sind genau die Gründe dafür, dass der Schutz Israels und der Sieg der Ukraine auch in unserem nationalen wie in unserem gemeinsamen europäischen Interesse liegen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Herr Bundeskanzler, Sie haben den Krieg in der Ukraine angesprochen. Putin setzt darauf, dass wir müde und nachlässig in unserer Unterstützung für die Ukraine werden. Er setzt darauf, dass die Demokratien des Westens über die Zeit schwächer werden als sein eigenes autokratisches und imperiales Herrschaftssystem. Vom Europäischen Rat muss deshalb ein sehr klares und unmissverständliches Signal ausgehen, dass Putin darauf nicht hoffen darf.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und ich füge hinzu: Es wäre gut gewesen, wenn Sie spätestens heute Morgen der deutschen Öffentlichkeit einmal erklärt hätten, warum Sie immer noch – offensichtlich gegen den Willen Ihrer Koalitionsfraktionen – gegen die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper an die ukrainische Armee sind.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das hätten Sie heute Morgen hier einmal erklären können, nachdem nun auch die amerikanische Regierung entschieden hat, dass sie solche Waffen liefert.
Meine Damen und Herren, besonderen Raum – Sie haben es gesagt – wird in Brüssel der Terrorangriff der Hamas auf Israel einnehmen. Die Gefahr eines Mehrfrontenkrieges gegen Israel ist sehr real. In einem solchen Szenario wäre die Existenz Israels in höchstem Maße gefährdet. Dazu darf es nicht kommen, und deshalb müssen auch von europäischer Seite alle Schritte unternommen werden, um dies zu vermeiden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es war deshalb richtig, dass Sie, Herr Bundeskanzler, und die Außenministerin in den letzten Tagen nach Israel und Sie auch nach Ägypten gereist sind und damit die Solidarität und die Unterstützung unseres Landes für Israel zum Ausdruck gebracht haben. Vielen Dank für diese Reise!
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Es war genauso richtig, dass die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, und die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, bereits in Israel zu Besuch waren. Und es wäre noch besser gewesen, wenn deren beider Besuch nicht aus Brüssel von eifersüchtigen Misstönen anderer hoher Vertreter der EU begleitet worden wäre.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nun muss aus dieser Diplomatie und dieser Unterstützung für Israel auch konkret etwas folgen, und zwar sowohl in der Europäischen Union als auch bei uns in Deutschland.
Bei uns in Deutschland darf es keinen Zweifel daran geben, wo wir stehen. Wir stehen an der Seite Israels, und wir haben dies in der letzten Woche hier im Deutschen Bundestag in seltener Einmütigkeit über alle Fraktionen hinweg zum Ausdruck gebracht. Das muss aber auch morgen und übermorgen noch gelten, wenn dieser Krieg lange dauert, und genau damit müssen wir rechnen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, für das gute Gelingen europäischer Politik ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich von großer Bedeutung. Wir müssen leider feststellen, dass die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden großen Ländern in Europa in den letzten Jahren eher ein loses Nebeneinander als ein gutes Miteinander geworden ist. Wir sind im 60. Jahr des Élysée-Vertrages, und in einem solchen Jahr muss es mehr geben als freundliche Worte zu Feierstunden. Wir brauchen eine neue Dynamik im Verhältnis zu Frankreich, und da reichen die Beschlüsse, die Sie in Hamburg gefasst haben, nicht aus. Und ich will auch sehr deutlich sagen: Es ist keine gute Idee, genau zu einem solchen Zeitpunkt die Goethe-Institute in Bordeaux, in Lille und in Straßburg zu schließen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Das wird in Frankreich wahrgenommen.
Ich will den Blick nach Osten wenden. Mit der Parlamentswahl in Polen am vergangenen Sonntag hat sich ein Fenster, eine neue Gelegenheit für einen Neustart in unseren Beziehungen zu unserem wichtigsten östlichen Nachbarn aufgetan. Polen hat in den zurückliegenden Jahren eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung genommen und ist eine treibende Kraft in der Neuorganisation der europäischen Sicherheitsarchitektur. Polen muss für Deutschland wieder ein Partner ersten Ranges werden. Und die Bundesregierung sollte bereits jetzt, vor der Regierungsbildung, einen umfassenden Vorschlag für eine neue strategische Agenda mit der voraussichtlich neuen polnischen Regierung erarbeiten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielleicht gelingt auch die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks. Das könnte neue Impulse für eine europäische Zusammenarbeit geben. Und das, Herr Bundeskanzler, wäre eine echte Initiative für mehr Zusammenarbeit, gerade mit unseren beiden wichtigsten europäischen Partnern.
Lassen Sie mich noch einen kurzen Blick auf die innenpolitische Lage werfen; denn wir teilen mit vielen europäischen Nachbarn angesichts des Terrors in Israel einige zusätzliche innenpolitische Herausforderungen, etwa durch die offen ausbrechenden Konflikte in unseren Gesellschaften. Wir werden auch in Deutschland tagtäglich – bis gestern Abend und heute Nacht – Zeuge von gewalttätigen Demonstrationen, von verbotenen Kundgebungen, von antisemitischer Hetze, von Aufrufen zur Zerstörung des Staates Israel bis hin zu einem ersten Anschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum hier in Berlin. Wir haben über einige dieser Gewaltausbrüche bereits in der letzten Woche gesprochen. Wenn der Satz richtig ist – und er ist richtig –, dass Judenhass und Zerstörungswut gegen Israel keinen Platz in unserem Land haben dürfen, dann ist jetzt ein hartes Durchgreifen der Polizei und der Justiz angezeigt, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der AfD)
Täuschen wir uns bitte nicht: Europa und seine Mitgliedstaaten stehen in den nächsten Tagen und Wochen möglicherweise vor noch größeren Herausforderungen.
Herr Bundeskanzler – Sie haben es angesprochen; deswegen will ich es gerne aufgreifen –, Sie wissen, dass wir bereit sind, in der Innenpolitik, bei Sachfragen gemeinsam mit Ihnen Verantwortung zu übernehmen. Ich habe Ihnen in der letzten Woche ganz konkrete Vorschläge unterbreitet, wie wir etwa zur Bewältigung der Flüchtlingskrise einen gemeinsamen Weg gehen können. Wir haben von Ihnen bisher keine Antwort auf diese Vorschläge erhalten. Aber wir befinden uns möglicherweise auch in einem etwas längeren Prozess auf der Suche nach gemeinsamen Lösungen.
Sie haben hier heute Morgen einiges angesprochen, so auch die Rückführungsabkommen. Sie hätten durchaus erwähnen dürfen, dass eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste, nämlich das Rückführungsabkommen mit der Türkei, in der Verantwortung Ihrer Vorgängerin verhandelt und abgeschlossen wurde und dieses Rückführungsabkommen zu einem signifikanten Rückgang der Flüchtlingszahlen in Deutschland geführt hat.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie fangen damit nicht erst heute an, sondern haben das bereits in der früheren Regierung gemeinsam auf den Weg gebracht.
Wir werden in den nächsten Tagen und möglicherweise Wochen erneut über Einzelfragen sprechen. Ich wiederhole: Wir stehen bereit, diese Fragen mit Ihnen gemeinsam zu beantworten. Das findet dann allerdings bitte überwiegend im Deutschen Bundestag statt und nicht ausschließlich in den Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Bundesrat. Das findet dann bitte in allen Details, auch die Abstimmungen zu Gesetzesvorhaben, hier statt und nicht etwa in der politischen Prosa von gemeinsamen Beschlusspapieren zwischen Bundeskanzler und Ministerpräsidenten. Das alles ist sehr konkret, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das wird auch sehr konkret in Gesetzgebung abzufassen sein. Wenn wir diesen Weg gemeinsam gehen, dann sind wir natürlich bereit, mit Ihnen Kompromisse zu machen. Aber den gößeren Teil des Wegs müssen Sie in der Koalition gehen; denn Sie tragen die Verantwortung dafür, dass in den letzten Wochen und Monaten die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, derart gestiegen ist.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Christian Dürr [FDP]: Das ist nicht wahr! Genau das ist der Fehler!)
Und Sie tragen die Verantwortung dafür, dass die Gemeinden in Deutschland mittlerweile an der Überforderungsgrenze angekommen sind und sie teilweise überschritten haben. Diesen Weg können wir gehen, wir sind dazu bereit.
(Zuruf von der SPD: Das ist eine Frechheit! Das kann nicht sein!)
– Also, wenn Sie diese Zwischenrufe fortsetzen, dann bin ich gerne bereit, Ihnen aus dem sogenannten Liebe-Freunde-Brief vorzulesen, den zwei Funktionsträger Ihrer Fraktion gestern an die „lieben Genossinnen und Genossen der SPD-Bundestagsfraktion“ geschrieben haben. Da ist mit keinem Wort von Zusammenarbeit die Rede. Da steht nur wieder einmal, dass wir uns in der Union angeblich auf die AfD zubewegen.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Anke Hennig [SPD]: Das stimmt ja auch! Das ist auch wahr! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Unglaublich!)
– Herr Trittin, Sie können gerne in diesem Jargon, in dem dieser Brief geschrieben ist, weitermachen. Das geht dann allerdings zu Ihren Lasten. Passen Sie auf! Dann ist die endgültige Formel in diesem Haus: 14 plus 14 plus 4 gleich 32. Das können Sie haben, wenn Sie in diesem Stil weitermachen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)
Die Wählerinnen und Wähler werden spätestens in zwei Jahren darauf eine Antwort geben, meine Damen und Herren. Machen Sie einfach so weiter!
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)
– Ja, wenn Ihnen, meine Damen und Herren, das Überleben Ihrer streitenden Koalition wichtiger ist als das Wohl des Landes und die Zusammenarbeit der demokratischen Fraktionen in diesem Hause, dann ist das Ihre Antwort auf unser Angebot zur Zusammenarbeit. Machen Sie das! Es ist Ihre Entscheidung.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Unglaublich!)
In der nächsten Woche, Herr Bundeskanzler, stehen Sie zunächst einmal gemeinsam mit den europäischen Staats- und Regierungschefs in der Verantwortung.
(Zurufe von der SPD)
– Beruhigen Sie sich mal wieder ein bisschen! – Wir wünschen dem Bundeskanzler bei diesen Verhandlungen im Europäischen Rat gute Entscheidungen zum Wohle Deutschlands und auch zum Wohle der Europäischen Union.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Als Nächste hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Britta Haßelmann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7602215 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 131 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |