19.10.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 131 / Zusatzpunkt 2

Dunja KreiserSPD - Private Seenotrettung

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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fragen von Seenotrettung und auch von Schleuserkriminalität sind wichtig und streitbar. Und ich werde mich diesen Fragen gleich widmen. Doch muss ich – es bleibt mir nicht erspart – etwas zu den Ausführungen der AfD gerade und ihren Anträgen sagen, einfach weil man die Niedertracht, die Menschenverachtung, die Herabsetzung von Menschenwürde dieses Haus einfach nicht passieren lassen kann, ohne etwas dazu anzumerken, wenn auch nur kurz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Gottfried Curio [AfD])

Es ist – sehr nett ausgedrückt – unappetitlich genug.

Natürlich ignorieren Sie alle Realitäten dieser Welt, seien es Fragen der Rechtsstaatlichkeit, der Geografie oder auch einfach der Physik; das ist nicht neu. Sie benutzen Begriffe wie „Asylindustrie“ – gemeint sind Institutionen rund um Migration –, um dann die Parallele zu ziehen zu einer von Ihnen ausgeführten „Sozialindustrie“, im Kontext von Ihnen: ganz klar überflüssig und schädlich. Und Sie benennen die Nutznießerinnen und Nutznießer, für Sie augenscheinlich Menschen, die nur eines tun, nämlich die Gesellschaft belasten – Sie haben es benannt –, Arme und Behinderte. Sehr geehrte Damen und Herren, Menschen in Armut in unserem Land, Menschen mit Behinderung und Menschen auf der Flucht,

(Dr. Gottfried Curio [AfD]: Die sind nicht auf der Flucht!)

da sieht die AfD diejenigen, denen man alles nehmen kann, die keine Würde verdient haben, denen man keine Hilfe gewähren sollte.

(Martin Hess [AfD]: Das ist absoluter Unsinn, Frau Kollegin, und das wissen Sie auch!)

Sie hassen ihn anscheinend wirklich und aus tiefstem Herzen, den Sozialstaat – und die Nächstenliebe. So weit, so grauenvoll.

Ich versuche es jetzt mit sachlicher Auseinandersetzung zu diesem Thema. Sehr geehrte Damen und Herren, viele Menschen sind auf Schlepperbooten, den sogenannten One-Way-Booten, unterwegs – wir wissen um deren Qualität –, und das machen sie ganz klar aus Verzweiflung. Der Stadtrat von Lampedusa rief den Notstand aus. Die meisten Boote starten von der nordafrikanischen Küste, vor allem aus Tunesien. Die Lage zeigt: Wir müssen weiter an einer europäischen nachhaltigen Flüchtlingspolitik arbeiten. Wichtige Schritte sind dank unserer Bundesinnenministerin Nancy Faeser in den vergangenen Wochen angeschoben worden. Doch selbstverständlich stehen auch noch Lösungen aus. Wir wissen: Es gibt nicht das eine Wundermittel, die eine Lösung; das hat schon unser Parteivorsitzender Lars Klingbeil gesagt.

Sehr geehrte Damen und Herren, Mitte November letzten Jahres haben wir, hat der Haushaltsausschuss des Bundestages beschlossen, dass die zivile Seenotrettung zwischen 2023 und 2026 mit 8 Millionen Euro unterstützt wird. Jedes Jahr werden 2 Millionen Euro aus dem Etat des Auswärtigen Amtes an unterschiedliche Projekte auf See und an Land bereitgestellt. Anderweitigen Berichten wurde bereits widersprochen.

Die Rettung von Menschen in Seenot mit Schleusung gleichzusetzen oder zu unterstellen, wie von der Union, dies mache die Arbeit von Schleusern erst möglich, ist schlicht falsch. Mehrere Untersuchungen haben widerlegt, dass Flüchtende den Weg über das Mittelmeer, der eben gefährlich ist, wählen, weil sie darauf setzen, im Zweifel von zivilen Schiffen gerettet zu werden. Und es ist unsere Pflicht, sehr geehrte Damen und Herren, die Ertrinkenden zu retten.

Die italienische Marine hat ihren Einsatz zur Rettung Geflüchteter in Seenot im Oktober 2014 eingestellt. Seitdem engagieren sich private Seenotretterinnen und -retter. Eigentlich müsste dies staatlich passieren. Ziel muss ein koordiniertes Vorgehen im Umgang mit Geflüchteten sein. Ich glaube, da sind sich die demokratischen Parteien einig.

Am 16. Juli 2023 hat die EU mit Tunesien eine Vereinbarung geschlossen, ein Migrationsabkommen, wie in den Anträgen gefordert. Davon ist hier natürlich nichts zu lesen. Abkommen sind wichtig, zum Beispiel für die Rücknahme von Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland. Auch das hat unser Kanzler Olaf Scholz heute noch einmal erklärt.

Ein wichtiger Schritt – in den hier vorliegenden Anträgen von Ihnen selbstverständlich nicht zu finden – ist die Ausweitung der legalen Migration. Dazu gehören sichere und legale Wege, in Europa Asyl beantragen zu können, statt lebensbedrohliche Routen über das Mittelmeer, den Balkan oder Belarus mithilfe profitgieriger Schmuggler auf sich nehmen zu müssen.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Möglichkeit der Einwanderung in unseren Arbeitsmarkt. Wir brauchen ganz, ganz dringend in allen Branchen und Berufen Menschen, die bei uns mit anpacken wollen. Auch hier sind wichtige Schritte getan – herzlichen Dank an dieser Stelle an unseren Arbeitsminister Hubertus Heil –, zum Beispiel durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und den Jobturbo.

„Wir streben eine faire Verantwortungsteilung zwischen den Anrainerstaaten des Mittelmeeres bei der Seenotrettung an und wollen sicherstellen, dass Menschen nach der Rettung an sichere Orte gebracht werden.“

Herr Präsident, ein letzter Satz. – So heißt es in unserem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Wir sprechen uns für eine staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung im Mittelmeer aus.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Kreiser. – Nächster Redner ist der Kollege Detlef Seif, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7602283
Wahlperiode 20
Sitzung 131
Tagesordnungspunkt Private Seenotrettung
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